Predigt zu Philipper 2,6–11 in der EMK Adliswil am 20.04.2025 (Ostern)

Liebe Gemeinde,
Ostern bedeutet einen, ja den Machtwechsel schlechthin: Vom Tod zum Leben; von der Verzweiflung zur Hoffnung; von Lethargie und Resignation zum Aufbruch. In den Geschäften findet der Machtwechsel jeweils schon etliche Wochen früher statt, nicht gerade tiefgreifend, aber augenfällig: Spätestens Ende Februar verschwinden Mandarinen, Erdnüsse und Fasnachtschüechli aus den Regalen. Plötzlich regieren Schoggihasen und Ostereier. Ich erschrecke zwar Jahr für Jahr, wenn gefühlt noch mitten im Winter die Dekoration ganz auf Frühling wechselt. Aber ich feiere gerne den Machtwechsel von Ostern. Den Sieg des Lebens über den Tod
‚Machtwechsel‘ — Google liefert unzählige Treffer zum Begriff und erklärt mir zuerst: Es sei “ein friedlicher Machtübergang oder eine friedliche Machtübergabe. Das sei ein für demokratische Regierungen wichtiges Konzept, bei dem die Führung einer Regierung die Kontrolle über die Regierung friedlich an eine neu gewählte Führung übergibt.” Das klingt gut, aber auch idealisiert. In Deutschland ist so ein Machtwechsel gerade im Gang. Tatsächlich weitgehend friedlich … aber: Der neue Kanzler hatte im Wahlkampf versprochen, alles anders, d.h. besser zu machen. Nun zeigt der ausgehandelte Koalitionsvertrag freilich: Es wird sich nicht so viel ändern. Es kommen wohl andere Köpfe an die Spitze. Aber sie bleiben auf Kompromisse angewiesen. Deshalb wird im Volk wenig Wechsel spürbar werden.
Was bringt ein Machtwechsel, wenn er kaum etwas ändert? – Immerhin Stabilität. Das ist auch etwas. In den USA war ja der Machtwechsel radikaler. Da hat sich sehr viel geändert. Aus meiner Sicht allerdings alles andere als zum Guten. Und die Stabilität geht gerade verloren. Auch friedlich war/ist dieser Machtwechsel nicht wirklich. Viele, die ihre Stelle verloren haben, deren Vermögen geschmolzen ist wie Schnee an der Sonne oder die nun ausgeschafft wurden, werden diesen Machtwechsel als gewalttätig erlebt haben. Und wie ist es erst beim Machtwechsel in Syrien, beim Kampf um einen Machtwechsel in Serbien, in der Türkei, im Iran, in den Palästinensergebieten .… ?
Umgangssprachlich wird das Wort ‘Machtwechsel’ sehr häufig gebraucht, nicht nur politisch, sondern auch in der Wirtschaft oder im Sport: Ein Trainerwechsel im Fussball z.B. bedeute einen Machtwechsel im Verein. Auch in diesen Bereichen ändern ‚Machtwechsel‘ oft weit weniger als erhofft oder gewünscht. Die ganze grosse Ausnahme in den letzten Jahrzehnten war der Untergang der kommunistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa 1989/90. Damals haben sich wirklich grundlegende Dinge bleibend verändert. Neue Werte wie Freiheit und Verantwortung gewannen an Einfluss. Und die politischen Systeme wurden vielerorts demokratischer.… was in unserer Zeit aber vielerorts wieder gefährdet scheint. Gibt es überhaupt bleibende Machtwechsel zum Guten in unserer Welt?
Ein Machtwechsel zum Guten müsste zu einer grundlegenden und bleibenden Veränderung der Situation führen. Proritäten, ja die Werte müssten ändern. Freiheiten müssten grösser werden und Abhängigkeiten abnehmen. Das Vertrauen müsste wachsen und die Angst schwinden … Dann könnte positiv von einem Machtwechsel gesprochen werden. — Manchmal deutet sich so etwas an und lässt hoffen. Aktuell in der Türkei, ganz im Verborgenen auch im Iran. Wenn, wie damals im Herbst 1989 im Ostblock, die Angst von den Menschen abfällt und Drohungen keinen Eindruck mehr machen. Wenn Menschen zusammenstehen und bereit werden, für mehr Freiheit sogar persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Wenn selbst die Möglichkeit, Leib und Leben in Gefahr zu bringen, nicht mehr bremst. Dann werden alte Machtsysteme wirkungslos. Ihre Repräsentanten müssen früher oder später abtreten. Man kann nur hoffen und beten, dass Ansätze zu solchen Veränderungen nicht wieder ersticken. Dass sie sich vielmehr durchsetzen, dass mehr Freiheit für alle tatsächlich Wirklichkeit wird. Dann kann es zu nachhaltigen und bleibenden Machtwechseln kommen.
Doch was hat das nun alles mit Ostern zu tun? – Nun, die Bibel behauptet nicht weniger als dies, dass mit Ostern der Machtwechsel schlechthin Wirklichkeit geworden sei. Alle Zeugen des NT proklamieren: An Ostern hat die Macht endgültig gewechselt. Von diesem Moment an ist Jesus Christus der Herr der Welt. Die Auferstehung Christi ist das Zeichen dafür. Damit ist die Macht des Todes gebrochen. Der Tod hat nicht mehr das letzte Wort. Es gibt keine Gottferne mehr. Schliesslich hat im Sterben Christi Gott selbst den Raum des Todes erobert. Damit ist die Angst vor dem Tod überwunden, weil wir selbst im Sterben von der Liebe Christi umfangen bleiben.
Manchmal wird das im NT auch so formuliert: „Das Reich Gottes ist nun aufgerichtet.“ Und in diesem Reich gelten ganz andere Werte. Nicht mehr der Gehorsam gegenüber dem Gesetz, sondern das Vertrauen auf Christus bedeutet jetzt Rettung, Leben. Irdische Wertmassstäbe werden auf den Kopf gestellt: „Erste werden Letzte und Letzte werden Erste“ (vgl. Mt 19,30 par; Lk 1,52). Das Prinzip Leistung wird vom Prinzip Gnade abgelöst. Der ruinöse Wettbewerb zwischen den Menschen wird abgeschafft. Dafür kann die Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen Gestalt gewinnen. Ziel ist nicht mehr, die Mitmenschen zu beherrschen, sondern ihnen zu dienen.
Dieser Machtwechsel hat über Karfreitag und Ostern unwiderruflich stattgefunden, wie im Jh-Ev der Ausruf Jesu am Kreuz: „Es ist vollbracht!‘ unterstreicht. — Die Geschichte dieses Machtwechsels verdichtet ein uraltes Lied, das Paulus im Philipperbrief zitiert:
Christus, der doch von göttlichem Wesen war,
hielt nicht wie an einer Beute daran fest,
Gott gleich zu sein,
sondern gab es preis
und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven,
wurde den Menschen ähnlich,
in seiner Erscheinung wie ein Mensch.
Er erniedrigte sich
und wurde gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht
und ihm den Namen verliehen,
der über allen Namen ist,
damit im Namen Jesu
sich beuge jedes Knie,
all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und jede Zunge bekenne,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters. Philipper 2,6–11 (NZB)
Also noch einmal kurz zusammengefasst: Jesu ist Mensch geworden um allen zu dienen und schliesslich sogar für sie zu sterben. Seinen Weg hat Gott in der Auferweckung bestätigt. Damit vollzog sich der Machtwechsel. Von nun an ist Christus Herr über alle und alles. … Und: Dabei wird es bleiben.
Wer dies in unserer Welt bezeugt oder besingt (Phil 2,6ff ist ein altes Lied → ‚Christus-Hymnus) Botschaft bezeugt, stösst allerdings auf Widerspruch. Viele sagen nämlich: Wenn Christus die Macht hätte, dann müsste die Welt anders aussehen. Doch die Machtkämpfe gehen auf allen Ebenen weiter. Selbst in demokratischen Strukturen kümmern sich Amtsinhaber oft mehr um den Erhalt ihrer eigenen Macht und vernachlässigen ihren Auftrag, Probleme zu lösen. Leistung gilt – gerade in den westlichen Gesellschaften – noch immer viel mehr als Gnade. Und nicht zuletzt: Christliche Gesinnung, d.h. Orientierung am Vorbild und an den Werten Christi, wird oft belächelt, manchmal auch aktiv bekämpft. Ein Wertewechsel im Sinn der bibl. Osterbotschaft hat sich bisher nicht durchgesetzt.
Hat die Bibel also gar nicht recht? Ist die Osterbotschaft nur ein frommer Wunschtraum? — Vielleicht haben solch kritische Fragen ja damit zu tun, dass wir die Wirklichkeit mit ‚alten Werten und Massstäben‘ messen. Doch mit Christus hat eine andere, sanfte Macht die Herrschaft übernommen. Dieser Herr sichert seine Macht nicht durch Druck und Repression. Christus ‚herrscht’bzw. überzeugt als Diener aller, wie er seinen Jüngern mit der Fusswaschung vorführte (Jh 13,1–13; vgl. dazu auch Mk 10,45). Seine Herrschaft wächst darum mehr im Verborgenen und fällt nicht schon auf den ersten Blick auf.
Kenner der biblischen Botschaft weisen auch darauf hin, dass Ostern zwar der entscheidende Wendepunkt, aber noch nicht der Abschluss des Machtwechsels sei. Die Trendwende ist zwar unumkehrbar eingeleitet. Doch die alten Mächte geben sich (noch) nicht geschlagen und führen Rückzugsgefechte. Auch darum ist der Machtwechsel noch nicht offensichtlich, aber er ist auf dem Weg.
Und eine dritte Teilantwort auf Anfragen an die Osterbotschaft heisst: Christi Machtwechsel ist keine Revolution von oben, sondern eine von unten. Es fängt deshalb nicht bei den Regierungen, sondern bei den einzelnen Menschen an. In der Begegnung mit dem Auferstandenen können Menschen Befreiung erleben: Sie erfahren sich als bedingungslos angenommen. Sie profitieren von Christi Vergebung. Sie erleben, wie seine Gesinnung, wie sein Geist, ihr Leben zu prägen beginnt und einen Wertewechsel einleitet. Dieser Machtwechsel im persönlichen Leben wirkt sich dann aus … auf unsere Lebensgestaltung, auf unsere Begegnungen und Beziehungen. Er zieht Kreise. Mehr und mehr wird nämlich nicht nur an den erneuerten Menschen, sondern auch in ihrer Umgebung der Machtwechsel von Ostern sichtbar und greifbar.
D.h. der Machtwechsel von Ostern verändert zunächst einzelne Menschen. Deren Veränderung wirkt sich aus und beginnt die Welt zu beeinflussen und zu ändern. Die Kraft Christi muss über uns kommen und in uns wirken. Dann kann es weiter gehen. Als von Gott Veränderte beginnen wir die Welt zu verändern – vielleicht nur die kleine Welt in unserer unmittelbaren Umgebung … doch das ist viel mehr als man meint.
Ich schliesse mit einem kurzen Text von Kurt Marti:
das könnte manchen herren so passen
wenn mit dem tode alles beglichen
die herrschaft der herren die knechtschaft der knechte
bestätigt wäre für immer
das könnte den herren so passen
wenn sie in ewigkeit herren blieben im teuren privatgrab
und die knechte knechte in billigen reihengräbern
aber es kommt eine auferstehung
die anders ganz anders wird als wir dachten
es kommt eine auferstehung
die ist der aufstand gottes gegen die herren
und gegen den herrn aller herren: den tod
Amen
