Erntedank-Predigt am 29.09.2024 in der EMK Adliswil
Liebe Gemeinde,
sich Sorgen zu machen, Probleme zu sehen und darüber zu stöhnen fällt vielen oft leicht. Darum sang der deutsche Entertainer Jürgen von der Lippe schon vor bald 40 Jahren: “Guten Morgen liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen? Na, dann ist ja alles klar ….
Zur Dankbarkeit hingegen müssen sich viele einen Schupf geben. Und aus Dankbarkeit heraus grosszügig zu teilen ist noch weniger selbstverständlich. Dazu habe ich vorletzte Woche zwei Erlebnisse gemacht:
Pia und ich waren bei einer ukrainischen Familie zum Znacht eingeladen. Sie freuten sich riesig, dass wir uns dafür Zeit nahmen und brachten diese Freude auch deutlich zum Ausdruck. Sie redeten davon, wie dankbar sie seien, in der CH sein zu dürfen, Arbeit gefunden zu haben und nicht auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Der Tisch war reich gedeckt mit Spezialitäten aus ihrer Heimat. Und am Schluss gaben sie uns so viel von den Resten mit, dass wir noch mindestens zwei Mahlzeiten damit bestreiten konnten. – Ihre Dankbarkeit war mit Händen zu greifen. Sehr beeindruckend.
Einen Tag danach waren wir zu einem Geburtstagsfest eingeladen. Ein befreundetes Paar feierte, dass sie zusammen 100 Jahre alt sind. Schweizer. Mittelklasse. Ich weiss nicht, ob es Sorgen um die Finanzierung oder ein anderes Motiv war, dass sie in der Einladung schreiben liess: Bringt doch selber mit, was ihr essen und trinken wollt. Wenn jemand mehr mitbringt als er oder sie konsumieren kann, teilt uns das doch mit. – Wie wir in der Kirche wissen, funktionieren solche Bring- und Hol-Buffets gut. Es wurde ein schönes Fest mit angenehmen Begegnungen. Und doch: Der Kontrast zur Einladung bei der Flüchtlingsfamilie am Tag zuvor fühlte sich krass an. Das ging uns nach.
Wie steht es um unsere Dankbarkeit? In welchem Verhältnis steht sie zu den Sorgen, die wir uns machen? Wie leicht teilen wir mit anderen, was wir haben? Stimmt das Verhältnis? — Vielleicht danken wir wenig, teilen wenig und machen uns viele Sorgen.
Am vergangenen Dienstag nahm im Gesprächskreis jemand Bezug auf die Mittagsnachrichten. Es sei total schräg gewesen: Da war die Rede von den kriegerischen Auseinandersetzungen im Libanon und von vielen Toten. Und dann folgte, im selben Tonfall, genauso ernsthaft: In der CH werde darum gestritten, ob man die 5‑Räppler abschaffen wolle. Es sei nämlich ein Verlustgeschäft. Die Münzen kosteten in der Herstellung mehr als sie dann wert seien …. Was uns alles Sorgen macht! Sind wir uns bewusst, wie leicht viele unserer Sorgen sind, wenn man sie damit vergleicht, was Menschen an anderen Orten durchmachen müssen?
Wir feiern heute Erntedank! Das ist nicht nur gute Tradition. Es ist auch Therapie gegen zu viele und unnötige Sorgen: Sich bewusst machen und wahrnehmen, was uns alles geschenkt ist; Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, Gott und Menschen gegenüber; Gottes Segen und Spuren im eigenen Leben wahrnehmen. Das lässt vielleicht nicht alle Sorgen schmelzen und sich auflösen. Aber es stellt sie doch in ein anderes Licht. Und es entzieht ihnen die Dominanz.
Wenn dennoch Sorgen bleiben, gibt es immerhin die Einladung aus 1. Pt 5,4: „All eure Sorgen werft auf ihn. Denn er sorgt für euch!“ Und aus der Bergpredigt die Empfehlung: „Wenn ihr Euch Sorgen machen wollt, dann sorgt Euch um das Reich Gottes. Dann wird euch nämlich alles andere geschenkt.“ Das ist Mt 6,33 (frei nach D.Eschbach). Die Gute Nachricht Bibel übersetzt: „Sorgt euch zuerst darum, dass ihr euch seiner Herrschaft unterstellt, und tut, was er verlangt, dann wird er euch schon mit all dem anderen versorgen.“ Oder in der Basis Bibel steht: „Strebt vor allem anderen nach seinem Reich und nach seiner Gerechtigkeit – dann wird Gott euch auch das alles schenken.“
Das fordert heraus: Vertrauen zu wagen aus Dankbarkeit heraus kann schwierig sein. Wieviel leichter wäre es oft, den Sorgen den Lead zu überlassen! Und deshalb nie fertig sein damit, sich abzusichern. Immer noch etwas abklären. Auf eindeutigere Zeichen warten… und so nie einen Schritt des Glaubens wagen. – Danke sagen wir schon. Aber nachher auch: ‚Ok! Gehen wir weiter! Wagen wir einen nächsten Schritt.‘? Manchmal ertappe ich mich jedenfalls schon dabei, nach dem Danke nicht den nächsten Schritt zu tun, sondern eher zu sagen: ‚Danke, aber ….‘ Dagegen fordert Jesus auf, diesmal nach Luther 2017: “Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen. “
Der ganze Abschnitt, aus dem dieser Vers stammt, ist ein Aufruf zur ‘dankbaren Sorglosigkeit’. Ich lese nun Matthäus 6,25–34:
24) »Niemand kann gleichzeitig zwei Herren dienen! Entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben. Oder er wird dem einen treu sein und den anderen verachten. Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott und dem Geld dienen!
25) Darum sage ich euch: Macht euch keine Sorgen um euer Leben – was ihr essen oder trinken sollt, oder um euren Körper – was ihr anziehen sollt. Ist das Leben nicht mehr als Essen und Trinken? Und ist der Körper nicht mehr als Kleidung?
26) Seht euch die Vögel an! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln keine Vorräte in Scheunen. Trotzdem ernährt sie euer Vater im Himmel. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?
27) Wer von euch kann dadurch, dass er sich Sorgen macht, sein Leben nur um eine Stunde verlängern?
28) Und warum macht ihr euch Sorgen, was ihr anziehen sollt? Seht euch die Wiesenblumen an: Sie wachsen, ohne zu arbeiten und ohne sich Kleider zu machen.
29) Ich sage euch: Nicht einmal Salomo in all seiner Herrlichkeit war so schön gekleidet wie eine von ihnen.
30) So schön macht Gott die Wiesenblumen. Dabei gehen sie an einem Tag auf und werden am nächsten Tag im Ofen verbrannt. Darum wird er sich noch viel mehr um euch kümmern. Ihr habt zu wenig Vertrauen!
31) Macht euch also keine Sorgen! Fragt euch nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?
32) Um all diese Dinge dreht sich das Leben der Heiden. Euer Vater im Himmel weiß doch, dass ihr das alles braucht.
33) Strebt vor allem anderen nach seinem Reich und nach seiner Gerechtigkeit – dann wird Gott euch auch das alles schenken.
34) Macht euch also keine Sorgen um den kommenden Tag – der wird schon für sich selber sorgen. Es reicht, dass jeder Tag seine eigenen Schwierigkeiten hat.« Matthäus 6,25–34 (Basis Bibel)
Die Begründung für diesen Aufruf zur ‘Sorglosigkeit’ lautet: “Niemand kann zwei Herren dienen…. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.” (NZB). Weiter geht es mit ‘Darum’: “Darum sage ich euch: sorgt euch nicht!” D.h. ja wohl: Sich Sorgen zu machen ist Dienst für Mammon, also ein Form von ‘Götzendienst’. Oder umgekehrt – positiv – formuliert: Wer Gott dient und ihm vertraut, der hat keinen Grund, sich um sich selbst Sorgen zu machen.
Sich für eine dankbare Lebenshaltung und gegen Sorgen entscheiden bedeutet: Sich für Gott und das Vertrauen entscheiden. Sorgen dürfen wir loslassen, ihm anvertrauen. Die Verantwortung für das, was sich unserer Kontrolle entzieht, können wir Gott überlassen. Wir zählen darauf, dass er für uns sorgt. Daraus wächst Dankbarkeit. So können wir Erntedank feiern. Auch das wurzelt im Vertrauen auf Gott und in der Bereitschaft, sich (von ihm) helfen zu lassen. Christus hat alles für uns getragen: Leiden, Sorgen, Lasten, Mühsames und Langweiliges. Nichts davon braucht uns mehr zu belasten. Weil er uns liebt, mit uns geht und alles schenkt, was wir zum Leben brauchen. Darum soll die Tonart unseres Lebens die Dankbarkeit sein, nicht nur heute, am Erntedankfest, sondern jeden Tag. Also auch dann noch, wenn nicht alles rund, sondern vieles schief läuft. “Sorgt euch nicht” - das ist die Einladung zur Dankbarkeit, zum Glauben, zum Vertrauen.
In der Bergpredigt entfaltet Jesus konkret, was das heisst. Dabei geht es zuerst um Essen und Trinken. Sich darum nicht zu sorgen, sollte eigentlich zu schaffen sein. Schliesslich haben wir alle mehr als genug davon. Sorgen müsste uns eigentlich eher das Zuviel machen. Trotzdem: Wie schnell geraten wir an einem Buffett ins Drängeln … aus Angst, gerade das, was wir unbedingt haben möchten, könnte zu früh ausgehen? Wie oft kreisen unsere Gedanken ums Essen? Wie heikel sind wir manchmal, wenn es nicht ganz genau unseren Vorstellungen entspricht? Jesus sagt: “Sorgt euch nicht um Essen und Trinken. Das Leben ist viel mehr als das!“
Es stimmt wohl: Das eigene Verhältnis zu Essen und Trinken liefert Hinweise darauf, wie gross das Gottvertrauen schon ist oder auch nicht. Das war übrigens keine neue Entdeckung Jesu. Schon in der rabbinischen Auslegung des AT gelten jene Israeliten, die mehr Mannah sammelten als sie für einen Tag brauchten, als Paradebeispiel für Kleingläubige. – Und Ihr wisst ja, was mit dem überschüssigen Mannah passierte: Es war am nächsten Tag nicht mehr geniessbar! — Ich möchte mir unseren Kühlschrank nicht vorstellen, wenn darin alles faul würde, was wir nicht an dem Tag essen, an dem wir es gesammelt bzw. gekauft haben? — “Sorgt euch nicht um Essen und Trinken. Das Leben ist viel mehr als das!”
Dann die Kleidung: Auch davon haben wir mehr als genug. Dennoch quälen wir uns damit, was wir nun anziehen sollen: Was passt am besten? Wie kann ich mich in ein günstiges Licht rücken? Womit kann ich den Eindruck erwecken, den ich möchte? – Ich schätze es, wenn jemand gut und sauber angezogen ist. Aber ist die Frage so viel Energie wert, wie wir manchmal hineinstecken? Jesus sagt dazu: “Der Mensch ist mehr als die Kleidung. Was macht ihr euch also so viel Sorgen darum? Seht euch die Blumen auf den Wiesen an! Sie arbeiten nicht und kümmern sich auch nicht um ihre Kleidung. Doch selbst König Salomo in seiner ganzen Herrlichkeit war lange nicht so prächtig gekleidet wie irgendeine dieser Blumen. Wenn aber Gott sogar das Gras so schön wachsen lässt, ….. meint ihr, dass er euch dann vergessen würde? Vertraut ihr Gott so wenig?
Natürlich dürfen wir gutes Essen kochen und wertschätzen. Selbstverständlich ist die Freude an schönen Kleidern erlaubt. Aber es ist nebensächlich. Weder das eine noch das andere macht den Wert unseres Lebens aus. Wir mögen uns noch so um Essen und Kleidung sorgen, es verlängert oder verbessert unser Leben nicht.
Vom Vertrauen her liesse sich auch das Thema Sicherheit noch anschneiden. Darum sorgen sich alle, in der CH ganz besonders. Im Durchschnitt gibt jede Person in der Schweiz über 1‘000.-/monatlich für Versicherungen aus. Pro Haushalt macht das fast 25 % des verfügbaren Einkommens. Dennoch fühlen sich Herr und Frau Schweizer nicht wirklich sicher und jammern über steigende Unfallzahlen oder Verbrechensraten. Obwohl die Statistik das Gegenteil beweist. Klingt doch ziemlich schräg.
Ich glaube, Jesus bringt es in der Bergpredigt genau auf den Punkt: “Ist euer Gottvertrauen so klein?” fragt er. Das ist der Grund, warum wir uns immer wieder von Sorgen dominieren lassen: Unser Gottvertrauen reicht nicht. Wir meinen, selbst dafür sorgen zu müssen, dass es gut kommt. Das haben wir aber nicht im Griff. Und so wachsen Sorgen, ja Ängste um das Wohlergehen. Das Stresslevel steigt. Und wir merken vielleicht gar nicht, wie weit wir dabei am Leben vorbeizielen.
Wichtig ist: Christus verbietet uns die Sorgen nicht. Aber er will sie in gute Bahnen lenken. Und uns so von dem befreien, was uns das Leben verpassen lässt: Lasst doch die Sorgen fahren. Vertraut Gott. Dann wird es Euch viel besser gehen. Und falls Ihr nicht wisst, was Ihr mit der Energie, die Ihr in eure Sorgen verlocht habt, nun anfangen sollt, dann investiert sie doch einfach in Gottes Reich. Lebt und engagiert Euch für ihn. Dann werdet ihr haben, was ihr zum Leben braucht.
Hoffentlich trägt jedes Erntedankfest, das wir feiern, dazu bei: Dass wir uns etwas weniger Sorgen machen; dass wir etwas dankbarer werden; dass wir etwas mehr auf Gottes Wirken vertrauen. Dann ist sehr viel erreicht. Lassen wir uns von Jesus zu einer dankbaren Sorglosigkeit (¹ Verantwortungslosigkeit) ermuntern. Lernen und üben wir, das Vertrauen ganz auf Gott zu setzen. Das lässt uns gelassen und dankbar leben.
Nicht Jammern und Sorgen, sondern Danken soll unser Leben bestimmen. Unser Denken muss nicht problemorientiert, sondern darf verheissungsorientiert sein. Es geht nicht darum, was wir leisten. Sondern wichtig ist, dass wir die Geschenke Gottes wahrnehmen. Und diese nutzen, um das Reich Gottes zu fördern. Eben, mit dem Leitvers unseres Auftrags gesagt: “Gebt nur Gott und seinem Reich den ersten Platz in eurem Leben, so wird er euch auch alles geben, was ihr nötig habt.” (Mt 6,33). Amen