Predigt zu Jesaja 6,1–8 in der EMK Adliswil am 19.10.2025

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Liebe Gemeinde,
es wird Ihnen aufgefallen sein: Der Predigttext aus Jesaja 6 und das Lied (Ich, der Meer und Himmel schuf; Nr 552 im Gesangbuch der EMK), das wir davor gesungen haben, beziehen sich aufeinander. Das ’Hier bin ich, Herr’ des Liedrefrains kommt aus dem Berufungsbericht Jesajas. Hätte der Musiker Daniel L.Schutte die Bitte eines Freundes nicht als Auftrag Gottes verstanden und sein ‘Hier bin ich, Herr!’ dazu gesagt, gäbe es das Lied nicht. Daniel L.Schutte schreibt über die Entstehung des Liedes: Im Jahr 1981 war ich Theologiestudent in Berkeley. Da bat mich ein Freund um einen Gefallen: «Dan, ich weiss, ich bin sehr spät dran. Aber ich bereit eine Ordinationsfeier vor und ich brauche Musik, die auf Jesaja 6 basiert.» Ich laborierte in diesen Tagen an einer Grippe und wehrte zunächst ab, umso mehr als ich wusste, dass die Feier bereits drei Tage später stattfinden sollte. Schliesslich sagte ich aber doch zu. Dabei war mir bewusst, dass ich ohne Gottes Hilfe und Kraft nichts zustande bringen würde. Also betete ich. Dabei kam mir die Geschichte von Samuel in den Sinn, der nachts von Gott gerufen wurde, um etwas zu tun, das er sich nicht zutraute. Dann machte ich mich an die Arbeit. Bis zur letzten Sekunde nahm ich noch Änderungen vor. Als ich das Lied meinem Freund vorlegte, war ich sehr unsicher. Umso mehr staunte ich, auf welche Begeisterung das Lied stiess. Die Menschen liebten das Stück und fanden sich wieder in dem Dialog zwischen Gott und uns. Dieser Dialog ist ja der Kern des Liedes.
Bis heute ist ‘Here I am’ bzw. ‘Ich bin hier, Herr’ das bekannteste Lied von Daniel L.Schutte. Und es ist darüber hinaus ein Paradebeispiel dafür, wie Musik die konfessionellen Grenzen sprengen kann. Es erfreut sich im englischen Sprachraum in allen christlichen Denominationen grosser Beliebtheit. – Übrigens: Dan Schutte ist Jesuit und katholischer Theologe. Er ist Gründer der St.Louis Jesuits, einer Gruppe von Komponisten, die seit den 70er-Jahren römisch-katholische Erneuerungsmusik im Geiste des 2. Vatikanischen Konzils schuf. Und er ist, soviel ich weiss, noch immer unterwegs auf ausgedehnten Touren mit christlichen Konzerten.
«Hier bin ich, Herr!» — «Ich will gehn, Herr. Führe du mich!» — So findet die Bereitschaft Ausdruck, zu der sich Dan L.Schutte auf die Bitte seines Freundes durchgerungen ist. Dieselbe Bereitschaft, sich senden zu lassen, zeichnet den Propheten Jesaja aus, wie wir im Predigttext gehört haben. Als Gott nach einem Boten fragt, sagt er: «Hier bin ich! Sende mich!
Solche Bereitschaft ist nötig, um im Namen Gottes aufbrechen zu können. Unabhängig von der Situation. Ungeachtet dessen, was einem selbst gerade am liebsten wäre. Gehen, reden, tun … was immer gerade wichtig ist … wozu immer Gott ruft.
In Film und TV sind sie die grossen Helden: Jene, die als einzige die Situation richtig einschätzen können. Die Kopf und Kragen riskieren, um das Land, die Welt, den Frieden oder was auch immer zu retten. James Bond z.B., oder TV-Kommissar:innen.
Aber auch im Alltag gibt es sie. Vielleicht weniger dramatisch als im Film, dafür umso wichtiger: Notärzte und Rettungssanitäterinnen, Feuerwehrleute, Bergretter:innen; Personenschützer:innen, Care-Teams. Wenn sie Bereitschaft haben, dann brechen sie sofort auf, wenn ein Alarm kommt. Ob im Konzert, ob auf einem Fest, ob aus dem Tiefschlaf mitten in der Nacht. Sie sind bereit, wann immer sie gerufen werden.
Im übertragenen Sinn leben auch wir Christ:innen in Bereitschaft. Es ist unsere Berufung, zum Dienst für Gott bereit zu sein. – Beim Stichwort Berufung denken zwar im kirchlichen Umfeld viele an Pfarrer:innen, Missionar:innen, Jugendmitarbeiter:innen etc. Dabei geht leicht vergessen, dass Berufung viel mehr Facetten hat. Die Berufung zu einem vollzeitlichen Dienst ist sogar eher die Ausnahme und sicher ein Spezialfall. Berufung hat zuerst und vor allem mit unserem ganzen Leben und Glauben zu tun – mit unserem Alltag, unserem Beruf, unserer Familie, unserem Umfeld.
Martin Luther hat den Begriff „Beruf“ geprägt. Für ihn war klar: Jede Tätigkeit kann, ja sollte Berufung sein – weil sie ein Dienst an Gott und den Menschen ist. Dazu nämlich sind Christ:innen berufen: Gott und den Menschen zu dienen. Das gilt bis heute. Ob jemand im Büro arbeitet, in der Pflege, in einer Schule, im Handwerk, in der Landwirtschaft, in der Technik, in Politik, Kunst oder zu Hause – jede Aufgabe kann mehr sein als ein „Job“. Sie kann und will ein Ort sein, an den Gott uns sendet. Gott braucht uns. Gott ruft uns, ihm zu dienen, wo wir auch gerade sind. Was wir auch gerade tun. Er sucht immer und überall Menschen, die sagen: «Hier bin ich, sende mich!»
So ist es auch in der Berufungsgeschichte des Propheten Jesaja, dem freilich zunächst Zweifel kommen. Er erlebt Gott intensiv – überwältigend, heilig, grösser als alles, was er bisher kannte. Deshalb erschrickt er und empfindet: Vor diesem Gott bin ich klein, unrein, unzulänglich. Doch Gott korrigiert diesen Eindruck. Er lässt ihn nicht in seiner Angst sitzen. Nein, ein Engel kommt und berührt ihn mit einer glühender Kohle. In diesem Bild klingen verschiedene Aspekte an: Reinigung, Vergebung, Inspiration, Befähigung, neuer Anfang.
Und dann fragt Gott: «Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?» Und Jesaja kann antworten: «Hier bin ich, sende mich!» Er ist bereit. Nicht, weil er alles kann und vermag. Nicht, weil er trainiert und ausgebildet ist. Nicht, weil er sich stark fühlt, vollmächtig. Sondern weil er sich Gott anvertraut. Weil er sich darauf verlässt: Der mich beruft, beauftragt, der wird mich auch fähig machen.
Und wir? Sind wir bereit? Bist Du in der Lage zu sagen: ‘Hier bin ich! Sende mich?
Wenn wir auf unsere Talente und Fähigkeiten schauen, könnte es schwierig werden! Warum sollten ausgerechnet wir Gottes Bot:innen sein können? Warum ausgerechnet wir in Gottes Namen die Welt verändern können? Wir kommen ja kaum mit den Veränderungen um uns herum zurecht. Und Veränderungen in der Kirche fordern uns heraus. Das ist schwierig. Wie sollen wir aushalten, dass sich Gemeinde so sehr verändert. Wie klein sie geworden ist. Wie schwach. Wie zerbrechlich. Sollte Gott wirklich uns, mich, dich brauchen wollen und brauchen können!?
Ja. Das kann er. Will er. Und wird er. Wir sind berufen, Gottes Liebe zu erfahren und zu leben. Wir sind dazu in der Lage. Weil Gott uns befähigt und ausrüstet. Weil seine Kraft und sein Segen entscheidend sind. Weil er eine Vision hat für uns. Weil er uns Schwung und Rückenwind gibt, um aufzubrechen, auf sein Wort hin.
Um den Druck noch etwas abzufedern: Wir müssen nicht die ganze Welt verändern und retten. Das wollen schon zu viele, die gar nicht dazu berufen sind. Es geht nicht um die grossen Helden- und Machttaten. Sondern es geht darum, als von Gott Berufene unseren Alltag zu gestalten. Darum, dass wir Gott in unseren Beziehungen, Begegnungen und Tätigkeiten ein Gesicht geben. Darum, dass wir tagtäglich bereit sind zu tun, was ihm wichtig ist. Sind wir bereit?
- Bereit, zuzuhören, wo jemand Aufmerksamkeit braucht?
- Bereit, Gerechtigkeit einzufordern, auch wenn es unbequem ist?
- Bereit, zu teilen, wo anderen etwas fehlt?
- Bereit, für Menschen zu kämpfen, die resigniert haben?
- Bereit, Hoffnung auszustrahlen, wo Mutlosigkeit herrscht. Und falls nötig, für die zu hoffen, die keine Hoffnung mehr haben?
- Bereit da zu bleiben, wo andere davon rennen?
- Bereit zu glauben, wo Menschen zweifeln?
- Bereit Zeit zu teilen, wo niemand Zeit hat?
Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied ausmachen. Bereitschaft und Berufung sehen oft ziemlich unspektakulär aus. Aber sie sind real. Wichtig. Nötig. — Gott fragt nach unserer Bereitschaft – und er möchte, dass wir uns im Kleinen wie im Grossen senden lassen. Dass wir bereit sind, da zu sein, zu reden, zu handeln. In seinem Namen.
«Hier bin ich, sende mich!» – Das ist keine einmalige Entscheidung. Es ist eine täglich erneuerte Haltung. Es ist ein Gebet, mit dem wir jeden Tag in Angriff nehmen können: «Ich bin bereit. Gott, zeig mir heute, wo und wie ich heute wichtig bin, wie ich in Deinem Namen wirken kann»
Bereit zu sein heisst übrigens nicht, perfekt zu sein und alles im Griff zu haben. Eher schon, wie es bei ‘Mona mittendrin’ (→ SRF Sendung) heisst: ‘Auf nichts vorbereitet, aber auf alles gefasst.’ Wir sind offen und bereit, das heisst.:. Wir geben Gott die Freiheit, uns zu brauchen – mit all unseren Stärken und trotz unserer Schwächen. Wir bleiben treu dran und erinnern uns, was Paulus schreibt: «Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.» Man fordert nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie treu sind!» (1.Kor 4,1f)
Bereit sein zum Aufbruch. Vielleicht nur im Kleinen. Aber konkret. Echt. Und darin Gott und Menschen treu sein. Vielleicht aber auch im Grossen, in Dingen, die wir uns eigentlich gar nicht zutrauen. John Wesley sagt es so: «Wir sollten nicht danach fragen, ob ein Auftrag durchführbar ist, sondern vielmehr, ob er befohlen wird! Wenn der Ruf des Herrn ergangen ist, werden wir spüren, dass wir irgendwie vorwärts kommen, sei es wie Petrus über das Wasser oder wie Israel durch die Fluten!»
Jesajas Geschichte lädt uns ein, neu auf Gottes Ruf zu hören und uns von ihm senden zu lassen: Gott ruft – und er fragt nach unserer Bereitschaft. Die Engel singen: «Die ganze Erde ist erfüllt von Gottes Herrlichkeit.» Mag sein, dass wir das an vielen Orten überhaupt nicht sehen. Und doch sind wir berufen, genau das sichtbar zu machen. Dass Gott da ist. Da sein Reich wächst. Mitten unter uns.
Dazu braucht es nicht mehr, als dass wir sagen: «Hier bin ich, sende mich.»! Amen