Predigt zum 2. Advent am 07.12.2025 in der EMK Adliswil zu Jesaja 35,1–10

Liebe Gemeinde,
„wir sind wie Israel in der Wüste. Zurück nach Ägypten können wir nicht. Doch das gelobte Land sehen wir noch nicht.“ So empfinde ich die Situation unseres Gemeindebezirks. Das habe auch an der a.o. BV formuliert. Sollte dieses Gefühl zutreffen, was wäre dann ein angemessenes Verhalten? Wie könnte in der Wüste Hoffnung zu finden sein, die uns weiterträgt?
Für den 2. Advent ist als Predigttext ein Abschnitt aus Jesaja 35 vorgeschlagen. Darin geht es um die Wüste. Freilich eher im Sinne von ‚die Wüste lebt‘ (→ legendärer DOK-Film von Walt Disney aus dem Jahr 1953). Dazu passt, dass die Wüste in Israels Erinnerung auch für eine unvergleichliche Nähe Gottes steht. So viel auch schwierig war. Auf der Wüstenwanderung war Israels Gottesbeziehung so unmittelbar und echt, wie nachher nie wieder.
Für Mitteleuropäer:innen, die ein gemässigtes Klima schätzen, ist die Wüste hingegen in erster Linie gefährlich: Endlose Flächen voller Sand und Staub, flirrende Hitze, kein Schatten, keine Wasser, kein Leben. Da will man nicht sein und schon gar nicht bleiben. Darum ist die Wüste zum Symbol in unserer Sprache und unserer Seele geworden. Sie steht für Leblosigkeit, Kargheit, extreme Not. Sie ist der Ort, an dem die Hoffnung verdorrt.
Wir kennen solche Wüsten aus eigener Erfahrung:
- Die Wüste des Alltags: Wir sind ständig am Funktionieren. Oft im Stress. Dabei fehlt Abwechslung. Routine legt einen grauen Schleier über alles. Der Alltag kann sein wie eine der Maschinen von Tinguely: Alles bewegt sich. Und doch kommt man nirgendwo hin.
- Die Wüste der Seele: Sie fühlt sich an wie Einsamkeit, wie Trauer oder geistliche Trockenheit. Oder wir fühlen gar nichts und sind einfach leer.
- Die Wüste in Beziehungen: Vertrauen und Liebe sind zu Sand geworden und verstopfen das Getriebe. Kleinigkeiten gehen auf die Nerven. Und Worte gehen aneinander vorbei.
- Die Wüste in Gemeinde und Kirche: Wir reden von Gott und spüren ihn nicht. Wir glauben an die Gute Nachricht, doch die Freude fehlt. Wir machen Angebote, doch kaum jemand lässt sich einladen.
In solche Wüstenerfahrungen hinein spricht der Prophet Jesaja. Konkret meint er Israeliten im babylonischen Exil. Sie empfanden: ‘Wir leben in einer inneren Wüste: Die Heimat ist verloren. Die Hoffnung verdorrt. Die Schuld der Vergangenheit drückt.Wir sind verloren und vergessen!‘ Der Prophet aber malt ein Kontrast-Bild. Es wirkt fast zu schön, um wahr zu sein: Die Wüste blüht, die Steppe jubelt, Wasserquellen brechen auf, und am Horizont liegt ein sicherer Weg, der „heilige Weg“, auf dem die Erlösten heimkehren werden. Nicht bloss ein guter Wetterbericht. Sondern die Botschaft: Gott greift ein und stellt das Leben Israels wieder her. Die Verheissung lautet: Die Wüste wird erblühen! – Hören Sie Jesaja 35,1–10 in der Übertragung der Gute Nachricht Bibel:
I. Die Vision: Trost und der Befehl zur Freude (V. 1–4)
Jesajas Vision widerspricht unserer Wüsten-Erfahrung diametral (V.1f): «Die Steppe soll sich freuen, das dürre Land glücklich sein, die Wüste jubeln und blühen! Mit Blumen soll sie sich bedecken, jauchzen und vor Freude schreien!» Er sieht es live vor sich: Ausgetrocknete, verbrannte Orte werden zum Paradies, voller Schönheit und Pracht. Wo nur Staub, Sand und Wind herrschten, entsteht ein Wald im auf dem legendären Libanon. Verzweiflung löst sich auf. Jubel bricht sich Bahn.
Wobei das Wunder der blühenden Wüste nur der Rahmen ist. Vor allem packt Freude die Menschen im Exil. Resignierte leben auf, Mutlose wagen etwas, Verzweifelte hoffen. Allerdings müssen sich die Menschen dafür einen Ruck geben. Darum hat der Zuspruch einen mahnenden Unterton (V.3f): «Macht die erschlafften Hände wieder stark, die zitternden Knie wieder fest! Ruft den verzagten Herzen zu: »Fasst wieder Mut! Habt keine Angst! Dort kommt euer Gott! Er selber kommt, er will euch befreien!»
Jesaja weiss: Wo Hoffnung schwindet, werden Menschen innerlich müde und wackelig. Die Hände erschlaffen, die Knie wanken. Umgekehrt kann innerlich erstarken, wer äusserlich Haltung annimmt. Darum dieser Befehl zum Trost: «Du sollst stark sein! Du brauchst dich nicht fürchten!» — Warum? Weil die Verwandlung nicht durch unsere eigene Kraft geschieht. Sondern Gott kommt selbst, um zu retten.
Das heisst: Dieses Blühen der Wüste ist kein flüchtiger glücklicher Zufall. Sondern es ist die Folge eines Aktes der Gerechtigkeit. Gott selbst kommt und nimmt die Sache in die Hand. Darum: «Macht die erschlafften Hände wieder stark, die zitternden Knie wieder fest!» Denn: Gott kommt.
II. Die Zeichen: Heilung von Leib und Land (V. 5–7)
Das ändert alles. Totale Veränderung. Gott kommt und heilt von Grund auf.
Zunächst spricht der Prophet von der Heilung der Menschen (V.5f): «Dann können die Blinden wieder sehen und die Tauben wieder hören. Dann springt der Gelähmte wie ein Hirsch und der Stumme jubelt vor Freude.» Behinderungen, die die Menschen in ihrer Wüste festhielten, werden aufgehoben. Wir mögen uns geistlich blind fühlen und keinen Weg sehen, der weiterführt. Wir mögen taub geworden sein für Gottes Wort. Wir mögen lahm geworden sein, unfähig zum Handeln und mutlos. Doch Gott verspricht Wiederherstellung und Heilung: Die Wüste blüht auf, weil der Mensch gesund wird und sich wieder bewegen, sprechen, hören und sehen kann.
Dann ist auch die Rede von der Heilung des Landes (V.6b.7): «In der Wüste brechen Quellen auf und Bäche ergiessen sich durch die Steppe. Der glühende Sand verwandelt sich zum Teich und im dürren Land sprudeln Wasserquellen.» In der Wüste war Wasser nur eine Fata Morgana. Ein Trugbild. Eine schmerzhafte Täuschung. Jetzt bricht das Wasser wirklich hervor. Verbrannte Erde wird zum Teich. Lebensfeindliche Wüste wird zur lebensspendenden Oase. Gott schafft nicht nur neue Landschaften, er verwandelt das Wesen der Dinge.
Die Heilung ist umfassend: Sie betrifft das Innere (→ Seele), das Äussere (→ Körper) und die Umwelt. Das Aufblühen der Wüste wird zum sichtbaren Zeichen, dass die Herrschaft von Tod und Dürre zu Ende sind.
III. Das Ziel: Der Heilige Weg zur ewigen Freude (V. 8–10)
In der so erneuerten Landschaft öffnet sich ein Weg für alle Geretteten: «Eine feste Straße wird dort sein, den ‘heiligen Weg’ wird man sie nennen.» Dieser Weg ist sicher und klar, extra für die Befreiten gebaut. Dort gibt es keine Raubtiere (Raubtiere sind im biblischen Kontext oft Symbole für das Böse und die Gefahr). Die Ängste und Bedrohungen der Wüste sind verschwunden. Dieser sichere Weg ist der Glaube, d.h. das Vertrauen auf Gott, das uns zum Ziel führt. Dieses Ziel wird so beschrieben: «Sie, die der HERR befreit hat, kehren heim; voll Jubel kommen sie zum Zionsberg. Aus ihren Augen strahlt grenzenloses Glück. Freude und Wonne bleiben bei ihnen, Sorgen und Seufzen sind für immer vorbei.
Die Freude ist nicht vorübergehend und mehr als ein Gefühl. Sie bleibt als Kraftquelle. Dagen müssen Sorgen und Seufzen die ständigen Begleiter in der Wüste weichen. Sie sind für immer vorbei. — Gott bringt also die Wüste zum Blühen, um seinen Menschen einen sicheren Weg nach Hause zu schaffen. Und Ziel seines heilenden Handelns ist: Bleibende und ungetrübte Freude bei Gott.
IV. Was machen wir mit diesen Bildern?
So weit, so gut. Eine tolle Bildersprache, die der Prophet kreiert. Aber wie hilft sie uns in unseren Wüstenzeiten?
Schauen wir zunächst aufs NT: Motive aus Jesaja 35 tauchen nämlich in den Geschichten von Jesus wieder auf: Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen, Stumme reden… Da wird Wirklichkeit, was der Prophet verspricht. In Christus kommt Gott. In ihm beginnt die Heilung. In ihm tut sich die Zukunft. – Der Täufer fragte Jesus, ob er wirklich der Erwartete sei. Und Jesus antwortete mit Jes 35: «Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote werden auferweckt.» Also: Gott lässt die Wüste erblühen, wo Menschen Christus vertrauen. In der Begegnung mit ihm lässt sich erleben: Blockaden lösen sich. Es entsteht eine neue Spur. Und wo alles grau war, leuchten intensive Farben auf.
Was heisst das für unser Leben? Zuerst: Unsere Wüsten dürfen beim Namen genannt werden. Es muss nichts schöngefärbt werden. Die Bibel kennt Klage, Ratlosigkeit, Durststrecken. Vielleicht darf im Advent zuerst ehrlich gesagt werden: «Gott, hier ist meine Wüste: meine Erschöpfung, meine Angst, meine Schuld, meine Einsamkeit.» Und dann in die eigene Wüste hinein Gottes Wort gehört werden: «Keine Angst. Dein Gott kommt und wird Dir helfen!»
Weiter werden wir zu Schritten auf dem ‘heiligen Weg’ ermutigt. Hände werden nicht auf einen Schlag stark. Kraft in den Knien muss wachsen. Doch beides wird, wenn wir anfangen: Ein Anruf bei einem Menschen, mit dem etwas zu klären ist. Ein Besuch bei jemandem, der allein ist. Ein neuer Anfang mit Beten, vielleicht nur wenige Sätzen am Tag. So entstehen Wege, wo vorher nur Wüste war. Gerade wo wir uns für Mitmenschen und Gott engagieren, fällt Regen auf unsere Wüsten. Und das Blühen beginnt. Gott hat die Welt so gebaut, dass geteilte Last leichter wird und geteilte Freude grösser. Der Weg durch die Wüste ist nie ein Soloweg.
Unser Predigttext schliesst mit der Verheissung: «Sie, die der HERR befreit hat, kehren heim; voll Jubel kommen sie zum Zionsberg. Aus ihren Augen strahlt grenzenloses Glück. Freude und Wonne bleiben bei ihnen, Sorgen und Seufzen sind für immer vorbei.» Auf dieses Ziel geht Gott mit seiner ganzen Schöpfung zu: Die neue Welt, in der alle Tränen abgewischt sind und Wüsten für immer blühen. Diese Zukunft nimmt nichts von der Schwere unserer Gegenwart, aber sie stellt sie in ein anderes Licht. Wer weiss, dass die Wüste nicht das letzte Bild des Lebens ist, kann in der Wüste anders gehen.
«Die Wüste wird aufblühen!» Das ist Gottes Zusage an alle, die sich ihm anvertrauen. Mag sein, dass wir noch weit weg sind vom üppigen Blütenteppich. Aber da und dort sind Blüten zu entdecken: Ein Wort, das trägt; jemand, der sich neu einsetzt; eine Begegnung, die Lust macht auf mehr; ein Mensch, der bleibt; eine Kraft, die uns zuwächst. Halten wir solche kleinen Zeichen fest. Sie sind Vorboten der grossen Verwandlung, die kommen wird. Gott wird unsere Wüsten aufblühen lassen. Amen.
