Predigt am 11.08.2024 in der EMK Adliswil
Liebe Gemeinde,
Auf dem Weg – Schon in der Bibel kommt das Stichwort ‚Weg‘ häufig vor. Oft als Bild für den Glaubensweg, den Lebensweg, ja das Leben überhaupt. 1678 veröffentlichte der englische Baptistenprediger John Bunyan sein Buch ‚Pilgerreise zur seligen Ewigkeit (original: ‚The Pilgrim’s Progress from this World to That Wich is to Come‘). Es wurde zu einem der bekanntesten Bücher der Weltliteratur und trug dazu bei, das Bild des Weges zum zentralen Begriff der Glaubenssprache zu machen. Heute trägt seit längerem auch der Pilgerboom dazu bei, dass ‚Weg‘ als zentrales Element von Spiritualität (nicht nur der christlichen) wahrgenommen und verstanden wird.
Auf dem Weg – 31 Tage lang war ich (meistens) zu Fuss zwischen Basel und Chiasso unterwegs. War das eine Pilgerreise? – Meine Route folgte keinem klassischen Pilgerweg. Ich übernachtete in Hotels, Pensionen und Hütten statt in Pilgerherbergen. Ich wusste am Morgen jeweils schon, wo ich am Abend übernachten werde. Das entspricht alles nicht dem, wie viele z.B. auf dem Jakobsweg unterwegs sind. Aber ich war zu Fuss und oft bewusst allein mit mir und Gott unterwegs. Ich habe Kirchen besucht und dort innegehalten. Ich habe gebetet und Bücher zur Weg-Spiritualität gelesen. Ich habe Tagebuch geschrieben. Ich habe mir Zeit genommen, um auf Körper, Seele und Geist zu hören. Und erlebt, wie die drei mit der Zeit zu einem harmonischen Dreiklang fanden. – Darum finde ich: Ja, ich bin gepilgert! Aber, vielleicht muss ich mit Frank Sinatra ergänzen: ‚I did it my way!‘ Darum rede ich eher vom Wandern als vom Pilgern. Oder lieber vom Weg, auf dem ich war … und bin.
Auf dem Weg hat mich mein Glaube beschäftigt, meine Beziehung zu Gott. Aber auch mein Dienst in der Kirche. Und die Frage, wie Kirche/Gemeinde denn heute aussehen könnte. Das ultimative Konzept/Programm habe ich dabei weder gesucht noch gar gefunden. Aber ich hoffe doch, dass das eine oder andere uns helfen kann, die nächsten Schritte als Gemeinde/Bezirk zu finden. Das wäre schön, wenn meine Erfahrungen auf dem Weg so fruchtbar werden könnten. Darum will ich heute davon zu erzählen beginnen. Der ‚Pilgerstab‘, den ich vor meiner Abreise erhalten habe, steht dafür, dass wir auch als Gemeinde ‚auf dem Weg sind‘.
Heute will ich vor allem erzählen und so Gedanken, Eindrücke und Erfahrungen mit Ihnen teilen. Dem einen oder anderen werde ich später (ein Konzept für eine Predigtreihe steht noch nicht. Ich bin auch in dieser Hinsicht ‚auf dem Weg‘) mit Hilfe der Bibel vertieft nachgehen.
Auf dem Weg – Gesungen haben wir: ‚Vertraut den neuen Wegen!‘ Vertrauen ist wichtig auf dem Weg: Ich brauche Vertrauen, dass der Boden mich trägt. Und ich muss darauf vertrauen können, dass der Weg mich weiterführt. Sonst wage ich den nächsten Schritt nicht. – ‚Vertraut den neuen Wegen! So wichtig! Und so schwierig!
Der Weg kann nämlich kaum zu erkennen sein. Oder unter einem Schneefeld verschwinden. Oder gar blockiert sein. –Dann braucht es Vertrauen, Mut und Weisheit für den nächsten Schritt. Vertraue ich der Karte bzw. der Weisung Gottes? Traue ich Gott zu, dass er mit mir ist, ja mir vorausgeht? — Ich will ja Jesus nachfolgen. Finde ich den Mut für den nächsten Schritt ihm nach? — Erkenne ich, was dran ist? Dazu ist Weisheit gefragt: Wenn Fussspuren fehlen, wo der Weg unter dem Schnee verschwindet, heisst das: Da ist seit dem letzten Winter noch keiner durchgegangen. Hier weiterzugehen wäre nicht Nachfolge, sondern Vorpreschen. Merke ich, wenn ich meine Route anpassen muss? Vielleicht umkehren? Zurück zur letzten Verzweigung und dort einen neuen Anlauf in eine bessere Richtung nehmen?
Ein Bergführer, den ich getroffen habe, erklärte mir: In den Bergen ist man sehr sicher, solange man zur Umkehr fähig ist. Vielleicht nur 20 Meter unter dem Gipfel. Vielleicht sind nur die nächsten drei Meter unpassierbar und der Weg wäre danach wunderbar. Doch was habe ich davon, wenn ich vorher abstürze?
‚Vertraut den neuen Wegen!‘ kann zweierlei heissen: (1) Mutig den nächsten Schritt gehen, weil Jesus mir vorangeht. Oder (2) mutig umkehren, weil man entdeckt, dass ein anderer, neuer Weg zu suchen ist, weil es an dieser Stelle nicht weitergeht.
Was ist richtig? Das eine oder das andere? Das muss und kann ich verantwortlich entscheiden, d.h.: Die Situation vor Ort umsichtig abwägen. Hinweise wahrnehmen. Erfahrungen anderer ernst nehmen. – Für den Glaubensweg bedeutet das: Offen bleiben für die Hinweise von Gottes Geist.
Auf dem Weg — Der Weg besteht aus vielen einzelnen Schritten. Das vergisst leicht, wer sich zu sehr auf das Ziel fixiert. Für den 1. Wandertag hatte ich eine Strecke von ca. 28 km geplant. Ich war etwas spät dran, weil ich ganz an der Grenze zu D und F beginnen wollte. Und da muss man ja erst einmal hinkommen. Erst gegen 10 Uhr ging es los. Etwas ungeduldig, innerlich auch noch in der Hektik der Wochen zuvor, wollte ich die Sache hinter mich bringen. Den einzelnen Schritten widmete ich wenig Aufmerksamkeit. Ziemlich zügig unterwegs schaffte ich zunächst gut 5 km pro Stunde. Ich war aber noch nicht an den 12–15 kg schweren Rucksack gewöhnt. Und es war sehr warm. Ich hätte viel Trinken müssen, achtete aber zu wenig darauf. – So kam es, wie es kommen musste: 5 km vor dem Ziel lief ich gefühlt in eine Wand. Gott sei Dank gab es am Bahnhof in Zwingen eine Bank im Schatten. Darauf sass – oder: hing – ich nun. Es gab keinen Kiosk. Keinen Brunnen. Und ich hatte kaum noch zu Trinken. Wenn gerade ein Zug nach Laufen gefahren wäre, wäre ich wohl eingestiegen … In der längeren Pause erholte ich mich. Es ging dann weiter. Langsamer zwar. Aber ich erreichte das Etappenziel in Laufen BL zu Fuss. Und unter der Dusche im Hotel erholte ich mich schnell wieder (Übrigens: Auch das eine Erfahrung unterwegs: Es gibt wenig, was der Erfahrung des Himmels so nahe kommt wie eine Dusche nach einem langen Wandertag). – Vom nächsten Tag an wanderte ich langsamer und schenkte den einzelnen Schritten mehr Beachtung. Immer stärker wurde der Eindruck: Jeder einzelne Schritt hat seinen Wert, verdient es, beachtet und bewusst gegangen zu werden. Wenn ich mit Kopf und Herz ganz beim Ziel bin und nicht beim nächsten Schritt, komme ich vielleicht nie an. Es ist zwar durchaus von Bedeutung, woher ich komme und wohin ich gehe. Aber Einfluss habe ich nur auf den nächsten Schritt. Ihm muss meine Aufmerksamkeit gelten. – Viele reden heute von Achtsamkeit, die es brauche, damit Leib, Seele und Geist im Einklang seien. Oder man sagt, es gelte ganz in der Gegenwart zu sein. – Beides hat sich für mich auf dem Weg bestätigt in der Erfahrung: Jeder Schritt hat seinen eigenen Wert. Der wichtigste Schritt ist immer der Nächste.
Auf dem Weg – Vom Plan zur Wirklichkeit: Ich wollte in einem Monat zu Fuss von Basel nach Chiasso wandern. Dabei auch viele Höhenmeter überwinden. Der Plan war ambitioniert. Aber ich traute es mir zu. Schliesslich hatte ich schon 8stündige Wanderungen und 2000 Höhenmeter in beide Richtungen gut überstanden. Allerdings ist eine solche Tour das eine. Etwas ganz Anderes ist es, Tag um Tag stundenlang bergauf und bergab zu wandern. – Bald zeigte sich, dass ich zu viel wollte. Jetzt ist mir klar: Um den Plan voll umzusetzen, bräuchte ich nicht 31, 40 Tage. D.h. mehr Ruhetage und kürzere Tagesetappen. Dazu stabileres Wetter und weniger Schnee.
Auch vom Plan zur Wirklichkeit ist ein Weg zu gehen: Ich immer wieder am Umplanen, was bedeutete: Umwege streichen; Abkürzungen nehmen; dankbar die Dienste des ÖV in Anspruch nehmen. — Zweierlei ist mir dabei klar geworden:
- Eine gute Planung ist wichtig. Aber es braucht Flexibilität, um den Plan der Wirklichkeit anzupassen. Den Plan gegen die Umstände und die eigenen Kraftreserven durchzuziehen, macht keinen Sinn. Und es kann schnell gefährlich werden. Dafür ist gerade auf ungeplanten Wegstücken Tolles zu entdecken. – Immer mehr verdichtete sich das für mich im Satz: Wenn Gott meine Pläne zu Wirklichkeit gerinnen lässt, ist mit Überraschungen zu rechnen (2mal).
- Die an vergangenen Tagen gemachten Schritte wirken nach. Ich begann eben am zweiten Tag nicht wieder bei 0. Sondern hatte die 28 strapaziösen km des ersten Tages noch in den Knochen und Muskeln. Entsprechend war ich ganz von selbst langsamer unterwegs. Gut, dass ich für den zweiten Tag eine deutlich kürzere Etappe geplant hatte. – So war es dann schliesslich doch erst am vierten Tag ein heftiges Gewitter, das mich erstmals für ein paar km den ÖV nehmen liess.
Auf dem Weg – Den Rhythmus finden. Das ist wichtig und braucht Zeit. Nach etwa einer Woche hat ich mein Tempo gefunden. Ich kam gut vorwärts und nahm die Umgebung viel besser wahr. Ich spürte besser, wann eine Pause nötig war. Gehen, Begegnen, Nachdenken und Beten waren in der Balance. Wenn der Rhythmus stimmt, komme ich gut vorwärts, bin bei mir und nahe bei Gott und nehme doch sehr viel um mich herum intensiv wahr.
Im Alltag bin (oder hoffentlich: war) ich oft darauf fixiert, effizient meine To-Do-Listen abzuarbeiten. Dann renne ich (vermeintlichen) Dringlichkeiten nach und verpasse so viel. Den Rhythmus, den ich auf dem Weg gefunden habe, möchte ich deshalb auch im Alltag immer wieder suchen.
Eindrücklich war die Erfahrung in der Leventina (übrigens ungeplant. Eigentlich wollte ich durchs Maggiatal …). Wer nicht dort wohnt, fährt normalerweise so effizient wie möglich hindurch oder unten durch nach Norden oder Süden. Dabei ist die Leventina ist wunderschön. Idyllisch. Es gibt Wasserfälle, Schluchten, Dörfer, Blumen … Das alles verpasst man, wenn man auf der Autobahn hindurch oder durch die NEAT unten durch rauscht
Der gute Rhythmus ist wichtig auf dem Weg. Um ihn zu finden und zu behalten, ist Vieles zu beachten: Die Tagesform (An manchen Tagen machte ich locker 25 km. An anderen war ich nach 10 km schon fast k.o.). Die Pausen (unglaublich, wie viel und nachhaltige Erholung in 15 min möglich ist). Die Umgebung und die Menschen, die mir begegnen. – Immer bewusster wurde mir: Es lohnt sich nicht, den Rhythmus aufs Spiel zu setzen um an ein Zwischenziel zu ‚jufle‘. Ich darf mir die Zeit geben, die es braucht. Und falls ich eine Pause brauche: Es gibt immer und überall gute Plätze zum Verweilen. Man muss ein wenig lernen, sie zu entdecken. Und sie zu nutzen. Aber mit der Zeit geht das immer besser. — Wenn ich den Rhythmus behalte, lerne ich mehr und mehr, unterwegs zu Hause zu sein (was wohl dem Wesen des Glaubens als Nachfolge am besten entspricht).
Letztlich heisst das: Der Weg ist das Ziel! – Dieser Slogan ist sinnvoll. Zwar nicht als Ausrede missbraucht für fehlende Wirksamkeit. Auch nicht als Begründung von Untätigkeit oder Faulheit. Man will ja weiterkommen im Leben bzw. auf dem Weg. Und doch ist unterwegs zu sein, auf dem Weg zu sein tatsächlich ein Ziel. Nicht nur beim Wandern. Erst recht im Leben. Und im Glauben. Denn unterwegs lebe ich. Da mache ich Erfahrungen. Da begegne ich Menschen. Da mache ich Schritte, einen um den anderen. Und so komme ich vorwärts.
Auf meiner Wanderung war das Ziel Chiasso zwar im Hinterkopf. Aber konkret damit beschäftigt habe ich mich erst am zweitletzten Tag. Vorher waren die nächsten Schritte im Vordergrund. Und das jeweilige Tagesziel. – Das erreichbare Ziel ändert also ständig. Aber das Unterwegssein bleibt. Denn wenn ich ein (Tages-)Ziel erreiche, geht es doch schon am nächsten Tag wieder weiter. Darum: Der Weg ist und bleibt das Ziel. Auf dem Weg sein. Mich auf dem Weg bewegen. Mehr will ich nicht und mehr muss ich nicht.
Noch von vielen weiteren Erfahrungen ist zu berichten: Dass es sich zu zweit viel leichter wandert als allein z.B. Oder dass ich mich bergauf sicherer bewege als bergab. Dass ich mich auf steilen, rutschigen oder ausgesetzten Wegstücken noch viel mehr auf den nächsten Schritt konzentrieren muss als sonst. Dass ich, um zurückzuschauen oder die Aussicht zu geniessen anhalten muss. Dass kurvige Wege über Stock und Stein besser auszuhalten sind als kilometerlange ebene und womöglich asphaltierte Strecken … usw. Aber für heute soll es genug sein.
Ich schliesse mit zwei Bibelstellen. Sie umreissen gegensätzliche und sich dennoch irgendwie ergänzende Grunderfahrungen auf dem Weg mit Gott:
- Der atl Jakob beschliesst an seinem Lebensabend, in Bet-El (da, wo er einst von der Himmelsleiter träumte) einen Altar zu bauen. Er begründet das in Gen 35,3 folgendermassen: „Gott hat mich gehört, als ich in Not war. Und er war mit mir auf dem Weg, den ich gegangen bin.“ — Auf dem Weg darf ich immer wieder erleben und entdecken, dass Gott mit mir geht. Und sogar, dass er meinen Weg zu seinem Weg macht.
- Dagegen heisst es in Jes 55,8: «Meine Pläne sind anders als eure Pläne und meine Wege anders als eure Wege.» — Manchmal macht Gott meinen Weg zu seinem. Manchmal aber korrigiert er meinen Weg. Dann muss ich meinen Plan loslassen und seinen Weg zu meinem machen.
Immer wieder gibt es gute Wege zu gehen. Manchmal so, wie ich es mir wünsche und plane. Manchmal ganz anders. – Manchmal geht der nächste Schritt ganz leicht. Dann wieder fordert er alles von mir: Mut. Vertrauen. Hoffnung. So oder so: Den nächsten Schritt wage ich im Vertrauen auf Gott, der mit mir geht und mich trägt. Dabei erfahre ich: Es ist sinnvoll und gut, unterwegs zu sein. –Viel besser formuliert C.Bittlinger im Refrain seines Liedes: Schritte wagen im Vertraun auf einen guten Weg, Schritte wagen im Vertraun das letztlich ER mich trägt. Schritte wagen, weil im Aufbruch ich nur sehen kann: Für mein Leben gibt es einen Plan.“ Amen