Predigt in der EMK Adliswil am 16.11.2025 zu Markus 4,3–9

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Liebe Gemeinde,
zum vorläufig letzten Mal predige ich heute über den ‘Segen des Aufbruchs’ (→ Es ist die 7. Predigt seit den Sommerferien. Falls jemand eine verpasst hat: Von allen Predigten liegen noch Ausdrucke auf. Oder: Siehe Website oder Blog). Das Ziel dieser Predigten war/ist, etwas Mut zu machen für Veränderungen und Schritte. Im persönlichen Leben genauso wie im Miteinander als Gemeindebezirk. Wenn die Angst etwas kleiner und dafür Vertrauen und Mut etwas grösser geworden sind, wäre viel gewonnen.
Viele Aspekte vom Aufbrechen sind zur Sprache gekommen. Hoffentlich ist Manches klarer geworden. Und der Glaube daran gewachsen: Aufbrechen ist verheissungsvoll. Gottes Segen begleitet uns und geht uns voran, wo wir Schritte tun. Nicht ‘wegpredigen’ lässt sich freilich, dass aufzubrechen Mut verlangt. Es ist eine Challenge. Ist mit Risiken verbunden. Jeder Aufbruch ist ein Schritt in die Unsicherheit. Es braucht darum Vertrauen. Dabei tun wir wohl manche Schritte ‘contre-coeur’ oder gegen das Bauchgefühl. Schliesslich ist uns oft sehr bewusst, was schief gehen könnte. Nur: Null-Risiko gibt es nicht. Nicht einmal im Glauben. Ausserdem: Auch wer stehen bleibt, geht ein hohes Risiko ein: Er/sie könnte das Leben schlicht verpassen. Und viele gute Erfahrungen mit Gott blieben ‘ungelebt’.
Wir hören heute von einem, der sehr viel riskiert hat. Ich lese ein sehr bekanntes Gleichnis aus Markus 4,3–9. Jesus schliesst es mit einem Aufruf ab: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Damit lädt er zum Mitmachen ein. Mir ist wichtig, von Anfang an zu unterstreichen: Hier geht es nicht nur ums Zuhören, sondern ums Umsetzen. Wir sollen tätig werden. Es ausprobieren. Denn: Probieren geht über Studieren. Gerade im Reich Gottes.
Lesen: Markus 4,3–9
Dieser Bauer arbeitet seltsam. Auf der landwirtschaftlichen Schule müsste er gelernt haben, dass unvernünftig ist, was er tut. Man könnte sagten: Der spinnt! Saatgut ist nämlich rar und teuer. Das verstreut man doch nicht derart sorglos und verschwenderisch. Er müsste viel besser auf den guten Boden zielen. Nur dort gibt es schliesslich Chancen, dass das Ganze sich rechnet!
Jesus hält allerdings nicht eine Lehrstunde über effiziente Landwirtschaft. Sondern er zeigt mit diesem ungewöhnlichen Bauern: Gott arbeitet ganz anders. Riskanter, hoffnungsvoller, grosszügiger als Menschen das tun würden.
Das Sprichwort sagt: ‘Probieren geht über Studieren!’ Es bringt zum Ausdruck: Man muss in die Aktion kommen. Viele Gedanken vorher mögen wichtig und sinnvoll sein. Doch es passiert schlicht nichts, solange nicht gesät wird. Man mag planen und Risken abwägen. Man mag über technische Lösungen nachdenkt, die den Samen nur an die optimalen Stellen bringt. Man mag Gefahren vermeiden. Solange man ‘studiert’, wächst nichts. Man muss etwas tun. Muss säen. Muss ausprobieren. Erfahrungen sammeln. Auf das Risiko hin, dass nicht jedes Samenkorn Frucht bringen wird.
Jesu Säemann geht die Sache hoffnungsvoll und im Vertrauen an. Man könnte ihm wohl Naivität vorwerfen. Weil er nicht jahrelang den Boden analysiert. Keine Versuche mit Düngemitteln macht. Nicht auf Messen reist, um die perfekte Saatmaschine zu finden. Weil er nicht an einem ausgeklügelten Bewässerungssystem tüftelt. Ja, er entfernt nicht einmal alle Steine vom Acker. Sondern er wird aktiv und sät, was er hat. Grosszügig und mit vollen Händen. – Das ist das Hauptanliegen im Reich Gottes: Der Samen muss gesät werden. Gute Theologie mag wichtig sein. Planung und Vorbereitung sind nicht zu unterschätzen. Die Analyse von Situationen kann hilfreich sein … Doch letztlich ist alles ‘Studieren’, über das man hinauskommen muss. Es geht ums Probieren. Ums Tun. Probieren geht über Studieren.
Gott ist ein Gott der Tat. Entsprechend sucht er nicht Denker:innen und Bedenken-Träger:innen, sondern Menschen, die wie er mutig und grosszügig, mit vollen Händen säen.
In Jesu Gleichnis geht ein grosser Teil des Samens verloren. Die Zusammenhänge dahinter sind im einzelnen, wie das Mk-Ev selbst erklärt (vgl. Mk 4,13–20):
- Manches fällt auf den Weg. Dort werden die Samen werden von Vögeln aufgefressen. So gibt es keine Chance auf eine Ernte. — Gemeint sind hier Menschen, die das Evangelium wohl hören, es aber nicht an sich heranlassen. Es geht gleich wieder vergessen. Dazu mag der Stress des Alltags beitragen. Es mögen Ablenkungen mitspielen. Es gibt ‘Gegen-Botschaften’ (Mk 4,15 spricht sogar davon, dass der Satan die Körner wieder wegnehme). Dennoch sät der Bauer auch auf den Weg. Er lässt sich vom hohen Risiko auf dem festgetretenen, harten Boden weder entmutigen noch abhalten. Es könnte doch sein, dass das eine oder andere Samenkorn von den Vögeln übersehen wird.
- Anderes fällt auf den Felsen. Gemeint ist ein Boden, auf dem nur eine dünne Humusschicht liegt. Darunter stossen die Wurzeln schnell auf harten Stein. Die Folge: Der Same geht zwar zunächst auf, verbrennt aber bald, weil er keine Tiefe findet. Es gibt nur kurzfristig Erfolge. Aber die Nachhaltigkeit fehlt. ‑Da geht es um Menschen, die das Evangelium zunächst begeistert aufnehmen. Bei den ersten Schwierigkeiten lassen sie es aber wieder fallen. Eine kritische Bemerkung, ein leiser Zweifel, etwas Gegenwind. Und schon ist es vorbei. Aus wirtschaftlicher Sicht macht es keinen Sinn, auf dünnen Boden zu säen. Doch die Perspektive des Reiches Gottes ist eine andere. Jesu Bauer sät trotz der Risiken. Weil es ja anders sein könnte, als man erwartet.
- Etliches fällt schliesslich unter die Dornen: Die aufgehende Saat wird vom Unkraut erstickt. Die gute Nachricht von Gottes Liebe wird wieder verdrängt und bleibt unfruchtbar. — Das Bild denkt an Menschen, die sich von Sorgen, Reichtum oder anderen Sehnsüchten vereinnahmen lassen. Das Evangelium kann zwar keimen, kommt aber doch nicht zum Zug und wird wieder erstickt. Dennoch bekämpft der Bauer nicht das Unkraut, sondern sät. Auch solchen Boden gibt er nicht auf. Das Aber der Hoffnung lässt ihn auf allen Böden säen.
Jesu Gleichnis bedeutet eine Befreiung von Perfektionismus und maximalen Erwartungen. Weder im persönlichen Glauben noch in den Aktivitäten als Gemeinde müssen wir perfekt sein. Wir können und müssen nicht jeden Boden kontrollieren. Unsere Aufgabe ist das “Probieren”: Säen in aller Vielfalt, grosszügig selbst da, wo mit Widerstand, Scheitern oder Enttäuschung zu rechnen ist. Mut zum Experiment ist gefragt. Allerdings auch die Fähigkeit, ein Experiment abzubrechen und etwas anderes zu probieren, wenn eine Idee nicht funktioniert.
Jesus macht mit seinem Gleichnis Mut dazu. Sein Bauer zeigt auf, dass sich das “Probieren” schliesslich auszahlt:
- Manches fällt auf guten Boden: Da geht der Samen auf, wächst und bringt erstaunlich reiche Frucht – dreissigfach, sechzigfach, ja hundertfach. Also nie die Hoffnung aufgeben, dass Menschen das Evangelium hören. Immer darauf gefasst sein, dass sie die gute Nachricht auch annehmen und Frucht bringen. Das gleicht alle Risiken und Verluste aus.
- Dabei bleibt der ganze Vorgang für den Bauern geheimnisvoll. Er weiss ja offensichtlich nicht genau, wo guter Boden ist. Er sät einfach überall. Das Wachstum aber passiert nicht dank seiner Anstrengung/Leistung. Sondern Gott lässt wachsen. Seine Dynamik, seine Kraft führt zur Ernte.
- Das Prinzip hinter diesem Gleichnis ist wirklich: “Probieren geht über Studieren”. Hätte der Bauer nur gesät, wo er hundertprozentig sicheren Ertrag erwarten konnte, wäre wohl nicht ein Korn in die Erde gelangt. So kommt es, wenn wir zu viel ‘Studieren’. Das Probieren aber wird belohnt mit reicher Frucht. Grosszügiges und mutiges Handeln lohnt sich.
Wir haben den Auftrag zu säen. Aufzubrechen also. Indem wir die von Gott erfahrene Liebe ausleben. Indem wir unseren Glauben teilen. Indem wir mutig handeln und Mitmenschen freundlich, empathisch begegnen. Indem wir das Evangelium bezeugen. Für die Qualität des Bodens, auf den wir so säen, sind wir nicht verantwortlich. Wir können den Menschen die Freiheit zur Entscheidung lassen und darauf vertrauen, dass Gottes Gnade geheimnisvoll wirkt. Der Frust über ‘verlorene’ Samen braucht uns nicht zu lähmen. Denn die Wirkung auf dem guten Boden macht das Wagnis lohnenswert.
Jesus beendet sein Gleichnis mit der Aufforderung: “Wer Ohren hat zu hören, höre!” Damit ist die Umsetzung des Gleichnisses angemahnt. Es ist eben nicht eine schöne Geschichte nur zum Zuhören. Sondern wir sollen ins Mitmachen kommen, als Säemann und Säefrau aktiv werden.
Fragen wir abschliessend ganz praktisch: Wo und wie im Leben hält dich das ‘Studieren’ (→ Zögern, Analysieren, Angst vor Fehlern, Perfektionismus) vom ‘Probieren’ (→ Handeln, Reden, Helfen) ab? Oder noch besser: Wie kommst du zum Säen?
- Im Glauben: Bete, auch wenn du die perfekten Worte nicht findest. Lebe den Glauben, d.h. das Vertrauen auf Christus. Meine nicht, zuerst alles verstehen zu müssen. Lange nicht alles lässt sich mit unserer Logik erklären. Es gelten im Glauben noch andere Prinzipien als ‚Ursache-Wirkung‘. Manches muss man schlicht wagen, d.h. probieren. Darum brich auf und bete, diene, vergib, liebe. – Probieren geht über Studieren.
- In der Gemeinde: Probiere etwas Neues aus. Du magst nicht sicher sein, ob es funktioniert. Vielleicht fühlst du dich auch nicht 100% qualifiziert. Wage es trotzdem. Denn die Gemeinde ist ein Experimentierfeld: Neue Formen von Gemeinschaft, Gottesdienst oder Diakonie können entstehen, wenn wir etwas ausprobieren. Und keine Angst davor, dass etwas schief gehen könnte. Man kann ja etwas lernen und beim zweiten Mal anders machen. – Probieren geht über Studieren.
- Im Alltag: Hilf spontan, grüss jemanden, sage etwas Ermutigendes, frage nach. Auch wenn Du nicht sicher bist, wie es ankommt. Sag jemandem ein ermutigendes Wort, auch wenn du Sorge hast, dass es in den falschen Hals geraten könnte. – Probieren geht über Studieren.
Gott traut uns viel zu. Er hat die Haltung, die den Bauern säen lässt. Gott vertraut darauf, dass in uns und in anderen etwas wächst, wenn wir aktiv werden. Und er fördert dieses Wachstum auf geheimnisvolle Weise. — Wir sind aufgerufen, das Evangelium und die Liebe Gottes so grosszügig auszuteilen, wie der Bauer aus Jesu Gleichnis den Samen ausstreut. Wir vertrauen darauf, dass Gott dafür sorgt, dass sich das Wagnis des Glaubens lohnt.
„Wer Ohren hat zu hören, höre!“ – Jesus lädt uns ein, mitzumachen. Nicht nur zuzuhören, sondern auszuprobieren. Denn: Probieren geht über Studieren – gerade im Reich Gottes. Amen.
