Predigt am 22.12.2024 (4. Advent) in der EMK Adliswil
Liebe Gemeinde,
viele Advents- und Weihnachtslieder laden zur Freude ein. Sie ermuntern dazu oder fordern sogar unverblümt, Freude zu haben und zeigen. Ähnlich auch Paulus in Phil4,4: „Freut auch im Herrn alle Wege. Und noch einmal sage ich: Freut euch!“
In der Sonntagsschule sangen wir: ‚Immer, immer fröhlich, alle Tage Sonnenschein …‘ Es leuchtet ja ein, dass Nähe und Bewahrung Gottes Grund zur Freude ist. Dennoch: Die Freude am Herrn ist nicht immer meine Stärke. Immer wieder ist ganz Anderes stark … vielleicht nicht meine Stärke, aber stärker ist als ich. Ich versuche mich schon daran festzuhalten, was John Wesley so sagte: Das Beste von allem ist, dass Gott mit uns ist. – Das glaube ich. Deswegen ist aber Freude noch längst nicht immer das mich tragende Gefühl … oder besser: Meine Haltung.
Es ist kompliziert! Vieles bedrängt die Freude: Schlechte Nachrichten; Stress; gesundheitliche Störungen; Sorge um Entwicklungen in der Gesellschaft, Angst vor der Zukunft …. Es nagt an meiner Freude. So komme ich nicht nur ins Buchstabieren, sondern ins Stottern, wenn ich sagen/fühlen sollte: Die Freude am Herrn ist meine Stärke.
So geht es aber nicht nur mir/uns heute. Denken wir an die Advents- und Weihnachtsgeschichten: ‚Freuet euch im Herrn alle Wege‘ lag da nicht nahe. Jesus kam in eine Welt, in der das Leben hart war: Die meisten Menschen in Israel waren mausarm. Sie wurden unterdrückt und ausgenutzt. Ihr Glauben waren eingepfercht. Standen doch z.B. Römer, d.h. Heiden, im Jerusalemer Tempel Wache. Das war ein gewaltiger Dämpfer für die ‚Freude am Herrn‘. – Wohl gab es alte Verheissungen auf bessere Zeiten. Aber Anzeichen auf ihre baldige Erfüllung fehlten. Entsprechend trübe war die Stimmung im Land.
Vor diesem Hintergrund fällt umso mehr auf: In den Weihnachtsgeschichten geht es oft um Freude und wird viel gejubelt: Maria und Elisabeth erwarten je ihr erstes Kind. Sie besuchen einander und dabei – so heisst es – hüpfen die Kinder im Mutterleib vor Freude. Von Maria und von Zacharias sind Jubelgesänge überliefert, die in düsteren Zeiten vor Hoffnung, Freude und Zuversicht nur so strotzen. Nicht zu vergessen auch der Gesang der Engel in der Weihnachtsnacht, der die Hirten zu Freude führt. Dabei hatten Hirten damals nichts zu lachen, als Menschen am Rande der Gesellschaft. Im Tempel in Jerusalem geraten dann zwei alte Leute, Simeon und Hanna, ins Schwärmen, als sie Jesus sehen. – Als gäbe es einen Domino-Effekt in der Weihnachtsgeschichte: Es muss nur ein Stein angeschubst werden. Dann geht es von selbst: Die Freude springt von einem zum nächsten, wie ein Lauffeuer. Sie steckt an und wird zur Stärke aller, die sich von dem betreffen lassen, was Gott wirkt.
Der Glaube an Christus hat mit ansteckender Freude zu tun. Das zeigt in der Bibel nicht nur die Weihnachtsgeschichte. Auch in den Psalmen wird es oft zum Thema. Viele dieser alten Gebete zelebrieren die Freude am Herrn geradezu. Einen davon lese ich nun als Predigttext: Psalm 34,2–11 nach Luther:
2) Ich will den Herrn loben allezeit;
sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.
3) Meine Seele soll sich rühmen des Herrn,
dass es die Elenden hören und sich freuen.
4) Preiset mit mir den Herrn
und lasst uns miteinander seinen Namen erhöhen!
5) Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir
und errettete mich aus aller meiner Furcht.
6) Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude,
und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden.
7) Als einer im Elend rief, hörte der Herr
und half ihm aus allen seinen Nöten.
8) Der Engel des Herrn lagert sich um die her,
die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.
9) Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.
Wohl dem, der auf ihn trauet!
10) Fürchtet den Herrn, ihr seine Heiligen!
Denn die ihn fürchten, haben keinen Mangel.
11) Reiche müssen darben und hungern;
aber die den Herrn suchen, haben keinen Mangel an irgendeinem Gut.
Psalm 34,2–11
Wie ansteckend, überzeugt und begeistert dieses Lob Gottes klingt. Es mag fast übertrieben wirken. Klar ist aber: Die Formulierungen sind getragen von starker Überzeugung und grossem Gottvertrauen. Das Gebet entspringt nicht ‚nur‘ einem momentanen Gefühl. Es ist mehr als eine flüchtige Laune. Am Anfang steht nämlich die bewusste Willensentscheidung: “Ich will den Herrn zu jeder Zeit preisen, nie will ich aufhören, ihm zu danken.” — Ich will! Dieser Beter entscheidet sich bewusst zur Freude, zum Loben, zum Danken. Ist diese Willensentscheidung der Auslöser, der den Dominoeffekt der Freude in Gang bringt? Ähnliche Formulierungen in anderen Psalmen stützen die Vermutung: Ja, es braucht die Entscheidung. Nicht aus der Situation oder dem Gefühl entsteht der Jubel. Sondern weil: ‚Ich will. Ich will sehen, dass Gott da ist und mir hilft!‘ Daraus wachsen Freude und Dankbarkeit.
Die Bibel schreibt diesen Psalm David zu. Er hat sich — immer wieder — entschieden: „Den Herrn will ich preisen zu jeder Zeit, nie will ich aufhören, ihm zu danken. Was er getan hat, will ich rühmen.“ Daraus entstanden viele Psalmen, die nachdrücklich zur Entscheidung für die Freude und für das Lob Gottes einladen.
David ist nicht nur für den Glauben Israels wichtig. Auch das NT sieht in ihm ein Vorbild des Glaubens. Paulus urteilt nach Apg 13,22, dass Gott David als ‚Mann nach seinem Herzen angesehen habe‘. Allerdings wissen wir auch, dass David kein perfekter Heiliger war. Sein Leben war die reinste Achterbahnfahrt. Einerseits besiegte er den Riesen Goliath und schrieb wunderschöne Glaubenslieder. Andererseits beging er Ehebruch und schmiedete einen Mordkomplott, um diesen zu vertuschen. Er erlebte einerseits, dass ihm begeistert zugejubelt wurde. Andererseits setzen Menschen, sogar einer seiner Söhne, alles daran, ihn zu entmachten oder gar umzubringen. Manchmal gab es viel Grund zum Jubeln und die Freude selbstverständlich. Dann wieder steckte David tief im womöglich selbstverschuldeten Schlamassel. Doch die Psalmen, die David zugeschrieben werden, zeigen: Die Erinnerung an Gutes, das er mit Gott erlebt hatte, half David in schwierigen Momenten, sich doch wieder zu entscheiden: „Ich will den Herrn loben allezeit!“
Schauen wir die Situation genauer an, auf welche sich die Überschrift von Psalm 34 bezieht (vgl. Vers 1; nicht gelesen vorher) : David war auf der Flucht vor Saul – steckte also in Not. Auf der Flucht geriet er ins Gebiet des Philisterkönigs Abimelech: Eines ‚Alphatieres‘, das keine Starken neben sich duldete. In Abimelechs Augen war er als Chef einer Söldnertruppe gefährlich. So geriet David vom Regen in die Traufe. Zwar Saul entkommen, dafür jetzt Abimelech ausgeliefert. Den Ausweg suchte David in einer oscarreifen schauspielerischen Darstellung: Er gab sich vor dem König als geistesgestört, tat total durchgeknallt. Die Idee dahinter: Ein Irrer ist für einen Machtmenschen ungefährlich. Ausserdem wich man psychisch Kranken ohnehin so gut wie möglich aus. Und es funktionierte. David kam mit seinem Theater durch.
Kaum war die Situation überstanden hält David laut Ps 34,1 inne: Er wendet sich Gott zu, um ihm zu danken und die Ehre zu geben. Weil er weiss, dass nicht sein schauspielerisches Talent, sondern Gott ihn aus der Not rettete. Das macht David für die Bibel zum Vorbild: Er suchte immer wieder den Weg zu Gott. Wie die Situation auch war. Immer entscheidet er sich dafür, Gott zu danken, ihn zu loben und sich an ihm zu freuen. — Davon kann man lernen: In jeder Situation anfangen beim Vertrauen. Anknüpfen an gute Erfahrungen. Sich immer wieder für die Freude am Herrn entscheiden, die unsere Stärke ist. So geht im Überschwang die Orientierung nicht verloren und in Problemen ist doch Halt zu finden. Das Gottvertrauen, die Freude am Herrn, soll der Kompass sein, an dem wir uns orientieren.
Ein anderer, ebenfalls David zugeschriebener Psalm, beginnt mit der Selbstaufforderung: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ Das heisst: Schau mehr auf das Gute als auf das Schwierige. Suche, nimm wahr, was da ist, was er getan hat, wie er hilft, wie er trägt. Eine bewusste Entscheidung auch hier: Ich will sehen, dass Gott hier ist. Und wenn ich sehen will, suche … dann werde ich auch entdecken, wonach ich mich sehne. – So zeigen die Psalmen, wie man den inneren Kompass ausrichtet auf die Freude am Herrn und das Vertrauen auf Gott. Daraus wächst Stärke. Sie wurzelt in der Entscheidung: Ich will. — “Ich will den Herrn loben allezeit; sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.“
Psalm 34 zeigt: Davids Not vor Abimelech hat nicht gesiegt. Gott hat geholfen und war stärker. Der Psalm bestätigt also: Wer Gott sucht, findet Lösungen, wird gerettet aus aller Angst. Gott hilft aus der Not. — Daraus folgt als nächster Schritt: Die mit Gott gemachte Erfahrung wird mit anderen geteilt. Es sollen alle wissen: “Meine Seele soll sich rühmen des Herrn, dass es die Elenden hören und sich freuen.” Der Beter will andere anspornen. Darum macht er Mut, selbst die Güte Gottes zu erproben: “Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn traut!“
Damit ist die Freude nicht nur Stärke, sondern sie wird auch ansteckend. Und da denke ich: Wenn das doch bei mir, bei uns auch so sein dürfte! Freude finden, die andere ansteckt. Das gäbe einen anderen, leichteren Zugang zum Auftrag, den Glauben teilen und Menschen für Christus gewinnen. Ich müsste keine Last sehen im Auftrag: ‚Geht hin und erzählt allen (seid meine Zeugen) … . Sondern ich vertraute darauf: Die Freude von Gott lebt in mir und geht weiter. Gottes Geist zündet den Funken, der auf andere überspringt. Damit die Freude zu ihrer Stärke wird. Dazu ermutigt Psalm 34: Sich für die Freude entscheiden, sich von der Freude am Herrn anstecken lassen und darauf vertrauen, dass es vom mir weitergeht, andere ansteckt.
Diese ansteckende Freude können wir zwar nicht aus eigener Kraft ‚produzieren‘. Aber wir können Gottes Geist in uns Raum geben und ihn wirken lassen. Darauf vertrauen, dass er die Freude in uns zündet.
Beim Theologen Jürgen Moltmann stiess ich auf einen Satz, der mir nachgeht: “Gemeinde ist der Raum, in dem die Hoffnung das Lachen lehrt!” Freude als Stärke begründet Hoffnung. Und umgekehrt. “Gemeinde ist der Raum, in dem die Hoffnung das Lachen lehrt!” — Wo man miteinander hofft, sich an der Hoffnung festhält, wo man einander zuspricht: Dieser Gott, von dem wir reden, der wirklich da. Er trägt. Er stärkt. Er begeistert. Er weckt Freude. Wo wir miteinander hoffen und von da her auch immer wieder lernen, miteinander zu lachen, Freude zu haben, ansteckende Freude – das Lachen ist ja wohl das ansteckendste Element der Freude. Wenn jemand von Herzen lacht, gibt es nur wenige, die zuschauen und doch ernst bleiben — “Gemeinde ist der Raum, in dem die Hoffnung das Lachen lehrt!”
Das wünsche ich mir, dass wir Gemeinde leben und gestalten als Raum, in dem die Hoffnung das Lachen lehrt. Freude darf etwas Ansteckendes sein … soll Kreise ziehen und den Glauben attraktiv machen für die Menschen um uns. Es beginnt mit der Entscheidung: ‚Ja, ich will. Ich will den Herrn loben allezeit.‘ Darin erfüllt sich die Verheissung: ‚Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude. So kann der Domino-Effekt der Freude in Gang kommen.
Was sollten wir uns mehr wünschen als dies: Dass die Freude in uns wächst, wenn wir auf Christus sehen, dass diese Freude uns erfüllt und die Menschen, denen wir begegnen, ansteckt und in ihnen Glauben weckt … ihnen Freude, Zuversicht gibt. Es ist mein Gebet, dass dies immer wieder passieren darf, dass für uns stimmen darf: “Gemeinde ist der Raum, in dem die Hoffnung das Lachen lehrt!” und dass von da her die Freude am Herrn unsere Stärke wird. Amen