Auf dem Weg

Gen­e­sis 35,3; Jesa­ja 55,8

Predigt am 11.08.2024 in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,

Auf dem Weg – Schon in der Bibel kommt das Stich­wort ‚Weg‘ häu­fig vor. Oft als Bild für den Glaubensweg, den Lebensweg, ja das Leben über­haupt. 1678 veröf­fentlichte der englis­che Bap­tis­ten­predi­ger John Bun­yan sein Buch ‚Pil­ger­reise zur seli­gen Ewigkeit (orig­i­nal: ‚The Pilgrim’s Progress from this World to That Wich is to Come‘). Es wurde zu einem der bekan­ntesten Büch­er der Weltlit­er­atur und trug dazu bei, das Bild des Weges zum zen­tralen Begriff der Glaubenssprache zu machen. Heute trägt seit län­gerem auch der Pil­ger­boom dazu bei, dass ‚Weg‘ als zen­trales Ele­ment von Spir­i­tu­al­ität (nicht nur der christlichen) wahrgenom­men und ver­standen wird.

Auf dem Weg – 31 Tage lang war ich (meis­tens) zu Fuss zwis­chen Basel und Chi­as­so unter­wegs. War das eine Pil­ger­reise? – Meine Route fol­gte keinem klas­sis­chen Pil­ger­weg. Ich über­nachtete in Hotels, Pen­sio­nen und Hüt­ten statt in Pil­ger­her­ber­gen. Ich wusste am Mor­gen jew­eils schon, wo ich am Abend über­nacht­en werde. Das entspricht alles nicht dem, wie viele z.B. auf dem Jakob­sweg unter­wegs sind. Aber ich war zu Fuss und oft bewusst allein mit mir und Gott unter­wegs. Ich habe Kirchen besucht und dort innege­hal­ten. Ich habe gebetet und Büch­er zur Weg-Spir­i­tu­al­ität gele­sen. Ich habe Tage­buch geschrieben. Ich habe mir Zeit genom­men, um auf Kör­p­er, Seele und Geist zu hören. Und erlebt, wie die drei mit der Zeit zu einem har­monis­chen Dreik­lang fan­den. – Darum finde ich: Ja, ich bin gepil­gert! Aber, vielle­icht muss ich mit Frank Sina­tra ergänzen: ‚I did it my way!‘ Darum rede ich eher vom Wan­dern als vom Pil­gern. Oder lieber vom Weg, auf dem ich war … und bin.

Auf dem Weg hat mich mein Glaube beschäftigt, meine Beziehung zu Gott. Aber auch mein Dienst in der Kirche. Und die Frage, wie Kirche/Gemeinde denn heute ausse­hen kön­nte. Das ulti­ma­tive Konzept/Programm habe ich dabei wed­er gesucht noch gar gefun­den. Aber ich hoffe doch, dass das eine oder andere uns helfen kann, die näch­sten Schritte als Gemeinde/Bezirk zu find­en. Das wäre schön, wenn meine Erfahrun­gen auf dem Weg so frucht­bar wer­den kön­nten. Darum will ich heute davon zu erzählen begin­nen. Der ‚Pil­ger­stab‘, den ich vor mein­er Abreise erhal­ten habe, ste­ht dafür, dass wir auch als Gemeinde ‚auf dem Weg sind‘.

Heute will ich vor allem erzählen und so Gedanken, Ein­drücke und Erfahrun­gen mit Ihnen teilen. Dem einen oder anderen werde ich später (ein Konzept für eine Predigtrei­he ste­ht noch nicht. Ich bin auch in dieser Hin­sicht ‚auf dem Weg‘) mit Hil­fe der Bibel ver­tieft nachgehen.

Auf dem Weg – Gesun­gen haben wir: ‚Ver­traut den neuen Wegen!‘ Ver­trauen ist wichtig auf dem Weg: Ich brauche Ver­trauen, dass der Boden mich trägt. Und ich muss darauf ver­trauen kön­nen, dass der Weg mich weit­er­führt. Son­st wage ich den näch­sten Schritt nicht. – ‚Ver­traut den neuen Wegen! So wichtig! Und so schwierig!
Der Weg kann näm­lich kaum zu erken­nen sein. Oder unter einem Schneefeld ver­schwinden. Oder gar block­iert sein. –Dann braucht es Ver­trauen, Mut und Weisheit für den näch­sten Schritt. Ver­traue ich der Karte bzw. der Weisung Gottes? Traue ich Gott zu, dass er mit mir ist, ja mir voraus­ge­ht? — Ich will ja Jesus nach­fol­gen. Finde ich den Mut für den näch­sten Schritt ihm nach? — Erkenne ich, was dran ist? Dazu ist Weisheit gefragt: Wenn Fussspuren fehlen, wo der Weg unter dem Schnee ver­schwindet, heisst das: Da ist seit dem let­zten Win­ter noch kein­er durchge­gan­gen. Hier weit­erzuge­hen wäre nicht Nach­folge, son­dern Vor­preschen. Merke ich, wenn ich meine Route anpassen muss? Vielle­icht umkehren? Zurück zur let­zten Verzwei­gung und dort einen neuen Anlauf in eine bessere Rich­tung nehmen?
Ein Bergführer, den ich getrof­fen habe, erk­lärte mir: In den Bergen ist man sehr sich­er, solange man zur Umkehr fähig ist. Vielle­icht nur 20 Meter unter dem Gipfel. Vielle­icht sind nur die näch­sten drei Meter unpassier­bar und der Weg wäre danach wun­der­bar. Doch was habe ich davon, wenn ich vorher abstürze?
‚Ver­traut den neuen Wegen!‘ kann zweier­lei heis­sen: (1) Mutig den näch­sten Schritt gehen, weil Jesus mir vor­ange­ht. Oder (2) mutig umkehren, weil man ent­deckt, dass ein ander­er, neuer Weg zu suchen ist, weil es an dieser Stelle nicht weit­erge­ht.
Was ist richtig? Das eine oder das andere? Das muss und kann ich ver­ant­wortlich entschei­den, d.h.: Die Sit­u­a­tion vor Ort umsichtig abwä­gen. Hin­weise wahrnehmen. Erfahrun­gen ander­er ernst nehmen. – Für den Glaubensweg bedeutet das: Offen bleiben für die Hin­weise von Gottes Geist.

Auf dem Weg — Der Weg beste­ht aus vie­len einzel­nen Schrit­ten. Das ver­gisst leicht, wer sich zu sehr auf das Ziel fix­iert. Für den 1. Wan­dertag hat­te ich eine Strecke von ca. 28 km geplant. Ich war etwas spät dran, weil ich ganz an der Gren­ze zu D und F begin­nen wollte. Und da muss man ja erst ein­mal hinkom­men. Erst gegen 10 Uhr ging es los. Etwas ungeduldig, inner­lich auch noch in der Hek­tik der Wochen zuvor, wollte ich die Sache hin­ter mich brin­gen. Den einzel­nen Schrit­ten wid­mete ich wenig Aufmerk­samkeit. Ziem­lich zügig unter­wegs schaffte ich zunächst gut 5 km pro Stunde. Ich war aber noch nicht an den 12–15 kg schw­eren Ruck­sack gewöh­nt. Und es war sehr warm. Ich hätte viel Trinken müssen, achtete aber zu wenig darauf. – So kam es, wie es kom­men musste: 5 km vor dem Ziel lief ich gefühlt in eine Wand. Gott sei Dank gab es am Bahn­hof in Zwin­gen eine Bank im Schat­ten. Darauf sass – oder: hing – ich nun. Es gab keinen Kiosk. Keinen Brun­nen. Und ich hat­te kaum noch zu Trinken. Wenn ger­ade ein Zug nach Laufen gefahren wäre, wäre ich wohl eingestiegen … In der län­geren Pause erholte ich mich. Es ging dann weit­er. Langsamer zwar. Aber ich erre­ichte das Etap­pen­ziel in Laufen BL zu Fuss. Und unter der Dusche im Hotel erholte ich mich schnell wieder (Übri­gens: Auch das eine Erfahrung unter­wegs: Es gibt wenig, was der Erfahrung des Him­mels so nahe kommt wie eine Dusche nach einem lan­gen Wan­dertag). – Vom näch­sten Tag an wan­derte ich langsamer und schenk­te den einzel­nen Schrit­ten mehr Beach­tung. Immer stärk­er wurde der Ein­druck: Jed­er einzelne Schritt hat seinen Wert, ver­di­ent es, beachtet und bewusst gegan­gen zu wer­den. Wenn ich mit Kopf und Herz ganz beim Ziel bin und nicht beim näch­sten Schritt, komme ich vielle­icht nie an. Es ist zwar dur­chaus von Bedeu­tung, woher ich komme und wohin ich gehe. Aber Ein­fluss habe ich nur auf den näch­sten Schritt. Ihm muss meine Aufmerk­samkeit gel­ten. – Viele reden heute von Acht­samkeit, die es brauche, damit Leib, Seele und Geist im Ein­klang seien. Oder man sagt, es gelte ganz in der Gegen­wart zu sein. – Bei­des hat sich für mich auf dem Weg bestätigt in der Erfahrung: Jed­er Schritt hat seinen eige­nen Wert. Der wichtig­ste Schritt ist immer der Nächste.

Auf dem Weg – Vom Plan zur Wirk­lichkeit: Ich wollte in einem Monat zu Fuss von Basel nach Chi­as­so wan­dern. Dabei auch viele Höhen­meter über­winden. Der Plan war ambi­tion­iert. Aber ich traute es mir zu. Schliesslich hat­te ich schon 8stündige Wan­derun­gen und 2000 Höhen­meter in bei­de Rich­tun­gen gut über­standen. Allerd­ings ist eine solche Tour das eine. Etwas ganz Anderes ist es, Tag um Tag stun­den­lang bergauf und bergab zu wan­dern. – Bald zeigte sich, dass ich zu viel wollte. Jet­zt ist mir klar: Um den Plan voll umzuset­zen, bräuchte ich nicht 31, 40 Tage. D.h. mehr Ruhetage und kürzere Tage­se­tap­pen. Dazu sta­bil­eres Wet­ter und weniger Schnee.
Auch vom Plan zur Wirk­lichkeit ist ein Weg zu gehen: Ich immer wieder am Umpla­nen, was bedeutete: Umwege stre­ichen; Abkürzun­gen nehmen; dankbar die Dien­ste des ÖV in Anspruch nehmen. — Zweier­lei ist mir dabei klar geworden:

  1. Eine gute Pla­nung ist wichtig. Aber es braucht Flex­i­bil­ität, um den Plan der Wirk­lichkeit anzu­passen. Den Plan gegen die Umstände und die eige­nen Kraftre­ser­ven durchzuziehen, macht keinen Sinn. Und es kann schnell gefährlich wer­den. Dafür ist ger­ade auf unge­planten Wegstück­en Tolles zu ent­deck­en. – Immer mehr verdichtete sich das für mich im Satz: Wenn Gott meine Pläne zu Wirk­lichkeit gerin­nen lässt, ist mit Über­raschun­gen zu rech­nen (2mal).
  2. Die an ver­gan­genen Tagen gemacht­en Schritte wirken nach. Ich begann eben am zweit­en Tag nicht wieder bei 0. Son­dern hat­te die 28 stra­paz­iösen km des ersten Tages noch in den Knochen und Muskeln. Entsprechend war ich ganz von selb­st langsamer unter­wegs. Gut, dass ich für den zweit­en Tag eine deut­lich kürzere Etappe geplant hat­te. – So war es dann schliesslich doch erst am vierten Tag ein heftiges Gewit­ter, das mich erst­mals für ein paar km den ÖV nehmen liess.

Auf dem Weg – Den Rhyth­mus find­en. Das ist wichtig und braucht Zeit. Nach etwa ein­er Woche hat ich mein Tem­po gefun­den. Ich kam gut vor­wärts und nahm die Umge­bung viel bess­er wahr. Ich spürte bess­er, wann eine Pause nötig war. Gehen, Begeg­nen, Nach­denken und Beten waren in der Bal­ance. Wenn der Rhyth­mus stimmt, komme ich gut vor­wärts, bin bei mir und nahe bei Gott und nehme doch sehr viel um mich herum inten­siv wahr.
Im All­t­ag bin (oder hof­fentlich: war) ich oft darauf fix­iert, effizient meine To-Do-Lis­ten abzuar­beit­en. Dann renne ich (ver­meintlichen) Dringlichkeit­en nach und ver­passe so viel. Den Rhyth­mus, den ich auf dem Weg gefun­den habe, möchte ich deshalb auch im All­t­ag immer wieder suchen.
Ein­drück­lich war die Erfahrung in der Lev­enti­na (übri­gens unge­plant. Eigentlich wollte ich durchs Mag­giatal …). Wer nicht dort wohnt, fährt nor­maler­weise so effizient wie möglich hin­durch oder unten durch nach Nor­den oder Süden. Dabei ist die Lev­enti­na ist wun­der­schön. Idyl­lisch. Es gibt Wasser­fälle, Schlucht­en, Dör­fer, Blu­men … Das alles ver­passt man, wenn man auf der Auto­bahn hin­durch oder durch die NEAT unten durch rauscht
Der gute Rhyth­mus ist wichtig auf dem Weg. Um ihn zu find­en und zu behal­ten, ist Vieles zu beacht­en: Die Tages­form (An manchen Tagen machte ich lock­er 25 km. An anderen war ich nach 10 km schon fast k.o.). Die Pausen (unglaublich, wie viel und nach­haltige Erhol­ung in 15 min möglich ist). Die Umge­bung und die Men­schen, die mir begeg­nen. – Immer bewusster wurde mir: Es lohnt sich nicht, den Rhyth­mus aufs Spiel zu set­zen um an ein Zwis­chen­ziel zu ‚jufle‘. Ich darf mir die Zeit geben, die es braucht. Und falls ich eine Pause brauche: Es gibt immer und über­all gute Plätze zum Ver­weilen. Man muss ein wenig ler­nen, sie zu ent­deck­en. Und sie zu nutzen. Aber mit der Zeit geht das immer bess­er. — Wenn ich den Rhyth­mus behalte, lerne ich mehr und mehr, unter­wegs zu Hause zu sein (was wohl dem Wesen des Glaubens als Nach­folge am besten entspricht).

Let­ztlich heisst das: Der Weg ist das Ziel! – Dieser Slo­gan ist sin­nvoll. Zwar nicht als Ausrede miss­braucht für fehlende Wirk­samkeit. Auch nicht als Begrün­dung von Untätigkeit oder Faul­heit. Man will ja weit­erkom­men im Leben bzw. auf dem Weg. Und doch ist unter­wegs zu sein, auf dem Weg zu sein tat­säch­lich ein Ziel. Nicht nur beim Wan­dern. Erst recht im Leben. Und im Glauben. Denn unter­wegs lebe ich. Da mache ich Erfahrun­gen. Da begeg­ne ich Men­schen. Da mache ich Schritte, einen um den anderen. Und so komme ich vor­wärts.
Auf mein­er Wan­derung war das Ziel Chi­as­so zwar im Hin­terkopf. Aber konkret damit beschäftigt habe ich mich erst am zweitlet­zten Tag. Vorher waren die näch­sten Schritte im Vorder­grund. Und das jew­eilige Tagesziel. – Das erre­ich­bare Ziel ändert also ständig. Aber das Unter­wegs­sein bleibt. Denn wenn ich ein (Tages-)Ziel erre­iche, geht es doch schon am näch­sten Tag wieder weit­er. Darum: Der Weg ist und bleibt das Ziel. Auf dem Weg sein. Mich auf dem Weg bewe­gen. Mehr will ich nicht und mehr muss ich nicht.
Noch von vie­len weit­eren Erfahrun­gen ist zu bericht­en: Dass es sich zu zweit viel leichter wan­dert als allein z.B. Oder dass ich mich bergauf sicher­er bewege als bergab. Dass ich mich auf steilen, rutschi­gen oder aus­ge­set­zten Wegstück­en noch viel mehr auf den näch­sten Schritt konzen­tri­eren muss als son­st. Dass ich, um zurück­zuschauen oder die Aus­sicht zu geniessen anhal­ten muss. Dass kurvige Wege über Stock und Stein bess­er auszuhal­ten sind als kilo­me­ter­lange ebene und wom­öglich asphaltierte Streck­en … usw. Aber für heute soll es genug sein.

Ich schliesse mit zwei Bibel­stellen. Sie umreis­sen gegen­sät­zliche und sich den­noch irgend­wie ergänzende Grun­der­fahrun­gen auf dem Weg mit Gott:

  • Der atl Jakob beschliesst an seinem Lebens­abend, in Bet-El (da, wo er einst von der Him­mel­sleit­er träumte) einen Altar zu bauen. Er begrün­det das in Gen 35,3 fol­gen­der­massen: „Gott hat mich gehört, als ich in Not war. Und er war mit mir auf dem Weg, den ich gegan­gen bin.“ — Auf dem Weg darf ich immer wieder erleben und ent­deck­en, dass Gott mit mir geht. Und sog­ar, dass er meinen Weg zu seinem Weg macht.
  • Dage­gen heisst es in Jes 55,8: «Meine Pläne sind anders als eure Pläne und meine Wege anders als eure Wege.» — Manch­mal macht Gott meinen Weg zu seinem. Manch­mal aber kor­rigiert er meinen Weg. Dann muss ich meinen Plan loslassen und seinen Weg zu meinem machen.

Immer wieder gibt es gute Wege zu gehen. Manch­mal so, wie ich es mir wün­sche und plane. Manch­mal ganz anders. – Manch­mal geht der näch­ste Schritt ganz leicht. Dann wieder fordert er alles von mir: Mut. Ver­trauen. Hoff­nung. So oder so: Den näch­sten Schritt wage ich im Ver­trauen auf Gott, der mit mir geht und mich trägt. Dabei erfahre ich: Es ist sin­nvoll und gut, unter­wegs zu sein. –Viel bess­er for­muliert C.Bittlinger im Refrain seines Liedes: Schritte wagen im Ver­traun auf einen guten Weg, Schritte wagen im Ver­traun das let­ztlich ER mich trägt. Schritte wagen, weil im Auf­bruch ich nur sehen kann: Für mein Leben gibt es einen Plan.“                                                               Amen

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