Loslassen

Predigt zu Markus 10,17–27 in der EMK Adliswil am 04.05.2025

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Liebe Gemeinde,

„Nehmt mein Joch auf Euch!“, sagt Jesus. „denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht!“ (vgl. Gruss­wort). Das klingt gut, ver­lock­end! Aber …? Wir alle sind auch schon auf Werbeslo­gans hereinge­fall­en. Und Jesu Wort klingt in unseren Ohren irgend­wie schon nach Wer­bung. Kann das stim­men? Eine Last, die leicht ist und die man gerne trägt? Wie gross ist die Belas­tung wirk­lich?
Ich erlebe, dass Leben und Glauben beileibe nicht immer ‚leicht‘ gehen: Worauf man als Christ:in alles acht­en sollte. Die schrä­gen Blicke von Mit­men­schen, wenn man ihnen vom Engage­ment in der Kirche erzählt. Schick­salss­chläge, vor denen Glaubende nicht gefeit sind. Und die Energie, die es dann braucht, am Ver­trauen und an ver­heis­sungsvollen bib­lis­chen Zusagen festzuhal­ten… Engagiert und überzeugt mit Chris­tus zu leben, braucht dur­chaus Energie. Es kann zur Last wer­den, zur schw­eren Last. Dabei hätte ich doch schon mehr als genug damit zu tun, den gewöhn­lichen All­t­ag zu organ­isieren und sin­nvoll zu gestal­ten. Dann noch die Erwartun­gen der Mitchrist:innen. Und nie hat es in der Kirche mehr als ‚knapp genug‘ Mitarbeiter:innen.

Die Karikatur ist unter­dessen ziem­lich alt. Und trifft doch immer noch den Nagel auf den Kopf. Sie stellt die Frage, ob das, was uns den Glauben anstren­gend scheinen lässt, uns wirk­lich von Gott aufer­legt ist. Gut möglich, dass wir uns immer wieder aller­lei Unnötiges aufladen. Das wird oft beim Umziehen augen­fäl­lig. Zehn­mal bin ich bish­er in meinem Leben gezügelt. Zulet­zt habe ich meinen Eltern dabei geholfen. Und immer wieder war ich dabei erstaunt, d.h. eigentlich erschrock­en, wie viel Unnötiges dabei zum Vorschein kam. Entsorgung ist bei ein­er Züglete ein gross­es The­ma.
Den Haus­rat kann man beim Zügeln sortieren und entschlack­en. Die Erfahrung mit den Eltern hat uns dazu gebracht, wieder neu zu sicht­en, was wir wirk­lich brauchen und was nicht … ohne dass wir ger­ade einen Umzug­ster­min in Aus­sicht hät­ten.
Doch es geht nicht nur um das Materielle. Auch im eige­nen Leben lohnt es sich, immer mal wieder zu ‚grüm­ple‘, zu sortieren …. und loszu­lassen, was nicht mehr gebraucht wird, was nur noch Raum und Kraft schluckt. Dabei hil­ft die Erin­nerung an die eine oder andere Züglete. Ich weiss noch genau, wie ich damals von der Entsorgung jedes Mal erle­ichtert und ent­lastet zurück­ka­men.
Entrüm­peln kön­nte sich lohnen, sowohl im Keller, Estrich, als auch im über­tra­ge­nen Sinn im eige­nen Leben. Es gibt Vieles auszu­sortieren und loszu­lassen, was uns schon längst nicht mehr anhän­gen müsste. Und wer weiss: Vielle­icht liesse sich dabei neu ent­deck­en, dass Christi Joch wirk­lich leicht zu tra­gen ist, wenn wir uns auf nichts anderes konzen­tri­eren müssten.
Solche Über­legun­gen brin­gen mich zur bib­lis­chen Geschichte vom so genan­nten ‚reichen Jüngling’. Dass er ‚reich’ war ( wörtlich im Mk-Ev: „Er hat­te viele Güter!“), passt ganz gut. Wer umzieht, merkt, wie reich er / sie ist. Nur schon darum lohnt sich ein Umzug immer mal wieder. Reich sein heisst: Mehr haben als nötig ist. Deshalb emp­fiehlt Jesus dem Mann eine radikale Entrüm­pelungsak­tion: „Geh und verkaufe alles, was du hast und gib das Geld den Armen… - dann belastet Dich nicht mehr, was du hast. Und du bist frei, mir nachzu­fol­gen.“ Hören Sie die bekan­nte Geschichte:

Die Gefahr des Reich­tums (vgl. Mt 19,16–26; Lk 18,18–27)
17 Als Jesus weit­erge­hen wollte, kam ein Mann zu ihm gelaufen, warf sich vor ihm auf die Knie und fragte: »Guter Lehrer, was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekom­men?«
18 Jesus antwortete: »Warum nennst du mich gut? Nur ein­er ist gut: Gott! 19 Und seine Gebote kennst du doch: Du sollst nicht mor­den, nicht die Ehe brechen, nicht stehlen, nichts Unwahres über deinen Mit­men­schen sagen, nie­mand berauben; ehre deinen Vater und deine Mut­ter!«
20 »Lehrer«, erwiderte der Mann, »diese Gebote habe ich von Jugend an alle befol­gt.«
21 Jesus sah ihn an; er gewann ihn lieb und sagte zu ihm: »Eines fehlt dir: Geh, verkauf alles, was du hast, und gib das Geld den Armen, so wirst du bei Gott einen unver­lier­baren Besitz haben. Und dann komm und folge mir!«
22 Der Mann war ent­täuscht über das, was Jesus ihm sagte, und ging trau­rig weg; denn er hat­te großen Grundbe­sitz.
23 Jesus sah seine Jünger der Rei­he nach an und sagte: »Wie schw­er haben es doch die Besitzen­den, in die neue Welt Gottes zu kom­men!«
24 Die Jünger erschrak­en über seine Worte, aber Jesus sagte noch ein­mal: »Ja, Kinder, es ist sehr schw­er, dort hineinzukom­men! 25 Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reich­er in Gottes neue Welt.«
26 Da geri­eten die Jünger völ­lig außer sich. »Wer kann dann über­haupt gerettet wer­den?«, fragten sie einan­der.
27 Jesus sah sie an und sagte: »Wenn es auf die Men­schen ankommt, ist es unmöglich, aber nicht, wenn es auf Gott ankommt. Für Gott ist alles möglich.«                                                                                                                                                Markus 10,17–27 (GNB)

Zunächst geht es in dieser Geschichte um das liebe Geld. Das macht Sinn. Vielle­icht haben wir zwar kaum je den Ein­druck, zu viel davon zu haben. Und doch belastet das Geld, das wir haben. Man muss sorgfältig und ver­ant­wor­tungsvoll damit umge­hen. Man kön­nte es ver­lieren. Und dann? In unserem Sys­tem läuft gar nichts ohne Geld! Den­noch: Müssten, kön­nten wir ger­ade da loslassen? Das Geld weniger wichtig nehmen? Mehr auf den ver­trauen, der alle ver­sorgt und ernährt?
Allerd­ings geht es nicht nur ums Geld. Ich glaube sog­ar, dass es in dieser Geschichte nur ein Beispiel für ganz viele Dinge ist, die wir vielle­icht­loslassen kön­nen soll­ten. Es geht doch um die Frei­heit der Men­schen. Dabei ist Geld ‚nur‘ ein beson­ders offen­sichtlich­es Beispiel für all die Dinge, die Men­schen unfrei sein lassen. Jesu Rat: ‘Verkaufe alles, was du hast!’ heisst doch genau genom­men: “Lass alles los, was dich gefan­gen nimmt und was Dich in Dein­er Entwick­lung hin­dert! Und auch: “Löse Dich von dem, was Deine Beziehung zu Gott einschränkt!”

Wir neigen wohl dazu, dieses: ‘Verkaufe alles, was Du hast?’ als Zumu­tung, als uner­füll­bare Forderung zu hören. Der junge Mann, der sich dazu nicht in der Lage sieht, hat unsere Sym­pa­thie. Wer von uns würde denn von ein­er Sekunde auf die andere ganz dem bish­eri­gen Leben aussteigen?
Ander­er­seits: Was für ein Befreiungspo­ten­tial liegt in diesem Ratschlag Jesu? Über­legen Sie sich ein­mal: Alles loslassen, was den Tagesablauf dik­tiert und oft anstren­gend, gehet­zt und zugle­ich ein­tönig macht. Alles den Armen weit­ergeben, was wir nicht unbe­d­ingt zum Leben brauchen. Ganz abge­se­hen von der Freude, die das bei ‚Armen‘ aus­lösen dürfte: Wie viele Sor­gen, Äng­ste und Mühen wür­den wir auf einen Schlag los?! Kein stun­den­langes Brüten über Kon­toauszü­gen und Buch­hal­tung mehr. Keine Angst mehr vor Dieben, weil uns ja gar nichts mehr gestohlen wer­den kön­nte. Und wie viele Ter­mine wür­den frei? Wieviel Zeit kön­nten wir gewin­nen – um zur Ruhe zu kom­men, zu leben und uns mit den Wesentlichen Din­gen zu beschäftigen….

Reich­tum, Besitz, Verpflich­tun­gen … machen unser Leben kom­pliziert, anstren­gend und unüber­sichtlich. Eigentlich hat Jesus den reichen Jüngling mit sein­er Auf­forderung nur ein­ge­laden, sein Leben zu vere­in­fachen. – Beim Durch­se­hen mein­er Büch­er habe ich Mate­r­i­al mit dem Titel: “Sim­pli­fy your life!”, d.h. vere­in­fache dein Leben” gefun­den. Ein ganzes Kur­spro­gramm, das sich in meine Bib­lio­thek geschlichen hat und dort auf bessere Zeit­en wartete. Es ist voller guter Ratschläge. Nicht nur: „Verkaufe alles, was du hast!“ Son­dern ‚Vere­in­fache dein Leben!’ kann auch heis­sen: Räume auf in deinem Leben!’ Entsta­ple Dein Büro! Entrüm­ple Deine Umge­bung! Entschlacke Deinen Kör­p­er! Entwirre Deine Fam­i­lien­bande!, Entzerre das Ver­hält­nis von Beruf und Pri­vatleben! Ent­laste Dein Gewis­sen …
Dieses Kur­spro­gramm und die damit ver­bun­de­nen Büch­er hat­ten grossen Erfolg, waren Best­seller. Es gibt auch immer noch, nach geschätzt 15 oder 20 Jahren, eine aktu­al­isierte Web­site. Das bedeutet wohl: Es trifft einen Leben­snerv, eine Sehn­sucht viel­er Men­schen. Es ver­spricht eine Antwort auf das Gefühl: ‘Das Leben ist so unüber­sichtlich und kom­pliziert gewor­den, dass ich mich nicht mehr zurechtfinde. Es gibt so viel, was ich ange­sam­melt habe, was ich alles irgend­wie brauche, obwohl es nur rum­ste­ht, worum ich mich küm­mern muss, obwohl ich gar nicht will. Ich ersticke manch­mal fast in dem Vie­len, das ich habe, sein soll oder tun muss.‘
Sim­pli­fy your life! Das Pro­gramm enthält viele hil­fre­iche Tipps. Und es hat recht, wenn es mit ‘kleinen’ (das kann allerd­ings rel­a­tiv sein) Din­gen begin­nt, dem Aufräu­men eines Zim­mers etwa oder dem Entrüm­peln eines Schrankes. Aber ob das schon reicht? Sind eine sin­nvollere Schreibtischord­nung oder ein besseres Zeit­man­age­ment schon genug? Greift das nicht noch zu kurz? Ich bin sehr dafür, aufzuräu­men. Aber wenn, dann bitte gle­ich gründlich (radikal, d.h. von den Wurzeln her). Und das bringt mich auf den Gedanken, dass die Bibel ein noch besseres Sim­pli­fy-Buch sein dürfte. Denn dort finde ich die tief­greifend­en Antworten auf meine Lebens­fra­gen. Sie hil­ft mir, mein Leben von Grund auf, von der Wurzel her, neu zu ord­nen. Die Bibel öffnet mir den Blick auf das Wesentliche, auf das, was ich zum Leben wirk­lich brauche. Und sie gibt mir Ori­en­tierung, wie ich mit mir selb­st und mit meinen Mit­men­schen in guter Weise umge­hen kann.

“Sim­pli­fy your life, räum auf, konzen­tri­er dich auf das Wesentliche!” Das ist ganz genau der Ratschlag, den Jesus dem reichen jun­gen Mann gegeben hat. Der hat­te alles, wovon viele Men­schen nur träu­men kön­nen: Einen Arbeit­splatz und sog­ar ein eigenes, sehr ein­träglich­es Geschäft. Er war erfol­gre­ich und beliebt, hat­te Fre­unde, vielle­icht sog­ar eine Fam­i­lie, führte ein anständi­ges Leben. Und trotz­dem kam er nicht zur Ruhe. Ein ungestillte Sehn­sucht trieb ihn um. Er fühlte eine gewisse Unsicher­heit und hat­te Angst, hin­ter der Fas­sade seines erfol­gre­ichen Lebens stecke nichts als eine grosse Leere. Er suchte mit diesem Prob­lem bei Jesus Hil­fe suchte, in der Hoff­nung, den let­zten noch fehlen­den Rest zu seinem Reich­tum dazu zu bekom­men. Doch der Schock war gross. Jesus fordert ihn auf: “Verkauf alles was du hast … ” D.h. Weniger ist mehr. Das Fehlende erhältst Du nur, wenn Du zuerst loslässt, was zuviel ist.
Dahin­ter steckt die Frage: Geben dir dein Geschäft, dein Anse­hen, dein Kon­to, deine Arbeit wirk­lich Halt und Zufrieden­heit im Leben? Deck­en sie in Wirk­lichkeit deine innere Sehn­sucht nicht nur zu? Wiegen sie dich nicht in ein­er falschen Sicher­heit? Was wäre denn, wenn …? … wenn dein Geschäft zusam­men­brechen würde? … wenn du krank würdest? … wenn sich deine Fam­i­lie von dir abwen­dete, weil du nur noch Deine Arbeit im Kopf hast?So lädt Jesus den Frager ein: Lass los! Halt nicht fest, was dir nur schein­bar Halt und Sicher­heit gibt. Lass los, schaff Platz, folge mir nach. Und ich ver­spreche dir: Bei mir wirst du find­en, was dich wirk­lich hält und trägt in deinem Leben und sog­ar darüber hinaus.

Der junge Mann und auch Jesu Jünger hörten in Jesu Antwort nicht die Ein­ladung zur Frei­heit, son­dern eine Pro­voka­tion. Die war wohl notwendig. Denn wie soll man ohne Pro­voka­tion den Wahnsinn des ‘Nor­malen’ real­isieren Jesus war ein Fre­und klar­er, deut­lich­er Worte. Er hat damit manche Men­schen vor den Kopf gestoßen. Wohl dem, der sich davon nicht abschreck­en, son­dern ins Nach­denken brin­gen lässt (vgl. Mt 11,6: “Selig, wer sich nicht an mir ärg­ert!”).
Ich glaube zwar nicht, dass Jesu Rat: “Verkaufe alles, was du hast!” von allen Chris­ten buch­stäblich zu befol­gen ist. Aber in Frage stellen und ins Nach­denken brin­gen soll er uns schon. Jesus fragt auch mich ganz per­sön­lich nach meinen wun­den Punk­ten. Er will, dass ich mich frage:

  • Wo suche ich meinen Halt?
  • Was ist für mich das Wichtig­ste in meinem Leben?
  • Was ver­suche ich krampfhaft festzuhal­ten, obwohl es mich gar nicht glück­lich macht, son­dern mich behindert?
  • Was ver­stellt mir den Blick auf das Wesentliche, näm­lich auf Gott, der mich geschaf­fen hat, dem ich mich ver­danke mit allem, was ich habe und bin.

So lädt Jesus jeden und jede von uns ein: Lass los, räum auf, schaff Platz und ver­traue mir. Das und nichts anderes ist die Grund­lage für ein Leben, in dem du Sinn, Halt und ein Ziel find­est. In mir begeg­nest du Gott selb­st. Zu mir kannst du kom­men mit allem, was dich belastet und beschäftigt. Ich möchte dich ent­las­ten. Bei mir find­est du Ori­en­tierung für dein Leben. Aber es funk­tion­iert nicht, wenn du nur so ein biss­chen mit mir leben möcht­est, son­dern nur, wenn du mir wirk­lich ver­traust und mir Raum in deinem Leben gib­st. Komm! Ver­trau Dich mir an! Ganz und gar! Amen

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