Wenn Freude ansteckt

Psalm 34,2–11

Predigt am 22.12.2024 (4. Advent) in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,

viele Advents- und Wei­h­nacht­slieder laden zur Freude ein. Sie ermuntern dazu oder fordern sog­ar unverblümt, Freude zu haben und zeigen. Ähn­lich auch Paulus in Phil4,4: „Freut auch im Her­rn alle Wege. Und noch ein­mal sage ich: Freut euch!“
In der Son­ntagss­chule san­gen wir: ‚Immer, immer fröh­lich, alle Tage Son­nen­schein …‘ Es leuchtet ja ein, dass Nähe und Bewahrung Gottes Grund zur Freude ist. Den­noch: Die Freude am Her­rn ist nicht immer meine Stärke. Immer wieder ist ganz Anderes stark … vielle­icht nicht meine Stärke, aber stärk­er ist als ich. Ich ver­suche mich schon daran festzuhal­ten, was John Wes­ley so sagte: Das Beste von allem ist, dass Gott mit uns ist. – Das glaube ich. Deswe­gen ist aber Freude noch längst nicht immer das mich tra­gende Gefühl … oder bess­er: Meine Haltung.

Es ist kom­pliziert! Vieles bedrängt die Freude: Schlechte Nachricht­en; Stress; gesund­heitliche Störun­gen; Sorge um Entwick­lun­gen in der Gesellschaft, Angst vor der Zukun­ft …. Es nagt an mein­er Freude. So komme ich nicht nur ins Buch­sta­bieren, son­dern ins Stot­tern, wenn ich sagen/fühlen sollte: Die Freude am Her­rn ist meine Stärke.
So geht es aber nicht nur mir/uns heute. Denken wir an die Advents- und Wei­h­nachts­geschicht­en: ‚Freuet euch im Her­rn alle Wege‘ lag da nicht nahe. Jesus kam in eine Welt, in der das Leben hart war: Die meis­ten Men­schen in Israel waren mausarm. Sie wur­den unter­drückt und aus­genutzt. Ihr Glauben waren eingepfer­cht. Standen doch z.B. Römer, d.h. Hei­den, im Jerusale­mer Tem­pel Wache. Das war ein gewaltiger Dämpfer für die ‚Freude am Her­rn‘. – Wohl gab es alte Ver­heis­sun­gen auf bessere Zeit­en. Aber Anze­ichen auf ihre baldige Erfül­lung fehlten. Entsprechend trübe war die Stim­mung im Land.
Vor diesem Hin­ter­grund fällt umso mehr auf: In den Wei­h­nachts­geschicht­en geht es oft um Freude und wird viel gejubelt: Maria und Elis­a­beth erwarten je ihr erstes Kind. Sie besuchen einan­der und dabei – so heisst es – hüpfen die Kinder im Mut­ter­leib vor Freude. Von Maria und von Zacharias sind Jubelgesänge über­liefert, die in düsteren Zeit­en vor Hoff­nung, Freude und Zuver­sicht nur so strotzen. Nicht zu vergessen auch der Gesang der Engel in der Wei­h­nacht­snacht, der die Hirten zu Freude führt. Dabei hat­ten Hirten damals nichts zu lachen, als Men­schen am Rande der Gesellschaft. Im Tem­pel in Jerusalem ger­at­en dann zwei alte Leute, Sime­on und Han­na, ins Schwär­men, als sie Jesus sehen. – Als gäbe es einen Domi­no-Effekt in der Wei­h­nachts­geschichte: Es muss nur ein Stein angeschub­st wer­den. Dann geht es von selb­st: Die Freude springt von einem zum näch­sten, wie ein Lauf­feuer. Sie steckt an und wird zur Stärke aller, die sich von dem betr­e­f­fen lassen, was Gott wirkt.
Der Glaube an Chris­tus hat mit ansteck­ender Freude zu tun. Das zeigt in der Bibel nicht nur die Wei­h­nachts­geschichte. Auch in den Psalmen wird es oft zum The­ma. Viele dieser alten Gebete zele­bri­eren die Freude am Her­rn ger­adezu. Einen davon lese ich nun als Predigt­text: Psalm 34,2–11 nach Luther:

2) Ich will den Her­rn loben allezeit;
sein Lob soll immer­dar in meinem Munde sein.
3) Meine Seele soll sich rüh­men des Her­rn,
dass es die Elen­den hören und sich freuen.
4) Preiset mit mir den Her­rn
und lasst uns miteinan­der seinen Namen erhöhen!
5) Da ich den Her­rn suchte, antwortete er mir
und erret­tete mich aus aller mein­er Furcht.
6) Die auf ihn sehen, wer­den strahlen vor Freude,
und ihr Angesicht soll nicht scham­rot wer­den.
7) Als ein­er im Elend rief, hörte der Herr
und half ihm aus allen seinen Nöten.
8) Der Engel des Her­rn lagert sich um die her,
die ihn fürcht­en, und hil­ft ihnen her­aus.
9) Schmeck­et und sehet, wie fre­undlich der Herr ist.
Wohl dem, der auf ihn trauet!
10) Fürchtet den Her­rn, ihr seine Heili­gen!
Denn die ihn fürcht­en, haben keinen Man­gel.
11) Reiche müssen dar­ben und hungern;
aber die den Her­rn suchen, haben keinen Man­gel an irgen­deinem Gut.
                                                                                                                                                                                 Psalm 34,2–11

Wie ansteck­end, überzeugt und begeis­tert dieses Lob Gottes klingt. Es mag fast über­trieben wirken. Klar ist aber: Die For­mulierun­gen sind getra­gen von stark­er Überzeu­gung und grossem Gottver­trauen. Das Gebet entspringt nicht ‚nur‘ einem momen­ta­nen Gefühl. Es ist mehr als eine flüchtige Laune. Am Anfang ste­ht näm­lich die bewusste Wil­lensentschei­dung: “Ich will den Her­rn zu jed­er Zeit preisen, nie will ich aufhören, ihm zu danken.” — Ich will! Dieser Beter entschei­det sich bewusst zur Freude, zum Loben, zum Danken. Ist diese Wil­lensentschei­dung der Aus­lös­er, der den Domi­no­ef­fekt der Freude in Gang bringt? Ähn­liche For­mulierun­gen in anderen Psalmen stützen die Ver­mu­tung: Ja, es braucht die Entschei­dung. Nicht aus der Sit­u­a­tion oder dem Gefühl entste­ht der Jubel. Son­dern weil: ‚Ich will. Ich will sehen, dass Gott da ist und mir hil­ft!‘ Daraus wach­sen Freude und Dankbarkeit.
Die Bibel schreibt diesen Psalm David zu. Er hat sich — immer wieder — entsch­ieden: „Den Her­rn will ich preisen zu jed­er Zeit, nie will ich aufhören, ihm zu danken. Was er getan hat, will ich rüh­men.“ Daraus ent­standen viele Psalmen, die nach­drück­lich zur Entschei­dung für die Freude und für das Lob Gottes ein­laden.
David ist nicht nur für den Glauben Israels wichtig. Auch das NT sieht in ihm ein Vor­bild des Glaubens. Paulus urteilt nach Apg 13,22, dass Gott David als ‚Mann nach seinem Herzen ange­se­hen habe‘. Allerd­ings wis­sen wir auch, dass David kein per­fek­ter Heiliger war. Sein Leben war die rein­ste Achter­bah­n­fahrt. Ein­er­seits besiegte er den Riesen Goliath und schrieb wun­der­schöne Glaubenslieder. Ander­er­seits beg­ing er Ehe­bruch und schmiedete einen Mord­kom­plott, um diesen zu ver­tuschen. Er erlebte ein­er­seits, dass ihm begeis­tert zuge­jubelt wurde. Ander­er­seits set­zen Men­schen, sog­ar ein­er sein­er Söhne, alles daran, ihn zu ent­macht­en oder gar umzubrin­gen. Manch­mal gab es viel Grund zum Jubeln und die Freude selb­stver­ständlich. Dann wieder steck­te David tief im wom­öglich selb­stver­schulde­ten Schla­mas­sel. Doch die Psalmen, die David zugeschrieben wer­den, zeigen: Die Erin­nerung an Gutes, das er mit Gott erlebt hat­te, half David in schwieri­gen Momenten, sich doch wieder zu entschei­den: „Ich will den Her­rn loben allezeit!“

Schauen wir die Sit­u­a­tion genauer an, auf welche sich die Über­schrift von Psalm 34 bezieht (vgl. Vers 1; nicht gele­sen vorher) : David war auf der Flucht vor Saul – steck­te also in Not. Auf der Flucht geri­et er ins Gebi­et des Philis­terkönigs Abim­elech: Eines ‚Alphatieres‘, das keine Starken neben sich duldete. In Abim­elechs Augen war er als Chef ein­er Söld­nertruppe gefährlich. So geri­et David vom Regen in die Traufe. Zwar Saul entkom­men, dafür jet­zt Abim­elech aus­geliefert. Den Ausweg suchte David in ein­er oscar­reifen schaus­pielerischen Darstel­lung: Er gab sich vor dem König als geis­tes­gestört, tat total durchgek­nallt. Die Idee dahin­ter: Ein Irrer ist für einen Macht­men­schen unge­fährlich. Ausser­dem wich man psy­chisch Kranken ohne­hin so gut wie möglich aus. Und es funk­tion­ierte. David kam mit seinem The­ater durch.

Kaum war die Sit­u­a­tion über­standen hält David laut Ps 34,1 inne: Er wen­det sich Gott zu, um ihm zu danken und die Ehre zu geben. Weil er weiss, dass nicht sein schaus­pielerisches Tal­ent, son­dern Gott ihn aus der Not ret­tete. Das macht David für die Bibel zum Vor­bild: Er suchte immer wieder den Weg zu Gott. Wie die Sit­u­a­tion auch war. Immer entschei­det er sich dafür, Gott zu danken, ihn zu loben und sich an ihm zu freuen. — Davon kann man ler­nen: In jed­er Sit­u­a­tion anfan­gen beim Ver­trauen. Anknüpfen an gute Erfahrun­gen. Sich immer wieder für die Freude am Her­rn entschei­den, die unsere Stärke ist. So geht im Über­schwang die Ori­en­tierung nicht ver­loren und in Prob­le­men ist doch Halt zu find­en. Das Gottver­trauen, die Freude am Her­rn, soll der Kom­pass sein, an dem wir uns ori­en­tieren.
Ein ander­er, eben­falls David zugeschrieben­er Psalm, begin­nt mit der Selb­stauf­forderung: „Lobe den Her­rn, meine Seele, und ver­giss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ Das heisst: Schau mehr auf das Gute als auf das Schwierige. Suche, nimm wahr, was da ist, was er getan hat, wie er hil­ft, wie er trägt. Eine bewusste Entschei­dung auch hier: Ich will sehen, dass Gott hier ist. Und wenn ich sehen will, suche … dann werde ich auch ent­deck­en, wonach ich mich sehne. – So zeigen die Psalmen, wie man den inneren Kom­pass aus­richtet auf die Freude am Her­rn und das Ver­trauen auf Gott. Daraus wächst Stärke. Sie wurzelt in der Entschei­dung: Ich will. — “Ich will den Her­rn loben allezeit; sein Lob soll immer­dar in meinem Munde sein.“
Psalm 34 zeigt: Davids Not vor Abim­elech hat nicht gesiegt. Gott hat geholfen und war stärk­er. Der Psalm bestätigt also: Wer Gott sucht, find­et Lösun­gen, wird gerettet aus aller Angst. Gott hil­ft aus der Not. — Daraus fol­gt als näch­ster Schritt: Die mit Gott gemachte Erfahrung wird mit anderen geteilt. Es sollen alle wis­sen: “Meine Seele soll sich rüh­men des Her­rn, dass es die Elen­den hören und sich freuen.” Der Beter will andere ans­pornen. Darum macht er Mut, selb­st die Güte Gottes zu erproben: “Schmeck­et und sehet, wie fre­undlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn traut!“
Damit ist die Freude nicht nur Stärke, son­dern sie wird auch ansteck­end. Und da denke ich: Wenn das doch bei mir, bei uns auch so sein dürfte! Freude find­en, die andere ansteckt. Das gäbe einen anderen, leichteren Zugang zum Auf­trag, den Glauben teilen und Men­schen für Chris­tus gewin­nen. Ich müsste keine Last sehen im Auf­trag: ‚Geht hin und erzählt allen (seid meine Zeu­gen) … . Son­dern ich ver­traute darauf: Die Freude von Gott lebt in mir und geht weit­er. Gottes Geist zün­det den Funken, der auf andere über­springt. Damit die Freude zu ihrer Stärke wird. Dazu ermutigt Psalm 34: Sich für die Freude entschei­den, sich von der Freude am Her­rn ansteck­en lassen und darauf ver­trauen, dass es vom mir weit­erge­ht, andere ansteckt.
Diese ansteck­ende Freude kön­nen wir zwar nicht aus eigen­er Kraft ‚pro­duzieren‘. Aber wir kön­nen Gottes Geist in uns Raum geben und ihn wirken lassen. Darauf ver­trauen, dass er die Freude in uns zün­det.
Beim The­olo­gen Jür­gen Molt­mann stiess ich auf einen Satz, der mir nachge­ht: “Gemeinde ist der Raum, in dem die Hoff­nung das Lachen lehrt!” Freude als Stärke begrün­det Hoff­nung. Und umgekehrt. “Gemeinde ist der Raum, in dem die Hoff­nung das Lachen lehrt!” — Wo man miteinan­der hofft, sich an der Hoff­nung fes­thält, wo man einan­der zus­pricht: Dieser Gott, von dem wir reden, der wirk­lich da. Er trägt. Er stärkt. Er begeis­tert. Er weckt Freude. Wo wir miteinan­der hof­fen und von da her auch immer wieder ler­nen, miteinan­der zu lachen, Freude zu haben, ansteck­ende Freude – das Lachen ist ja wohl das ansteck­end­ste Ele­ment der Freude. Wenn jemand von Herzen lacht, gibt es nur wenige, die zuschauen und doch ernst bleiben — “Gemeinde ist der Raum, in dem die Hoff­nung das Lachen lehrt!”

Das wün­sche ich mir, dass wir Gemeinde leben und gestal­ten als Raum, in dem die Hoff­nung das Lachen lehrt. Freude darf etwas Ansteck­endes sein … soll Kreise ziehen und den Glauben attrak­tiv machen für die Men­schen um uns. Es begin­nt mit der Entschei­dung: ‚Ja, ich will. Ich will den Her­rn loben allezeit.‘ Darin erfüllt sich die Ver­heis­sung: ‚Die auf ihn sehen, wer­den strahlen vor Freude. So kann der Domi­no-Effekt der Freude in Gang kommen.

Was soll­ten wir uns mehr wün­schen als dies: Dass die Freude in uns wächst, wenn wir auf Chris­tus sehen, dass diese Freude uns erfüllt und die Men­schen, denen wir begeg­nen, ansteckt und in ihnen Glauben weckt … ihnen Freude, Zuver­sicht gibt. Es ist mein Gebet, dass dies immer wieder passieren darf, dass für uns stim­men darf: “Gemeinde ist der Raum, in dem die Hoff­nung das Lachen lehrt!” und dass von da her die Freude am Her­rn unsere Stärke wird. Amen

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