Den Himmel erfahren

Lukas 17,20–21

Predigt am 01.09.2024 in der EMK Adliswil und in der Regen­bo­genkirche

Liebe Gemeinde,

berühren sich Him­mel und Erde wirk­lich? Geht das? Die Sonne, die im Meer versinkt, ist eine optis­che Täuschung. Was sich in unseren Augen für Momente zu berühren scheint, bleibt eben doch 150 Mio. km voneinan­der ent­fer­nt.
Unbe­strit­ten ist aber, dass wir uns nach Berührun­gen des Him­mels sehnen. Mit ‚Him­mel‘ meine ich dabei, was im Englis­chen ‚heav­en‘ heisst: Der von Gottes Gegen­wart erfüllte Him­mel. Engl. ‚sky‘ dage­gen meint das Blaue über uns, das Fir­ma­ment oder das weite (und doch sehr leere) Weltall. Das fasziniert zwar, aber wir sehnen uns nicht danach. Wir sehnen uns aber nach dem Zuhause Gottes, eben dem ‚Heav­en‘. Gibt es Berührun­gen damit? – Die Bibel erzählt z.B. vom Besuch Gottes bei Abram und vom Gespräch der Emmausjünger mit dem Aufer­stande­nen. Das sind sehr konkrete Erfahrun­gen von Berührung durch den Him­mel. Doch das war vor langer Zeit. Gibt es so etwas auch heute?

Im Lied, das wir eben gesun­gen haben (Nr. 568 im EMK Gesang­buch: Wo Men­schen sich vergessen), wird das bejaht. Und es wird fest­gemacht an Erfahrun­gen wie Umkehr, Liebe und Frieden. Vor allem aber an neuen Anfän­gen. Wenn und wo Men­schen im Namen Gottes neu anfan­gen, berühren sich Him­mel und Erde. Bloss: Solche Berührung durch den Him­mel ist für uns nicht mach­bar, schon gar nicht erzwing­bar. Nur auf Ini­tia­tive des Him­mels kommt sie zus­tande. So wie z.B. in dem Traum, der Jakob auf der Flucht die Verbindung zwis­chen Him­mel und Erde in Form ein­er Leit­er sehen liess. Oder denken wir an die Wei­h­nachts­geschichte: Es ist ein­deutig die Ini­tia­tive des Him­mels, die noch weit mehr als eine flüchtige Berührung bewirkt: In Jesus kommt der Him­mel auf die Erde, um zu bleiben. Der Him­mel oder das Reich Gottes — wie ihn die Bibel oft nen­nt – ist also da. Es ist gegen­wär­tig und wirk­sam auf der Erde. Jesus erk­lärte das bei ein­er Gele­gen­heit den Phar­isäern fol­gen­der­massen. Ich lese Lukas 17,20–21:

Als Jesus von den Phar­isäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er ihnen: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobacht­en kön­nte. Man wird auch nicht sagen kön­nen: Hier ist es! oder: Dort ist es! Denn seht, das Reich Gottes ist mit­ten unter euch.                                         Lukas 17,20f (Zürcher)

Das Reich Gottes ist da. Hier. Jet­zt. Ganz. Dafür ver­bürgt sich Jesus. Und doch bleibt es in der Schwebe. Jesus sagt eben auch, dass man das Reich Gottes nicht an äusseren Zeichen fest­machen könne. Und es lasse sich schon gar nicht fes­thal­ten. Den­noch: Das Reich Gottes ist da. Mit­ten unter uns!
Mar­tin Luther über­set­zte: „Das Reich Gottes ist ‚inwendig in euch‘“. Das klingt ziem­lich mys­tisch. Und es war von der Tra­di­tion, auf die Luther sich berief, auch so gemeint. Nun liegt mir das Mys­tis­che nicht so nahe. Ich finde aber die For­mulierung ‚inwendig in euch‘ doch hil­fre­ich. Denn sie lässt erah­nen, dass es dem Reich Gottes um Verän­derun­gen geht, die der Him­mel in den Men­schen bewirkt: Vom Him­mel Berührte schauen anders auf die Welt und die Men­schen um sich herum. Sie eige­nen sich gewis­ser­massen den Blick Jesu an. Ihre Augen sind von Liebe geleit­et und von der Ver­bun­den­heit mit Gott. Und so ler­nen sie, sog­ar im ganz Pro­fa­nen, Spuren Gottes wahrzunehmen.
Der Him­mel bzw. das Reich Gottes lässt sich auf Erden erfahren. Gottes Gegen­wart ist wahrnehm­bar. Davon bin ich fest überzeugt. Aber es ist eine Frage der Hal­tung und der Sichtweise. Man muss es sehen wollen. Und als Geschenk annehmen wollen. Dabei bleiben die Erfahrun­gen und Ein­drücke immer hin­ter­frag­bar. – Wir haben in let­zter Zeit manch­mal von Him­mel­re­ichsmo­menten gere­det. Und dann haben wir von Erleb­nis­sen erzählt, die für uns ganz per­sön­lich den Him­mel durch­scheinen liessen. So lässt sich ganz sub­jek­tiv eine Berührung durch den Him­mel erleben.
Sub­jek­tiv bzw. indi­vidu­ell begeg­net uns Gott. So wie wir es sehen und fassen kön­nen. Darum ist es wichtig, aus solchen Momenten keine Dog­men abzuleit­en. Wenn sich für mich in einem Erleb­nis der Him­mel spiegelt, muss ich das nie­man­dem beweisen. Ich muss nie­man­dem den Glauben, dass aus­gerech­net mich der Him­mel berührt hat, auf­drän­gen. Vielle­icht sieht es näm­lich für meine Geschwis­ter ganz anders aus. Und dann ist das völ­lig ok. Es muss mir aber auch nie­mand den Ein­druck auszure­den ver­suchen. Hof­fentlich ler­nen wir dafür immer bess­er, uns miteinan­der zu freuen, wenn jemand eine kleine Erfahrung mit Gott gemacht hat.
Dafür ist wichtig, dass wir Glaubenser­fahrun­gen, und wenn es sehr sub­jek­tive Him­mel­re­ichsmo­mente sein soll­ten, miteinan­der teilen. Dass wir einan­der ermuti­gen und bestäti­gen: Ja, der Him­mel ist erfahrbar. Ja Gott ist nahe. Das Reich Gottes ist mit­ten unter uns. Ich habe es z.B. so erlebt ….

Unser­er Sprach­fähigkeit dafür ist wohl noch ziem­lich aus­baufähig: Wie kön­nen wir Glaubenser­fahrun­gen miteinan­der teilen? – Als Beitrag dazu erzäh­le ich heute einige per­sön­liche Erleb­nisse: Da und dort auf mein­er Wan­derung habe ich näm­lich solche Berührun­gen des Him­mels erlebt. Abschliessen will ich danach mit kurzen Gedanken zur Frage: Was hil­ft, das Reich Gottes mit­ten unter uns bess­er wahrzunehmen?

  • Eine Berührung des Him­mels habe ich jeden Abend erlebt. Ich habe es wohl an den let­zten Son­nta­gen auch schon angedeutet: Die her­rliche Dusche nach einem lan­gen und schweis­streiben­den Wan­dertag. Ich behaupte: Kaum etwas kommt in unser­er Welt der Erfahrung des Him­mels näher als eine Dusche nach einem lan­gen, heis­sen und ermü­den­den Tag. Es ist so belebend. So erfrischend. So wohltuend und erhol­sam. Schon fast litur­gisch habe ich meine Dusche bisweilen gestal­tet. Und unter den Wasser­strahlen gesun­gen: „So wie ne fyne, erfrüschende Räge, … so, Herr, isch dyni Liebe, so Herr, isch dyni Gnad.“
  • Begeg­nun­gen mit Men­schen wur­den mir zu starken Him­mel­re­ichsmo­menten. Ein paar Beispiele:
    • Vier­mal hat mich jemand einen Tag (und ein­er davon sog­ar zwei Tage) auf mein­er Wan­derung begleit­et: Miteinan­der unter­wegs zu sein. Zeit zu haben. Zu reden. Zu schweigen. Spass zu haben … Das liess mich viel vom Him­mel ahnen. Und gele­gentlich fühlte ich: Es ist fast wie bei den Emmausjüngern. Als ob Jesus mit uns mit wan­derte und redete.Mit ein­er Wirtin im Bern­er See­land bin ich in ein inten­sives Gespräch über Gott und die Welt ger­at­en. Ein­fach so. Sie wollte von mir wis­sen, was um alles in der Welt mich zu Fuss aus­gerech­net in Radelfin­gen lan­den und über­nacht­en liesse. Ich habe ihr von meinem Wan­der­pro­jekt erzählt. Und sie hat begeis­tert einge­hängt. Sie hat­te auch schon Pil­ger­erfahrun­gen gemacht. Beze­ich­nete sich zwar, wie sie betonte, als Agnos­tik­erin. Aber Spir­i­tu­al­ität inter­essierte sie sehr. Und so wurde es eine her­zliche und inten­sive Begeg­nung, in der ich jeden­falls die Nähe Gottes gut zu spüren meinte. — Ob sie es auch gespürt hat? Und wie sie es nen­nen würde? Das weiss ich nicht….Ein anderes Mal in einem Migros-Restau­rant: Ich hat­te mich vor einem Regen­schauer ans Trock­ene geflüchtet und mir ein Znüni gegön­nt. Der an den Tisch gelehnte Wan­der­steck­en fiel bald um. Ich liess ihn. Nicht aber der Teenag­er vom Nach­bar­tisch. Er stand auf und reichte mir fre­undlich den Wan­der­stab. – Als ich ein paar Minuten später auf­s­tand um weit­erzuge­hen, drehte er sich am Nach­bar­tisch noch ein­mal zu mir um und wün­schte mir her­zlich einen guten Tag. – Ich wurde wahrgenom­men, gese­hen. Die ehe­ma­lige Jahres­lo­sung kam mir in den Sinn: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“
    • Auch das tägliche Tele­fonieren mit mein­er Frau war für mich während der Wan­derzeit jedes Mal ein Him­mel­re­ichsmo­ment. Wir haben fest­gestellt, dass wir in dieser Zeit wohl aus­führlich­er miteinan­der kom­mu­niziert haben als son­st im All­t­ag. Und suchen jet­zt nach Möglichkeit­en und Wegen, wie wir das beibehal­ten können.
  • Gottes Nähe nehme ich auch wahr, wenn ich in Sit­u­a­tio­nen komme, die für mich zwar zufäl­lig sind und den­noch gut vor­bere­it­et wirken. Zwei Beispiele: 
    • Ich hat­te ganz zu Beginn mein­er Wan­derung einen Post von einem Pfar­rkol­le­gen auf Insta­gram gese­hen. Er machte deut­lich, dass er um jeman­den trauert, der ihm nahe ges­tanden war. Ich kan­nte die Umstände aber nicht. – Einen Tag später war ich mit einem anderen Kol­le­gen unter­wegs. Und ich fragte ihn, ob er Genaueres wisse. Er kon­nte mir sagen, dass der Vater des trauern­den Kol­le­gen nach langer Krankheit gestor­ben sei. — Zwei Tage später tre­ffe ich vor mein­er Unterkun­ft in Biel den trauern­den Kol­le­gen zusam­men mit sein­er Mut­ter. Wir froh war ich da um die ‚Vor­bere­itung‘. Es hat das Gespräch mit den bei­den speziell und inten­siv gemacht, dass ich gle­ich zum Ein­stieg mein Beileid aus­drück­en kon­nte. – Das meine ich mit ‚vor­bere­it­eten Situationen‘
  • Das Wet­ter hat mir ja einige Stre­iche gespielt. Unter anderem kon­nte ich nicht wie geplant durchs Mag­giatal wan­dern, weil dort alle Wan­der­weg ges­per­rt waren. Via Inter­net habe ich in Gior­ni­co eine Unterkun­ft gefun­den. Sie wirk­te ver­trauenswürdig. Gut im Schuss. Als ich ankam, sah auch alles gut ein­gerichtet und unter­hal­ten aus. Aber es war nie­mand zu sehen. Es wirk­te ziem­lich aus­gestor­ben. – Eine Wirtin tauchte aber bald auf und zeigt mir mein Zim­mer. Sie bestätigte, dass ich auch bei ihr zu Abend essen könne. Wie sich dann zeigte, war ich der einzige Gast im Hotel. Sie führte es in drit­ter Gen­er­a­tion, war unter­dessen nahe am Pen­sion­salter und ausser­dem gesund­heitlich angeschla­gen. Meine Über­nach­tung dort hat sie sich­er nicht gerettet und ihr auch nicht die Fra­gen beant­wortet, wie es denn weit­erge­hen könne. Aber das Gespräch tat ihr offen­bar gut. Und als ich mich für die Nacht zurück­zog, hörte ich wie sie mit ein­er Fre­undin tele­fonierte. Und sie sagte: „Heute ist ein guter Tag. Heute habe ich Arbeit.“ – Ich hat­te diese Begeg­nung nicht geplant. Und wenn ich es im Voraus gewusst hätte, wäre ich vielle­icht sog­ar aus­gewichen. Aber ich ging mit dem Gefühl zu Bett, an diesem Tag genau dort zu sein, wo ich sein sollte. — Vor­bere­it­et von Gott? Ich will gerne davon ausgehen
  • Die Schöp­fung, in der ich unter­wegs war, wurde mir immer wieder zum Hin­weis auf die Nähe Gottes. Auch so erlebte ich Him­mel­re­ichsmo­mente. Der Bergfrüh­ling z.B., wie ich ihn auf Grindel­wald-First und auf dem Grim­sel­pass erlebte, war unbeschreib­lich. Alle Alpen­blu­men miteinan­der am Blühen. So dicht an dicht, dass es wie ein bunter Tep­pich aus­sah. Dazu her­rlich klares und auch angenehm warmes Wet­ter. Wie heisst es bei Paul Ger­hard: „Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser schö­nen Som­merzeit!“ Genau so war es.
  • Ein anderes Mal war das Wet­ter weniger sta­bil. Abschnitte mit Son­nen­schein wech­sel­ten sich mit kurzen Regen­schauern. Aber ich war am Trock­e­nen, hat­te mein Tagesziel schon erre­icht. Und plöt­zlich überspan­nte ein Regen­bo­gen das Tal. Das Bun­desze­ichen Gottes. Die Erin­nerung und Bestä­ti­gung: Gott ist uns wohlgeson­nen. Er sorgt für uns. Er ist da. – Was gibt es Schöneres zu Sehen beim Ausklin­gen eines Som­mertages in den Bergen als einen Regenbogen?

Him­mel­re­ichsmo­mente, Berührun­gen des Him­mels, Hin­weise auf die Nähe und Liebe Gottes – es spielt keine Rolle, wie genau wir solche Erfahrun­gen nen­nen und einord­nen. Wir müssen auch nicht darüber stre­it­en, ob sie echt seien. Also: Ob wirk­lich Gott solch­es direkt für mich insze­niert habe. Oder ob der Ein­druck ein­er Him­mels­berührung doch eher aus meinem Bemühen, mit Gott unter­wegs zu sein und ihn wahrzunehmen gewach­sen sei. — Beweisen kön­nen wir Gott eh nicht. Aber wir glauben an ihn. Wir hal­ten uns daran, dass die Botschaft der Bibel uns einen liebevollen Gott näher bringt. Und wir entschei­den uns dafür, diesen Gott sehen, wahrnehmen zu wollen. Diese Entschei­dung für Gott, dieser Glaube ist ein wichtiges Ele­ment für die Fähigkeit, den Him­mel zu erfahren.
Hil­fre­ich ist ausser­dem, Zeit zu haben. Viel Zeit. Und in einem guten Rhyth­mus, in einem angenehmen Tem­po unter­wegs zu sein. So, dass ich gut vor­wärt­skomme lässt und doch offen sein kann für Wahrnehmungen und Impulse von aussen.
Das Wichtig­ste aber, so scheint mir, ist die Erlö­sung von unseren selb­st­definierten Dringlichkeit­en und Notwendigkeit­en. Die Rel­a­tivierung unser­er To-Do-Lis­ten. Und die Bewahrung davor, ständig mit star­rem Blick nach vorne und unten den kürzesten Weg gehen zu müssen. – Ich sehne mich selb­st nach mein­er Wan­derung in dieser Beziehung nach viel mehr Frei­heit. Nach Erlö­sung. Wir kön­nen in unserem All­t­ag viel von Gottes Nähe, Liebe und Begleitung wahrnehmen. Wir kön­nen unge­plant in gute Begeg­nun­gen und Gespräche ger­at­en. Wenn wir nur fähig sind oder wer­den, etwas flex­i­bler mit unseren Plä­nen umzuge­hen und etwas offen­er für die Impulse Gottes zu sein. Es ist so, wie Jesus sagt: Das Reich Gottes ist mit­ten unter uns. Mein Gebet und meine Hoff­nung für uns alle ist, dass wir bess­er ler­nen, das auch wahrzunehmen und uns davon inspiri­eren und ermuti­gen zu lassen. Amen

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