Predigt zu Markus 4,30–32 in der EMK Adliswil am 02.022025

Liebe Gemeinde,
wir glauben hoffnungsvoll. Weil Christus auferstanden ist und so alles, was das Leben einschränkt, überwunden hat, stirbt die Hoffnung nie. Unser Glaube ist voller Hoffnung, macht den Mitmenschen Hoffnung … etc.
So habe ich am letzten Sonntag formuliert. Davon nehme ich nichts zurück. Hoffnung soll unseren Glauben prägen und formen. Genau so ist. Die Crux liegt wie so oft bei ‚Richtigkeiten‘ des Glaubens in ihrer Umsetzung: Wie schaffen wir das? Woher nehmen wir die Kraft, hoffnungsvoll zu glauben? Mein Glaube äussert sich oft weniger im Statement: „Ich glaube hoffnungsvoll!“ Sondern im Hilferuf: „Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!“ (vgl. Mk 9,24)
Dann träume ich davon, dass mein Glaube stark wäre, viel stärker, als er oft ist. Nicht, weil ich mal einen Tag lang ein frommer Superheld sein möchte. Auch nicht, weil ich Berge versetzen möchte. Ok, ich ärgere mich manchmal schon, wieviel Sonne die Albiskette Adliswil am Nachmittag und Abend wegnimmt. Aber die Hügel deshalb wegbeten? Da würde ja auch viel verloren gehen…. Doch Spass beiseite: Ich stelle mir vor, dass mit einem stärkeren Glauben Vieles etwas leichter gehen könnte.
Ein starker Glaube gäbe mir festen Halt: Schlechte Nachrichten müssten nicht gleich Zweifel und Sorgen wecken. Kritik und Gemeinheiten könnten mein Selbstvertrauen nicht zerstören. Ängste hätten nicht die Macht, mich schweigen zu lassen, wo ich reden sollte. Es würde mir gelingen, tagtäglich das Vertrauen zu Christus zu leben und durchzuhalten. Ein starker Glaube liesse mich vorwärts kommen. Ich brauchte mir nicht an denselben Schwächen und Fehlern immer wieder die Zähne auszubeissen.
Auch Jesu Jünger:innen wünschten sich einen starken Glauben. Einmal gingen sie auf ihn zu und baten: „Stärke unseren Glauben!“ Und was machte Jesus? Er sprach mit ihnen über Senfkörner (vgl. Lk 17,5f; Mt 17,20). Sie kennen den Satz bestimmt: “Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein“. – Ein anderes Mal hat Jesus in einem Gleichnis das Reich Gottes mit einem Senfkorn verglichen:
Und Jesus sprach: Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? Es ist wie mit einem Senfkorn: Wenn das gesät wird aufs Land, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können. (Mk 4,30–32)
Was hat es mit Senfkorn, Glaube und Reich Gottes auf sich? – Zunächst: Weder ist ein Senfkorn tatsächlich der kleinste Same noch die Senfpflanze wirklich ein Baum. Das sind beides der Rhetorik geschuldete Übertreibungen, die unterstreichen: Aus Kleinem kann Grosses werden. Kleines hat Potenzial.
Dann: Beim Nachdenken über Jesu Worte zu Senfkörnern sind mir drei Dinge wichtig geworden:
I. Gott hat eine Vorliebe für das Kleine, Schwache
Das ist offensichtlich so. Es zieht sich durch die ganze Bibel. Oft waren es die Jüngeren, welche die Verheissung weitertrugen: Isaak und nicht Ismael, Jakob und nicht Esau, Josef und nicht Ruben oder Juda. Bei der Berufung von Gideon zum Richter und Saul zum König wird betont, dass beide aus einem kleinen Stamm kommen. Samuel hat nicht einen der Prachtsburschen unter Isais Söhnen zum König gesalbt. Sondern den jüngsten, David, fast noch ein Kind. Gott hat sich das kleine Volk Israel auserwählt, nicht eine Weltmacht wie Ägypten, Assyrien oder Babylon.
Jesus kam nicht in einem Königshaus zur Welt, sondern in einer armen, einfachen Familie. Er suchte seine Jünger:innen nicht bei den hochgebildeten und vornehmen Lehrern in Jerusalem, sondern unter Fischern, Zöllnern etc. Frauen nahm Jesus – anders als seine Zeitgenossen – ernst und wichtig. Auf Kinder schaute er ganz besonders und sagte, man solle werden wie sie. Schliesslich, wie in der Schriftlesung gehört: Die ersten christlichen Gemeinden rekrutierten sich weitgehend aus den unteren Bevölkerungsschichten. Sie waren eher Proletariat, sicher nicht High Society.
Gott hat offensichtlich eine Vorliebe für Kleine, Schwache und Geringe. Kein Wunder, dass Jesus mehrfach betonte: Letzte werden Erste, Kleine werden Gross.
II. Was klein ist, kann wachsen
Was klein ist, kann wachsen, weit über sich selbst hinaus. Der Vergleich des Reiches Gottes mit einem Senfkorn rückt irdisch-menschliche Massstäbe zurecht. Er zeigt: Vor Gott zählt wenig, wie gross oder klein etwas im Moment ist. Viel wichtiger ist das Potenzial bzw. die Hoffnung. Es darf nicht vergessen gehen, was aus einem noch so kleinen, noch so bescheidenen, noch so erbärmlichen Anfang Grosses werden (bzw. wachsen) kann.
Natürlich meint Jesus damit nicht, dass man sich mit dem Minimum zufrieden geben soll. Christ:innen sind keine Minimalist:innen. Aber auch in bescheidensten Verhältnissen kann die Hoffnung nicht sterben! Gott kann doch aus dem kleinsten Samen Grosses wachsen lassen. Ja, er schafft sogar aus dem Nichts Neues. Darum: “Sei nicht traurig, wenn Dein Glaube noch klein oder schwach sein sollte. Daraus kann und wird mehr werden. Er trägt grosses Potential für Dich und für Dein Leben in sich.“
In einer zweiten Hinsicht werden irdisch-menschliche Massstäbe korrigiert. Das Gleichnis vom Senfkorn zeigt: Gottes Reich verändert die Welt anders, als wir es uns vorstellen. Es ist keine brutale Macht, die wie eine Dampfwalze alles platt macht. Gerade nicht. Jesaja beschreibt, wie sorgfältig Gott mit geknickten Halmen und nur schwach glimmenden Dochten umgeht. Und Paulus hält in 1.Ko 13,2 fest: “ Wenn ich … hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts!“ Eben: Im Reich Gottes regiert nicht brutale Macht von oben, sondern die sanfte Macht der Liebe. Wohl unbezwingbar und unaufhaltsam. Aber das Reich Gottes beginnt klein, leise und wächst langsam. Zuerst will es in der Welt Wurzeln schlagen, bevor es zu wachsen beginnt und nach und nach gross wird.
Was klein ist, kann Wachsen, sagt Jesus. Ein kleiner Glaube kann über sich hinauswachsen. Das Reich Gottes verändert die Welt vielleicht nicht auf einen Schlag, aber langsam, stetig und nachhaltig. Womit auch gleich gesagt ist, dass immer mal wieder unsere Geduld herausgefordert sein wird. Starker Glaube bedeutet nämlich nicht, die grossen Umwälzungen mit frommen Worten zu beschwören. Sondern Glauben heisst, (auch gegen den Augenschein) darauf zu vertrauen, dass Gott wirkt, dass schon wächst, was er gesät hat.
III. Klein ist gross genug
Und noch ein dritter Gedankengang zu Jesu Senfkorn-Worten: Klein ist gross genug. Ein Glaube von der Grösse eines Senfkorns reicht schon, um Berge zu versetzen. Damit tröstet Jesus seine Jünger. Wir neigen ehr dazu, hinter dieser Feststellung statt Trost einen Vorwurf zu vermuten: ’Schon ein Senfkorn wäre genug, aber nicht einmal soviel habt ihr!’
Aber macht Jesus den Jüngern wirklich diesen Vorwurf? Tröstet er nicht vielmehr und sagt: Schon ein ganz kleiner Glaube reicht, um Grosses zu bewegen? — Es sind nicht die grossen Wunder, die von uns verlangt werden. Jesus wünscht sich nur, dass wir dort anfangen, wo wir die Aufträge sehen. Das können ganz kleine Dinge sein: Eine kurzes Gespräch am Gartenzaun, ein ’Bhüet di Gott’ zum Abschied oder eine Karte, die sagt: Ich denke an dich.
Wenn wir – vielleicht aus einem ganz kleinen und schwachen Glauben heraus – immer wieder unser Trägheit überwinden, unsere Wenn und Aber zurückstellen und tun, was zu tun ist (Was zu tun ist, wissen oder spüren wir in aller Regel ganz gut), dann werden tatsächlich Berge in Bewegung geraten. Nicht die Grösse unseres Glaubens ist wichtig. Klein ist gross genug um anzufangen. Hauptsache, unsere Glaube bewegt uns zu konkreten Taten und Worten. Dass wachsen und gross werden kann, was wir so säen, das dürfen wir getrost Gottes Sorge sein lassen. Am Schluss werden wir – an diesem Glauben halte ich fest – dankbar staunen, was er aus unseren Körnchen Glauben hat wachsen lassen.
Vor Gott zählt nicht die Grösse des Glaubens, sondern das Potenzial. Auch ein kleiner Glaube ist gross genug um die Welt zu bewegen. So gesehen frage ich mich, ob ich wirklich um einen stärkeren Glauben bitten soll. Denn nicht die Stärke meines Glaubens, sondern die Macht der Liebe Gottes und meine Bereitschaft, mich von ihr bewegen zu lassen, verändern die Welt.
Mein Gebet erhält durch diese Einsicht eine andere Klangfarbe. Es könnte z.B. klingen wie die folgenden Worte von Pfr. R.Seitz
Herr,
auch ich bin ein Mensch,
der daran leidet,
mehr sehen zu wollen.
Auf der kleinen Insel
meines Lebens
halte ich Ausschau,
wie einst die Jünger, und frage:
Wo ist das Reich Gottes?
In der schillernden Nacht
unserer Zeit
versuche ich, Lichtblicke
deiner Herrlichkeit zu erhaschen.
zwischen den Trümmern
der Menschlichkeit
und des Glaubens,
die sich auftürmen um mich,
halte ich Ausschau
nach Spuren deiner Nähe.
Und immer wieder
halte ich Ausschau
nach dem verheissenen Morgen,
in dem deine in Jahrhunderten
dornenverwachsene Kirche
befreit wird
von Mauern der Angst.
Manchmal wollen meine Augen
müde werden,
weil sie nicht sehen,
was du schon lange siehst.
Deine Augen, Herr,
sehen für mich.
Lass mich zufrieden sein
mit dem Wort,
das du zu allen,
die mehr sehen wollten,
gesagt hast:
“Selig sind, die nicht sehenund doch glauben.“ Amen
aus R.Seitz, Spuren deiner Nähe finden, S.9f
An Gott glauben, heisst für mich an das Mögliche glauben. Wer an das Mögliche glaubt, glaubt an die Arche in der Sintflut, an Befreiung aus der Wüste, an Vergebung bei Schuld. Das sind Geschichten, die erzählen, wie das Mögliche alles überwindet was uns verzweifeln lässt. Ich möchte Hoffnung mit Leuchtbuchstaben an die Wand schreiben. Ich möchte und werde weiterhin hoffnungsvoll glauben. Dass ich das nicht alleine schaffe, sondern nur mit Gottes Hilfe ist völlig klar.