Anfang und Ende

Offen­barung 7,9–12

Predigt am 25.12.2024 (Wei­h­nacht­en) in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,

es ist Wei­h­nacht­en gewor­den. Das Warten ist zu Ende. Jet­zt ist es da. Jet­zt ist er da. Gott ist Men­sch gewor­den. Das ist die Wei­h­nachts­botschaft. Bedeutet sie nun das Ende des Wartens oder der Anfang von etwas Neuem? Begin­nt etwas oder kommt etwas ans Ziel? Unsere Antwort auf diese Frage bee­in­flusst, wie wir unseren Glauben leben. Gehen wir auf etwas zu oder kom­men wir von etwas her? Vielle­icht ist die Antwort auch ein wenig eine Frage des Typs. Die einen fokussieren gerne auf Ziele, streben Neues an und gehen auf etwas zu. Anderen aber ist wichtig, woher sie kom­men. Was sie bish­er geprägt hat. Und sie bauen ihre Iden­tität eher darauf auf.

Was ist Euch wichtiger? Was ihr schon erre­icht habt (Aus­bil­dung, Beruf, Fam­i­lie, Häuschen, Herzens­bil­dung, Glauben, Erfahrung), oder was noch kommt (Sich entwick­eln, Ziele steck­en, Kar­riere machen, Verän­derun­gen wagen, Gaben ent­fal­ten)? – Ver­mut­lich hat auch das Alter einen Ein­fluss darauf, auf welche Seite man neigt. Den­noch ist es mehr als eine Alters­frage. Wir alle ken­nen bei­der­lei Men­schen: Solche, die vor allem von Früherem reden, erzählen und begrün­den wie wir dahin gekom­men sind, wo wir sind. Und andere, die vor allem von Hoff­nun­gen und Träu­men, von Möglichkeit­en und Zie­len reden.

Ein strik­tes Entwed­er-Oder wird dem Leben wohl kaum gerecht. Bei­des hat seine Berech­ti­gung. Schauen wir auf Wei­h­nacht­en: Wei­h­nacht­en ist das Ende der men­schlichen Dis­tanz zu Gott. Das Ende aller frucht­losen Ver­suche, aus eigen­er Kraft erlöst und frei zu wer­den. Wir kön­nen jet­zt Kinder Gottes wer­den. Die Tren­nung von bzw. Dis­tanz zu Gott ist über­wun­den. Das Prob­lem ist gelöst, weil mit Wei­h­nacht­en der Him­mel offen ist!! Gott ist bei uns als ein­er von uns. Die für Men­schen unüber­brück­bare Dis­tanz hat Gott über­wun­den, indem er Men­sch gewor­den ist. Wie eine gigan­tis­che Tür im Adventskalen­der hat sich der Him­mel geöffnet. Galt vor Wei­h­nacht­en, dass Men­schen glauben, sie Gottes Nähe und Zuwen­dung ver­di­enen zu müssen, ist jet­zt die Mauer niederg­eris­sen oder der Graben aufge­füllt. Gott ist da. Ganz nah.
Schon das erste Tes­ta­ment erzählt von Men­schen, die Gott sehr nahe kamen: Abra­ham, Jakob, Moses, Elia, die Propheten. Aber das waren die Aus­nah­men, welche die Regel bestätigten: Zwis­chen Gott und Men­sch klaffte weites Nie­mand­s­land. Die meiste Zeit war die Tür zum Him­mel von innen abgeschlossen. Das ändert mit Jesu Kom­men in die Welt. Damit geht nicht nur die Tür zum Him­mel auf, son­dern das Schloss wird ent­fer­nt. Der Mär­tyr­er Stephanus fasst es bei seinem Ster­ben in Worte: “Siehe, ich sehe den Him­mel offen und den Men­schen­sohn zur Recht­en Gottes sitzen.” Der 2.Weihnachtstag ist nicht zufäl­lig der Gedenk­tag des Stephanus. Schliesslich hat Gott an Wei­h­nacht­en den Him­mel geöffnet. Wei­h­nacht­en ist das Ende der Ver­schlossen­heit — nun nicht nur für aus­gewählte Men­schen und flüchtige Momente, son­dern für alle und für immer.
Damit ist nicht nur etwas zu Ende. Wenn sich eine Tür öffnet, bedeutet das zugle­ich einen neuen Anfang. Der Anfang wovon? Der Seher Johannes beschreibt es in Offen­barung 7, 9–12 so:

Danach sah ich, siehe, eine große Schar, die nie­mand zählen kon­nte, aus allen Natio­nen und Stäm­men und Völk­ern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, ange­tan mit weißen Klei­dern und mit Palmzweigen in ihren Hän­den, und riefen mit lauter Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm! Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestal­ten und fie­len nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.                                            Offen­barung 7,9–12

Men­schen aus allen Kul­turen bezeu­gen gemein­sam: Hier ist das Heil, das Leben, die Erlö­sung! Von über­all­her kom­men Men­schen, um Gott zu loben, in ver­schiede­nen Sprachen und auch unter­schiedlichen For­men: mit Trom­meln, Orgeln, Posaunenchören, Rock­bands, mit Hip-Hop, Gospel, Blues, Jazz, Chorälen und Sam­ba-Ras­seln. Alle haben begrif­f­en: Heil, d.h. Frieden, Glück, Hoff­nung, Frei­heit, Liebe und Gelassen­heit gibt es hier bei Gott, son­st nir­gends. Darauf gehen wir zu. Das ist der Anfang: Der Weg ist frei und die Men­schen kom­men zu Gott. Nicht stolz, weil sie es geschafft haben, son­dern dankbar, weil Gott das Kom­men möglich gemacht hat.
Wei­h­nacht­en ist ein­er­seits das Ende des Wartens. Wei­h­nacht­en ist ander­er­seits der Anfang der Freude. Das Ziel des Glaubens ist, dass alle Men­schen zu dieser Freude zu find­en. Darauf gehen wir zu. Das streben wir an. Oder soll­ten es zumin­d­est. Ist es ein uns prä­gen­des Ziel, dass alle Men­schen zur Freude an und dank Gott find­en?
Es gibt ja unter­schiedliche Moti­va­tio­nen bzw. Ziele, die sich mit dem Glauben verbinden. Sie entsprechen gut der Entwick­lung des Ver­ständ­niss­es von Gott in der Bibel: Men­schen glauben aus 1. Furcht, 2. Ehrfurcht oder 3. Freude an Gott.

I. Furcht

Glauben wächst bei vie­len Men­schen aus allen Reli­gio­nen aus Furcht Auch im AT ste­ht min­destens streck­en­weise die Angst vor der Vergel­tung, vor dem Zorn Gottes im Vorder­grund. Daraus wächst ein Glaubensver­ständ­nis, nach dem Men­schen sich das Wohlwollen der Got­theit ver­di­enen müssen. Sie tun das, indem sie viel opfern, sich anständig benehmen, bes­timmte Gebote und Rit­uale erfüllen, etc. … Dabei begleit­et sie immer Angst: Angst, Gott zu ver­stim­men; Angst, ihm nicht zu genü­gen; Angst, zu ver­sagen. Das begün­stigt eine strenge Ethik: Man darf sich kein­er Lei­den­schaft hingeben, darf nicht zu viel tanzen, darf nicht unhöflich sein, darf nicht Heavy Met­all hören. Man darf keine Fehler machen. Das Men­schen­bild dahin­ter heisst: Ich bin ein ver­ach­tungswürdi­ges Geschöpf. Ich darf nicht sein, wie ich bin, wenn Gott mich lieben soll.
Solch­es Glauben, Denken und ‚Fürcht­en‘ prägt bis heute sehr viele Glaubende, nicht nur, aber auch Chris­ten. Das ist eine Katas­tro­phe, weil es dazu führt: Dass Men­schen im Namen eines lieben­den Gottes seel­isch geknechtet, unter­drückt und gefoltert wer­den. Glauben aus Furcht ist ver­heerend, weil er mit Liebe nichts zu tun hat. Und doch ist ger­ade in “from­men” Kreisen diese Ein­stel­lung weit ver­bre­it­et. Wahrschein­lich ken­nt sog­ar jede und jed­er von uns, Bere­iche, in denen er oder sie aus Furcht glaubt. Daran sollte man arbeit­en.
Wei­h­nacht­en ist eine Absage an den Glauben aus Furcht. “Fürchte dich nicht!”, sagt der Engel — und damit ist alles gesagt. Wenn wir vor Gott Angst haben, dann haben wir den Gott der Liebe noch nicht kennengelernt.

2. Ehrfurcht

Andere Gläu­bige haben zwar keine Angst (mehr) vor Gott, aber sie reden nur sehr ehrfürchtig von ihm. Sie beto­nen Gottes Heiligkeit und heben ihn immer höher in den Him­mel hin­auf. – Das ist zwar nicht grund­sät­zlich falsch. Natür­lich ist Gott heilig. Natür­lich ist Gott anbe­tungswürdig. Natür­lich ist es richtig, ihn anzu­beten. Aber wenn man von lauter Ehrfurcht Gott immer weit­er in den Him­mel emporhebt und damit von den Men­schen ‚ent­fer­nt‘, dann ist es das Gegen­teil dessen, wofür Wei­h­nacht­en ste­ht.
Über­triebene Ehrfurcht kann zu ein­er Mauer wer­den, die von Gott tren­nt. Wir erheben ihn so hoch, dass wir nicht mehr an ihn her­ankom­men. Auch das ist katas­trophal. Weil es Dis­tanz schafft zwis­chen Gott und Men­sch. Manche Glaubende wun­dern sich, dass sie wenig bis nichts mit Gott erleben. Vielle­icht hat es damit zu tun, dass sie aus über­trieben­er oder falsch ver­standen­er Ehrfurcht Gott von sich (oder sich von Gott) fern­hal­ten.
Wei­h­nacht­en bedeutet eine Absage an den Glauben aus Ehrfurcht. Ein uraltes Lied, das Paulus im Phil (vgl. Phil 2,7) zitiert, sagt über Chris­tus: „Er hielt nicht daran fest, Gott gle­ich zu sein“ (Basis Bibel) bzw. “Er gab alle seine Vor­rechte auf.” Im Wei­h­nacht­slied (→ ‚Lobt Gott ihr Chris­ten allzu­gle­ich) heisst es: ‚Er äußert sich all sein­er Gwalt, wird niedrig und ger­ing (vgl. z.B. Phil 2,7). D.h. doch: Chris­tus lässt alles los, was Ehrfurcht her­vor­rufen kön­nte, und kommt bewusst als ‚nor­maler‘ Men­sch in diese Welt. Darum: Wer in Gottes Gegen­wart vor lauter Ehrfurcht erstar­rt, hat noch nicht ver­standen, wie nahe Gott wirk­lich kommt.

3. Freude

Der Engel über­rascht die Hirten mit der Botschaft: “Ich verkündi­ge euch grosse Freude, euch ist heute ein Kind geboren!” (vgl. Lk 2,11f) Das ist Wei­h­nacht­en. Du musst dich nicht fürcht­en, du brauchst nicht vor Ehrfurcht zu erstar­ren, du darf­st dich freuen. Diese Freude wird sog­ar ansteck­end sein. Das ist die beste Moti­va­tion zum Glauben: Freude. Natür­lich sagt Jesus auch, dass es nicht egal ist, wie man lebt, dass jemand, der Gott liebt, auch seinen Näch­sten und sich selb­st liebevoll behan­delt wird. Aber das soll keinen moralis­chen Druck auf­bauen. Wichtig ist, dass Men­schen sich an Gottes Gnade und Men­schlichkeit freuen. Und wenn sie das tun, dann wer­den sie eine ganz neue Form von Ehrfurcht entwick­eln. Eine, die — wie es in Offb 7 heisst — ein Preisen ist, das ganz viele Moti­va­tio­nen hat und aus ganz vie­len Ele­menten beste­ht.
Was gehört alles zu ein­er vol­lkomme­nen Freude? Woraus beste­ht sie? Unser Bibel­text nen­nt sieben bib­lis­che Kennze­ichen eines fröh­lichen Gottesver­hält­niss­es (es ist freilich schwierig, die Begriffe sauber voneinan­der zu tren­nen. Ihre Bedeu­tun­gen fliessen ineinan­der über):

  • Lob: Wir rüh­men unseren grossar­ti­gen Gott und seine Tat­en. Wir danken nicht nur für das, was wir selb­st geschenkt erhal­ten, son­dern wir loben ihn für alles, was er allen schenkt.
  • Ehre: Wir reagieren angemessen auf Gottes Han­deln an uns. Weil wir uns von ihm geliebt wis­sen, ver­hal­ten wir uns ihm gegenüber liebevoll.
  • Weisheit: Wir ent­deck­en Gottes Gedanken und Ziele, ler­nen sie ver­ste­hen. Wir ent­fal­ten die Gaben, die er uns schenkt, so, wie es seinem Willen entspricht.
  • Dank: Wir sind glück­lich und zufrieden mit dem, was wir Gott ver­danken. Wir sind frei von Sucht/Gier, etwas haben zu müssen.
  • Preis: Wir kön­nen es nicht für uns behal­ten. Wir müssen von dem erzählen, was unser Glauben und Leben begeistert.
  • Kraft: Wir investieren viel in unsere Beziehung zu Gott. Wir stellen uns ihm zur Ver­fü­gung und freuen uns über die Kraft, die aus unser­er Hingabe wächst.
  • Stärke: Wir lassen uns nicht unterkriegen, weil unser Ver­trauen größer ist als alles Unheil, das es in der Welt gibt.

Das kennze­ich­net das ehrfurchtsvolle Leben, Glauben und Anbeten, das Gott uns wün­scht: Lob, Ehre, Weisheit, Dank, Preis, Kraft und Stärke. Jedes Ele­ment ist wichtig und gehört dazu. Die Quelle des Ganzen aber muss die Freude bleiben. Daraus, und nicht aus Furcht oder Ehrfurcht, soll Glauben wach­sen. Bei Gott gibt es kein: “Du musst!” Nur das: “Du wirst!”. Du wirst als freudi­ger Christ anderen von deinem Glauben erzählen, du wirst als fröh­lich­er Christ ein gutes Gefühl haben, wenn du der Kirche Geld gib­st, du wirst als freudi­ger Christ gern mit anderen Chris­ten zusam­men sein und Gott anbeten. Wer glaubt — und das aus Freude, der hat das Lebens­fun­da­ment, auf dem er gar nicht anders kann, als nach Gottes Willen zu leben.   Amen

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