Predigt am 25.12.2024 (Weihnachten) in der EMK Adliswil
Liebe Gemeinde,
es ist Weihnachten geworden. Das Warten ist zu Ende. Jetzt ist es da. Jetzt ist er da. Gott ist Mensch geworden. Das ist die Weihnachtsbotschaft. Bedeutet sie nun das Ende des Wartens oder der Anfang von etwas Neuem? Beginnt etwas oder kommt etwas ans Ziel? Unsere Antwort auf diese Frage beeinflusst, wie wir unseren Glauben leben. Gehen wir auf etwas zu oder kommen wir von etwas her? Vielleicht ist die Antwort auch ein wenig eine Frage des Typs. Die einen fokussieren gerne auf Ziele, streben Neues an und gehen auf etwas zu. Anderen aber ist wichtig, woher sie kommen. Was sie bisher geprägt hat. Und sie bauen ihre Identität eher darauf auf.
Was ist Euch wichtiger? Was ihr schon erreicht habt (Ausbildung, Beruf, Familie, Häuschen, Herzensbildung, Glauben, Erfahrung), oder was noch kommt (Sich entwickeln, Ziele stecken, Karriere machen, Veränderungen wagen, Gaben entfalten)? – Vermutlich hat auch das Alter einen Einfluss darauf, auf welche Seite man neigt. Dennoch ist es mehr als eine Altersfrage. Wir alle kennen beiderlei Menschen: Solche, die vor allem von Früherem reden, erzählen und begründen wie wir dahin gekommen sind, wo wir sind. Und andere, die vor allem von Hoffnungen und Träumen, von Möglichkeiten und Zielen reden.
Ein striktes Entweder-Oder wird dem Leben wohl kaum gerecht. Beides hat seine Berechtigung. Schauen wir auf Weihnachten: Weihnachten ist das Ende der menschlichen Distanz zu Gott. Das Ende aller fruchtlosen Versuche, aus eigener Kraft erlöst und frei zu werden. Wir können jetzt Kinder Gottes werden. Die Trennung von bzw. Distanz zu Gott ist überwunden. Das Problem ist gelöst, weil mit Weihnachten der Himmel offen ist!! Gott ist bei uns als einer von uns. Die für Menschen unüberbrückbare Distanz hat Gott überwunden, indem er Mensch geworden ist. Wie eine gigantische Tür im Adventskalender hat sich der Himmel geöffnet. Galt vor Weihnachten, dass Menschen glauben, sie Gottes Nähe und Zuwendung verdienen zu müssen, ist jetzt die Mauer niedergerissen oder der Graben aufgefüllt. Gott ist da. Ganz nah.
Schon das erste Testament erzählt von Menschen, die Gott sehr nahe kamen: Abraham, Jakob, Moses, Elia, die Propheten. Aber das waren die Ausnahmen, welche die Regel bestätigten: Zwischen Gott und Mensch klaffte weites Niemandsland. Die meiste Zeit war die Tür zum Himmel von innen abgeschlossen. Das ändert mit Jesu Kommen in die Welt. Damit geht nicht nur die Tür zum Himmel auf, sondern das Schloss wird entfernt. Der Märtyrer Stephanus fasst es bei seinem Sterben in Worte: “Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes sitzen.” Der 2.Weihnachtstag ist nicht zufällig der Gedenktag des Stephanus. Schliesslich hat Gott an Weihnachten den Himmel geöffnet. Weihnachten ist das Ende der Verschlossenheit — nun nicht nur für ausgewählte Menschen und flüchtige Momente, sondern für alle und für immer.
Damit ist nicht nur etwas zu Ende. Wenn sich eine Tür öffnet, bedeutet das zugleich einen neuen Anfang. Der Anfang wovon? Der Seher Johannes beschreibt es in Offenbarung 7, 9–12 so:
Danach sah ich, siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit lauter Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm! Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Offenbarung 7,9–12
Menschen aus allen Kulturen bezeugen gemeinsam: Hier ist das Heil, das Leben, die Erlösung! Von überallher kommen Menschen, um Gott zu loben, in verschiedenen Sprachen und auch unterschiedlichen Formen: mit Trommeln, Orgeln, Posaunenchören, Rockbands, mit Hip-Hop, Gospel, Blues, Jazz, Chorälen und Samba-Rasseln. Alle haben begriffen: Heil, d.h. Frieden, Glück, Hoffnung, Freiheit, Liebe und Gelassenheit gibt es hier bei Gott, sonst nirgends. Darauf gehen wir zu. Das ist der Anfang: Der Weg ist frei und die Menschen kommen zu Gott. Nicht stolz, weil sie es geschafft haben, sondern dankbar, weil Gott das Kommen möglich gemacht hat.
Weihnachten ist einerseits das Ende des Wartens. Weihnachten ist andererseits der Anfang der Freude. Das Ziel des Glaubens ist, dass alle Menschen zu dieser Freude zu finden. Darauf gehen wir zu. Das streben wir an. Oder sollten es zumindest. Ist es ein uns prägendes Ziel, dass alle Menschen zur Freude an und dank Gott finden?
Es gibt ja unterschiedliche Motivationen bzw. Ziele, die sich mit dem Glauben verbinden. Sie entsprechen gut der Entwicklung des Verständnisses von Gott in der Bibel: Menschen glauben aus 1. Furcht, 2. Ehrfurcht oder 3. Freude an Gott.
I. Furcht
Glauben wächst bei vielen Menschen aus allen Religionen aus Furcht Auch im AT steht mindestens streckenweise die Angst vor der Vergeltung, vor dem Zorn Gottes im Vordergrund. Daraus wächst ein Glaubensverständnis, nach dem Menschen sich das Wohlwollen der Gottheit verdienen müssen. Sie tun das, indem sie viel opfern, sich anständig benehmen, bestimmte Gebote und Rituale erfüllen, etc. … Dabei begleitet sie immer Angst: Angst, Gott zu verstimmen; Angst, ihm nicht zu genügen; Angst, zu versagen. Das begünstigt eine strenge Ethik: Man darf sich keiner Leidenschaft hingeben, darf nicht zu viel tanzen, darf nicht unhöflich sein, darf nicht Heavy Metall hören. Man darf keine Fehler machen. Das Menschenbild dahinter heisst: Ich bin ein verachtungswürdiges Geschöpf. Ich darf nicht sein, wie ich bin, wenn Gott mich lieben soll.
Solches Glauben, Denken und ‚Fürchten‘ prägt bis heute sehr viele Glaubende, nicht nur, aber auch Christen. Das ist eine Katastrophe, weil es dazu führt: Dass Menschen im Namen eines liebenden Gottes seelisch geknechtet, unterdrückt und gefoltert werden. Glauben aus Furcht ist verheerend, weil er mit Liebe nichts zu tun hat. Und doch ist gerade in “frommen” Kreisen diese Einstellung weit verbreitet. Wahrscheinlich kennt sogar jede und jeder von uns, Bereiche, in denen er oder sie aus Furcht glaubt. Daran sollte man arbeiten.
Weihnachten ist eine Absage an den Glauben aus Furcht. “Fürchte dich nicht!”, sagt der Engel — und damit ist alles gesagt. Wenn wir vor Gott Angst haben, dann haben wir den Gott der Liebe noch nicht kennengelernt.
2. Ehrfurcht
Andere Gläubige haben zwar keine Angst (mehr) vor Gott, aber sie reden nur sehr ehrfürchtig von ihm. Sie betonen Gottes Heiligkeit und heben ihn immer höher in den Himmel hinauf. – Das ist zwar nicht grundsätzlich falsch. Natürlich ist Gott heilig. Natürlich ist Gott anbetungswürdig. Natürlich ist es richtig, ihn anzubeten. Aber wenn man von lauter Ehrfurcht Gott immer weiter in den Himmel emporhebt und damit von den Menschen ‚entfernt‘, dann ist es das Gegenteil dessen, wofür Weihnachten steht.
Übertriebene Ehrfurcht kann zu einer Mauer werden, die von Gott trennt. Wir erheben ihn so hoch, dass wir nicht mehr an ihn herankommen. Auch das ist katastrophal. Weil es Distanz schafft zwischen Gott und Mensch. Manche Glaubende wundern sich, dass sie wenig bis nichts mit Gott erleben. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie aus übertriebener oder falsch verstandener Ehrfurcht Gott von sich (oder sich von Gott) fernhalten.
Weihnachten bedeutet eine Absage an den Glauben aus Ehrfurcht. Ein uraltes Lied, das Paulus im Phil (vgl. Phil 2,7) zitiert, sagt über Christus: „Er hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein“ (Basis Bibel) bzw. “Er gab alle seine Vorrechte auf.” Im Weihnachtslied (→ ‚Lobt Gott ihr Christen allzugleich) heisst es: ‚Er äußert sich all seiner Gwalt, wird niedrig und gering (vgl. z.B. Phil 2,7). D.h. doch: Christus lässt alles los, was Ehrfurcht hervorrufen könnte, und kommt bewusst als ‚normaler‘ Mensch in diese Welt. Darum: Wer in Gottes Gegenwart vor lauter Ehrfurcht erstarrt, hat noch nicht verstanden, wie nahe Gott wirklich kommt.
3. Freude
Der Engel überrascht die Hirten mit der Botschaft: “Ich verkündige euch grosse Freude, euch ist heute ein Kind geboren!” (vgl. Lk 2,11f) Das ist Weihnachten. Du musst dich nicht fürchten, du brauchst nicht vor Ehrfurcht zu erstarren, du darfst dich freuen. Diese Freude wird sogar ansteckend sein. Das ist die beste Motivation zum Glauben: Freude. Natürlich sagt Jesus auch, dass es nicht egal ist, wie man lebt, dass jemand, der Gott liebt, auch seinen Nächsten und sich selbst liebevoll behandelt wird. Aber das soll keinen moralischen Druck aufbauen. Wichtig ist, dass Menschen sich an Gottes Gnade und Menschlichkeit freuen. Und wenn sie das tun, dann werden sie eine ganz neue Form von Ehrfurcht entwickeln. Eine, die — wie es in Offb 7 heisst — ein Preisen ist, das ganz viele Motivationen hat und aus ganz vielen Elementen besteht.
Was gehört alles zu einer vollkommenen Freude? Woraus besteht sie? Unser Bibeltext nennt sieben biblische Kennzeichen eines fröhlichen Gottesverhältnisses (es ist freilich schwierig, die Begriffe sauber voneinander zu trennen. Ihre Bedeutungen fliessen ineinander über):
- Lob: Wir rühmen unseren grossartigen Gott und seine Taten. Wir danken nicht nur für das, was wir selbst geschenkt erhalten, sondern wir loben ihn für alles, was er allen schenkt.
- Ehre: Wir reagieren angemessen auf Gottes Handeln an uns. Weil wir uns von ihm geliebt wissen, verhalten wir uns ihm gegenüber liebevoll.
- Weisheit: Wir entdecken Gottes Gedanken und Ziele, lernen sie verstehen. Wir entfalten die Gaben, die er uns schenkt, so, wie es seinem Willen entspricht.
- Dank: Wir sind glücklich und zufrieden mit dem, was wir Gott verdanken. Wir sind frei von Sucht/Gier, etwas haben zu müssen.
- Preis: Wir können es nicht für uns behalten. Wir müssen von dem erzählen, was unser Glauben und Leben begeistert.
- Kraft: Wir investieren viel in unsere Beziehung zu Gott. Wir stellen uns ihm zur Verfügung und freuen uns über die Kraft, die aus unserer Hingabe wächst.
- Stärke: Wir lassen uns nicht unterkriegen, weil unser Vertrauen größer ist als alles Unheil, das es in der Welt gibt.
Das kennzeichnet das ehrfurchtsvolle Leben, Glauben und Anbeten, das Gott uns wünscht: Lob, Ehre, Weisheit, Dank, Preis, Kraft und Stärke. Jedes Element ist wichtig und gehört dazu. Die Quelle des Ganzen aber muss die Freude bleiben. Daraus, und nicht aus Furcht oder Ehrfurcht, soll Glauben wachsen. Bei Gott gibt es kein: “Du musst!” Nur das: “Du wirst!”. Du wirst als freudiger Christ anderen von deinem Glauben erzählen, du wirst als fröhlicher Christ ein gutes Gefühl haben, wenn du der Kirche Geld gibst, du wirst als freudiger Christ gern mit anderen Christen zusammen sein und Gott anbeten. Wer glaubt — und das aus Freude, der hat das Lebensfundament, auf dem er gar nicht anders kann, als nach Gottes Willen zu leben. Amen