Unterwegs zu Hause

Lukas 9,57–62

Predigt am 18.08.2024 in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,

der Wan­der­steck­en in mein­er Hand zeigt an, dass auch heute Bezüge zu mein­er Wan­derung im Som­mer Teil der Predigt sind. Zum Ein­stieg sehen Sie das The­ma einge­blendet: Unter­wegs zu Hause. – Was löst diese For­mulierung in Ihnen aus? Leuchtet sie ein? Stört sie? Löst sie Wider­spruch aus?

Am let­zten Son­ntag lautete das The­ma: Auf dem Weg. Es ging darum, wie sehr unser Glauben und Leben auf dem Weg geschieht. Heute spitze ich das mit ‚unter­wegs zu Hause‘ zu. Damit teile ich eine Frage mit Ihnen, die mich schon lange begleit­et und die auf dem Weg neue Aktu­al­ität gewann. Ohne dass ich sie abschliessend beant­worten könnte.

Doch der Rei­he nach: Wir sind Auf dem Weg. Jesus nach­fol­gen bzw. an Chris­tus glauben bedeutet: auf dem Weg sein. Ob uns immer klar ist, wie sehr wir damit her­aus­fordert sind? Mit Jesus auf dem Weg sein ist eigentlich eine nomadis­che Lebens­form. Das Nomadis­che ist uns aber ziem­lich fremd. Als Gesellschaft ste­hen wir ihm ja ziem­lich kri­tisch oder sog­ar ablehnend gegenüber: Fahrende wer­den als ‚Zige­uner‘ beschimpft und auf wenige und kleine Flächen begren­zt. Mit Migra­tion haben wir grosse Schwierigkeit­en. Selb­st Flüch­t­ende nehmen wir eher grum­mel­nd auf. Unser Lebensstil ist sesshaft. Wir haben uns unser ‚Plätzchen‘ erobert, das wir ener­gisch vertei­di­gen. – Ich habe den Ein­druck, dass das nicht nur für unser Wohnen und Leben gilt. Son­dern auch für unsere Überzeu­gun­gen, Konzepte und Gedanken.

Unser Leben ist von Sesshaftigkeit geprägt. Vom Wun­sch und Bemühen, unseren Platz und Stand­punkt zu sich­ern. Zu bleiben, wo wir sind. Zu bewahren, was wir erre­icht haben. Und die Erin­nerung an das, was war, zu pfle­gen. Das prägt auch unser Miteinan­der als Kirche: Wir sind mehr Insti­tu­tion als Bewe­gung. Die Tra­di­tion zu bewahren fällt uns leichter als im Auf­bruch zu leben. – Die Frage sei erlaubt: Kön­nen wir so Jesus wirk­lich nach­fol­gen? Oder ver­har­ren wir nicht eher an Ort und Stelle …. und hof­fen, dass er uns mal wieder besucht?
Das beschäftigt mich: Wie kön­nen wir dem Wesen des Glaubens als Nach­folge, als ‚Auf-dem-Weg-Sein‘ gerecht und treu bleiben? Wie ver­mei­den wir es als Kirche, zur Insti­tu­tion zu verknöch­ern und zu ver­stein­ern? Wie bleiben wir in Bewe­gung? Wie bleiben wir eine Gemein­schaft, die sich bewegt und lebt? Eine Gemein­schaft, die andere bewegt und sie zum Leben führt?

Viele grosse Gestal­ten der Bibel waren ‚Nomaden‘, immer auf dem Weg: Abra­ham, Moses, Elia, Jere­mia, die Apos­tel, Paulus ganz beson­ders. Für Grün­dergestal­ten unser­er Kirche gilt das­selbe, z.B. für John Wes­ley oder Fran­cis Asbury. Die methodis­tis­chen Laien­verkündi­ger waren lange im wörtlichen Sinn ‚Reisepredi­ger‘. Immer auf dem Weg. Weil sie Jesus, dem sie nach­fol­gten, wahrnah­men als den, der ihnen immer wieder vorang­ing an neue Orte, d.h. vor  allem zu neuen Leuten.
Nicht zulet­zt von Jesus selb­st heisst oft, dass er ‚auf dem Weg‘ war. Z.B. am Anfang des Abschnittes, den ich als Predigt­text für heute aus­gewählt habe, Lukas 9,57–62:

Dieser Abschnitt fasziniert mich ein­er­seits sehr. Ander­er­seits möchte ich am lieb­sten einen grossen Bogen darum herum machen. Denn ich sehe mich gewalti­gen Ansprüchen gegenüber. Und frage mich: Muss ich, wenn ich Jesus nach­fol­gen will, nicht nur eine Nomade, son­dern ein Obdachlos­er sein? Muss ich wirk­lich höchst berechtigte Erwartun­gen mein­er Allernäch­sten in den Wind schla­gen? Muss ich ohne Rück­spiegel, d.h. ohne aus der Ver­gan­gen­heit zu ler­nen, unter­wegs sein? So klingt das doch!
Ja! Jesus stellt Ansprüche an seine Nach­fol­gerIn­nen. Die will ich nicht vorschnell rel­a­tivieren, son­dern ernst nehmen: Er macht deut­lich, dass Nach­folge im Leben der Jün­gerIn­nen höch­ste Pri­or­ität haben soll. Sie kann alles und jedes im Leben bee­in­flussen. Damit ist zu rech­nen. Das ist ernst zu nehmen. Den­noch darf, ja muss beachtet wer­den: Wir haben es hier mit rhetorischen Zus­pitzun­gen zu tun (® ‚Hyper­bo­lik‘). Sie machen deut­lich und unter­stre­ichen: Die Beziehung zu Jesus set­zt den Massstab für die ihm Nach­fol­gen­den. Er gibt den Takt vor. Die Rich­tung. Das Tem­po. Den Zeit­punkt. Als seine Jün­gerin­nen und Jünger soll uns nichts wichtiger sein als sein Vor­bild, seine Rich­tung, sein Weg. – Aber wir haben in Lk 9 keine Geset­zes­texte vor uns. Es sind keine Gebote: Ich muss nicht obdach­los wer­den. Ich darf und soll mir nahe ste­hende Men­schen ehren. Ich darf, ja soll sog­ar aus der Geschichte, aus der Erfahrung, aus der Ver­gan­gen­heit ler­nen. Dabei aber stets bere­it sein und bleiben, die Schritte zu gehen, die Chris­tus mir vor­ange­ht … und wenn es mal hart auf hart kommt, nicht ihn, son­dern andere warten lassen.

«Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Him­mel haben Nester; aber der Men­schen­sohn hat nichts, wo er sein Haupt hin­lege.» — Dieser Satz beschäftigt mich zur Zeit am stärk­sten. Kann ich so sehr Auf dem Weg (Chris­tus nach) sein, dass ich auch mal auf das Dach über dem Kopf verzichte? – Auf mein­er Wan­derung habe ich das nicht geschafft. Den Stress, am Mor­gen noch nicht zu wis­sen, wo ich abends schlafen kön­nte und das Risiko, nichts zu find­en, ver­mied ich. Weit im Voraus buchte ich Unterkün­fte für alle Nächte. Dabei würde ich mich eigentlich als nicht extrem sesshaft ein­schätzen. Anders als mein Gross­vater z.B. war. Er wohnte sein Leben lang im sel­ben Haus im Emmen­tal. Uns ein­mal in Aarau zu besuchen, brachte ihn schon an die Gren­ze. Da bin ich doch viel mehr unter­wegs zu Hause: Für mich ist Adliswil der 11. Ort im Leben, an dem ich zu Hause bin. In meinem Dialekt spiegeln sich etliche mein­er früheren Wohnorte. Ich kann mich an vie­len Orten schnell akkli­ma­tisieren und zu Hause sein. Ferien jedes Jahr am sel­ben Ort sind für mich unvorstell­bar. Und unter­wegs im Wohn­mo­bil füh­le ich mich wirk­lich über­all daheim.
Ich klebe also wirk­lich nicht an der Scholle. Und doch sehne ich mich immer wieder danach, an einem Ort anzukom­men um zu bleiben. Es hat mich in den ersten Tagen mein­er Wan­derung richtig gestresst, immer wieder weit­erge­hen zu müssen. Am Mor­gen war jew­eils viel Wider­stand zu über­winden um in die Gänge zu kom­men. Mit der Zeit wurde es bess­er und ich fand einen guten Rhyth­mus. Aber in den anschliessenden Ferien nahm die Reiselust dann wieder deut­lich ab. Zum Glück war auch Pia in diesem Jahr nicht allzu unternehmungslustig. So kehrten wir fast eine Woche vor Ferienende nach Hause zurück. Es tat uns wohl, zu Hause noch etwas zu sein, zu bleiben, zu ver­weilen. Das gab uns Gebor­gen­heit und Sicher­heit. Es tat gut, langsam wieder anzukom­men und uns auf die Auf­gaben hier einzustellen.

Ständig in Bewe­gung zu bleiben, immer unter­wegs zu sein ist anstren­gend und kostet Energie. Wenn Nach­folge Jesu bedeutet, auf dem Weg zu leben, dann bleibt sie eine Her­aus­forderung für uns. Wir reden ja in Kirche und Gemeinde gerne und oft von Auf­brüchen und Neuan­fän­gen. Ver­weisen gerne z.B. auf Abra­ham, den Vater des Glaubens, der auf Gottes Ruf hin ins Unbekan­nte auf­brach. Aber im Auf­bruch zu leben bedeutet zugle­ich, das Ver­traute hin­ter sich zu lassen. Es ver­langt, die eigene Kom­fort­zone immer wieder zu ver­lassen. Neue Schritte zu wagen.
Wie verträgt sich das mit unserem Grundbedürf­nis, anzukom­men um zu bleiben? Wo und wie find­en wir Sicher­heit und Gebor­gen­heit? Wie kann ich zu Hause sein, wenn ich immer wieder auf­brechen und neue Schritte wagen muss?

Die Ein­ladung lautet: Lerne unter­wegs zu Hause zu sein! Was nach einem Wider­spruch klingt, aber kein­er sein muss. Was macht denn ein Zuhause aus? Wann füh­le ich mich gebor­gen und sich­er? Ist es wirk­lich eine bes­timmte Örtlichkeit? Macht die Ein­rich­tung, machen die Möbel einen Ort zu meinem Ort und zum Zuhause? Natür­lich kann das helfen. Aber entschei­dend ist doch: Nicht alleine sein. Akzep­tiert, respek­tiert und geliebt sein. Sin­nvolles tun kön­nen. Dur­chat­men kön­nen. Bei sich sel­ber und bei Gott sein. Sich als inte­gralen Bestandteil der Schöp­fung wahrnehmen und erleben. Das alles ist auf dem Weg genau­so gut möglich wie in meinen eige­nen vier Wän­den.
So gese­hen ist das Zuhause weniger ein Ort als ein In-Beziehung-Sein: Zu Men­schen, zu Gott, zu sich selb­st, zur Schöp­fung. Auf mein­er Wan­derung durch die CH ging es mir am besten, wenn ich mit anderen Men­schen unter­wegs war oder neuen Leuten begeg­nen kon­nte. Ausser­dem in bewussten Gebet­szeit­en. – Ich kann und darf Unter­wegs zu Hause sein. Wenn ich Chris­tus nach­folge, bin von ihm gehal­ten und getra­gen. Ich kann Schritte wagen, die mich zu Begeg­nun­gen mit Men­schen führen. Ich bin nicht allein, son­dern gemein­sam mit anderen unter­wegs. Die Beziehung zu Chris­tus wird mir unter­wegs zum Ort der Gebor­gen­heit, zum Zuhause.

Ein Selb­stläufer ist das nicht. Ich muss es immer wieder üben und trainieren. Und um den Schritt aus der Kom­fort­zone her­aus komme ich nicht herum. – Nach­folge ist eine her­aus­fordernde Ein­ladung. Aber auch eine, die sich lohnt. Weil ich mich auf diesem Weg als radikal geliebt und respek­tiert erfahre. Weil mir so bere­ich­ernde Begeg­nun­gen geschenkt wer­den. Und weil ich so das Leben und mein Engage­ment als sin­nvoll erleben kann.

Nach­folge bedeutet die Ein­ladung, unter­wegs zu Hause zu sein. Das gilt nicht nur für einzelne, son­dern auch für Gemein­schaften. Es gilt für uns als Kirche. Wir sind ein­ge­laden, aufzubrechen vom Ort, den wir erre­icht haben und weit­er zu gehen, Schritt für Schritt, Jesus nach. Nicht Regeln, nicht Gewohn­heit­en und Tra­di­tio­nen, nicht in Stein gemeis­selte Glaubenssätze machen unser Zuhause aus. Son­dern nur die Liebe Christi. Sie bewegt uns und leit­et uns an, weit­er zu gehen. Ihm zu fol­gen zu Men­schen, die ihn und uns suchen und brauchen.
Wir sind auch als Kirche/Gemeinde nicht nur ein­ge­laden, son­dern her­aus­ge­fordert, unter­wegs zu Hause zu sein. Aufzubrechen und die Kom­fort­zone hin­ter uns zu lassen. Jesus nachzu­fol­gen. – Dazu ist uns ver­sprochen, dass wir auf dem Weg unter­stützt, getra­gen, gehal­ten und geleit­et wer­den von ihm, von Jesus Chris­tus, der uns vor­ange­ht. Amen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert