Aufbruch ins Unbekannte

Predigt zu Gen­e­sis 12,1–4 in der EMK Adliswil am Son­ntag 31.08.2025;

Liebe Gemeinde,

es geht heute wieder ums Auf­brechen. Um den Segen, der aus Auf­brüchen wächst. Und darum, dass wir oft ins Unbekan­nte auf­brechen … auf­brechen müssen.
Das begeis­tert mich allerd­ings sel­ten. Viel lieber breche ich auf, wenn ich weiss, was mich erwartet. Ich gehe gerne zu Fre­un­den, von denen ich weiss, dass sie mir gut tun. Mit dem WoMo starte ich am leicht­esten, wenn ich weiss, dass und wo ein Platz reserviert ist. Auch zu pas­toralen Dien­sten breche ich am lieb­sten auf, wenn ich genau weiss, was von mir erwartet wird.
Nur ist das eher die Aus­nahme, dass ich in bekan­nte Gefilde auf­brechen kann. Häu­figer sind Auf­brüche mit Unsicher­heit­en ver­bun­den. Es kön­nte ja aller­hand schief gehen. Es kön­nte ganz anders her­auskom­men als geplant. Falls über­haupt ein Plan existiert. Was wird wohl daraus? Nicht sel­ten ist solche Ahnungslosigkeit sog­ar das dominierende Gefühl beim Auf­bruch. Ich weiss zwar, dass ich nicht bleiben kann, son­dern gehen muss. Doch wohin? Wie? Wann? Mit Wem? Das ist alles offen. Es ist ein Auf­bruch ins Unbekannte.

Warum breche ich den­noch auf? Aus Gehor­sam? Aus Lust am Ner­venkitzel? Aus Verzwei­flung? Aus Neugi­er? — Im kirch­lichen Kon­text wird gerne die Rolle des Gehor­sams betont. So u.a. auch von John Wes­ley, der ein­mal gesagt/geschrieben hat: «Wir soll­ten nicht danach fra­gen, ob ein Auf­trag durch­führbar ist, son­dern vielmehr, ob er befohlen wird!» Immer­hin fährt er nach­her nicht mah­nend, son­dern ver­heis­sungsvoll weit­er: «Wenn der Ruf des Her­rn ergan­gen ist, wer­den wir spüren, dass wir irgend­wie vor­wärts kom­men, sei es wie Petrus über das Wass­er oder wie Israel durch die Fluten!»
Gehor­sam ist sich­er ein wichtiger Aspekt bei Auf­brüchen. Dazu lassen sich zahlre­iche bib­lis­che Beispiele anführen: Noah hat weit weg von einem Gewäss­er ange­fan­gen, ein Schiff zu bauen … weil Gott es ihm aufge­tra­gen hat. Abra­ham ist auf Gottes Wort hin ins Unbekan­nte aufge­brochen. Ruth ist ihrer Schwiegermut­ter nach Israel gefol­gt. Dabei kon­nte sie nicht wis­sen, ob es dort einen Platz für sie gab. Josua führte Israel im Gottes Auf­trag ins gelobte Land. Und Paulus ist wie gehört aufge­brochen, bevor er die Rich­tung kan­nte. Er musste sich unter­wegs mehrfach kor­rigieren lassen. Und Paulus gehorchte dem Heili­gen Geist.
Das let­zte Beispiel macht aber auch deut­lich: Gehor­sam allein ist nicht alles. Es braucht auch Mut. Und es braucht Hoff­nung. Einen ver­heis­sungsvollen Aspekt z.B., wie beim Wes­leyz­i­tat. Es braucht Ver­trauen, dass der Auf­bruch sich als Segen erweisen kann. Alles spielte bei den erwäh­n­ten Beispie­len mit. Am offen­sichtlich­sten ist es bei Abra­ham, wo es heisst: «Wenn du auf­brichst, wirst du geseg­net! Wenn du gehst, wirst du zum Segen!» (Von da kommt übri­gens das The­ma der Predigtrei­he: Vom Segen des Auf­bruchs!’) – Ich lese die bekan­nten ersten Sätze aus der Abra­hams­geschichte, Gen­e­sis 12,1–4:

1 Der Herr sagte zu Abram:
»Ver­lass dein Land, deine Ver­wandtschaft
und das Haus deines Vaters!
Geh in das Land, das ich dir zeigen werde!
2 Ich will dich zum Stam­m­vater
eines grossen Volkes machen.
Ich will dich seg­nen
und deinen Namen gross machen,
sodass du ein Segen sein wirst.
3 Ich werde die seg­nen, die dich seg­nen.
Wer dir aber Bös­es wün­scht, den werde ich ver­fluchen.
Alle Völk­er der Erde
sollen durch dich geseg­net wer­den.«
4 Da ging Abram los,
wie der Herr es ihm befohlen hat­te.
Lot ging mit ihm.
Abram war 75 Jahre alt, als er Haran ver­ließ.           Gen­e­sis 12,1–4 (Basis Bibel)

Ich behaupte: Wäre Abra­ham aus reinem Gehor­sam aufge­brochen, wäre er nicht weit gekom­men. Der erste schöne Platz liess auf sein­er Reise kaum lange auf sich warten. Dort hätte er hän­gen bleiben und es sich gemütlich machen kön­nen. Er war ja dem Ruf gefol­gt und hätte das abhak­en kön­nen. Oder er hätte bei Schwierigkeit­en umkehren kön­nen. Z.B. als es Stress zwis­chen seinen und Lots Hirten gab. Oder er hätte sich resig­niert in den Schat­ten eines Baumes geset­zt, als er sah, dass das ver­sproch­ene Land schon bewohnt war. Dann hätte er seine Über­forderung beklagt. Und wohl Gott angeklagt, dank dem er zwar weg, aber nicht angekom­men wäre.
Rein­er Gehor­sam mag den Auf­bruch wagen lassen. Am Ziel ist man damit aber noch lange nicht. Unter­wegs sind Entschei­dun­gen zu tre­f­fen. Man muss sich ständig neu ori­en­tieren. Und hof­fen, dass im Unbekan­nten ein Ziel, das Ziel auf­taucht.
Was liess Abra­ham nicht nur auf­brechen, son­dern unter­wegs bleiben? Warum blieb er nicht am erst­besten näch­sten Ort? Er war ja immer­hin schon 75 Jahre alt. Er hat­te ein gutes Leben hin­ter sich und schon viel gese­hen. Er hätte sich einen schö­nen Alterssitz ein­richt­en kön­nen, an einem Ort, von dem aus der Heimat noch erre­ich­bar war. Wer hätte ihm Vor­würfe gemacht, wenn er altersentsprechend kleine Brötchen geback­en und es ruhig genom­men hätte? Ich finde eigentlich, sog­ar Gott hätte Ver­ständ­nis haben müssen.
Doch so kam es nicht. Son­dern Abra­ham startete mit 75 zum grössten Aben­teuer seines Lebens. Auf Gottes Ruf hin. Weil er ihm ver­traute. Und weil er neugierig war. Er hat­te nicht aufge­hört, etwas von Gott und vom Leben zu erwarten. Im Gegen­teil. Er wollte wis­sen, was nach der näch­sten Kurve und was hin­ter dem Hor­i­zont auf ihn wartete, was Gott für ihn bere­it hielt.
Viele unter­schätzen die Bedeu­tung der Neugi­er für den Glauben. Dabei ist sie offen­sichtlich sehr wichtig für das Leben über­haupt: Wie soll­ten denn Kinder laufen und reden ler­nen? Wie soll­ten Men­schen erwach­sen und reifer wer­den ohne Neugi­er? Wie viele Erfind­un­gen und Ent­deck­un­gen ver­danken wir beson­ders neugieri­gen Men­schen? Zwar ist die ‘Gwun­der­nase’ neg­a­tiv beset­zt. Weil man nicht die Nase in die Angele­gen­heit­en anderen steck­en soll. Doch Neugi­er ist viel mehr als ‘sich ein­mis­chen’. Sie zeigt Inter­esse am Leben. Sie fördert Entwick­lung. Neugi­er ist fürs Leben und für den Glauben sehr wichtig.
Abra­ham muss ein neugieriger Men­sch gewe­sen sein. Son­st wäre er mit 75 nicht mehr aufge­brochen. Er wollte wis­sen, was für ein Land ihm Gott zeigen wollte. Wollte sehen, wohin es führt. Wohin Gott ihn führt. Dabei war sein Ver­trauen so stark, dass er sich­er blieb: Was auch immer … mit und dank Gott wird es gut.

Und wir: Sind wir (noch?) neugierig? Überzeugt, dass wir nicht schon alles gese­hen und erlebt haben? Dass es noch Neues und Besseres zu ent­deck­en gibt? Ges­pan­nt darauf, was Gott noch für uns bere­it hält bzw. mit uns vorhat? Das würde uns helfen aufzubrechen. Immer wieder.

Im from­men Wortschatz mag Neugi­er ein sel­tener Begriff sein. Und doch ist sie eine Kraft, eine Geis­tes­gabe. Sie hält uns in Bewe­gung und lebendig. Neugi­er bedeutet: offen zu sein. Sie bedeutet, nicht alles fix zu pla­nen und im Voraus festzule­gen. Neugi­er bedeutet die zuver­sichtliche Erwartung: Gott hält noch grosse und gute Über­raschun­gen bere­it.
Wir müssen ja auf­brechen, immer wieder: Wenn ein neuer Lebens­ab­schnitt begin­nt. Wenn ein Umzug bevorste­ht. Wenn eine Diag­nose alles verän­dert. Wenn ein Kind geboren wird. Wenn ein geliebter Men­sch stirbt. Wenn eine Gemeinde sich neu erfind­en muss, um Men­schen in Begeg­nung mit dem Evan­geli­um zu brin­gen.
Bei jedem Auf­bruch ste­hen wir da wie Abra­ham: Vor einem Weg, dessen Ziel wir noch nicht sehen kön­nen. Ich habe in diesem Som­mer die Ski­flugschanze in Plan­i­ca gese­hen. Dort ste­ht bei 253,5 m, dem aktuellen Wel­treko­rd, ein lan­den­der Skispringer aus Holz. Wenn man sich dazu stellt und hin­auf­schaut, sieht man nichts von der Schanze. Das heisst umgekehrt: Der Skispringer sieht wed­er beim Los­fahren noch auf dem Absprungtisch, wo er lan­den wird. Eine Extrem­vari­ante des Auf­bruchs ins Unbekan­nte. Das braucht Mut. Und Ver­trauen. Und Neugi­er: Wohin und wie weit wird die Luft mich tra­gen?
Beim Auf­bruch brauchen wir Mut. Dazu das Ver­trauen, dass Gott mit­ge­ht. Er wird dabei bleiben, selb­st wenn der Weg unsich­er ist und vielle­icht gefährlich wird. Und es braucht Neugi­er zum Auf­bruch: Was wird mir begeg­nen? Welche Men­schen werde ich ken­nen­ler­nen? Welche Erfahrun­gen wird Gott schenken?
Vielle­icht ist das mehr als alles andere das Wesen des Glaubens: Nicht alles schon wis­sen müssen, son­dern einen Schritt nach dem anderen gehen. Ein lebendi­ger Glaube ist kein Besitz, über den man immer gle­ich ver­fü­gen kann. Son­dern Glauben ist eine Ent­deck­ungsreise. Er lässt mich auf jedem Schritt und immer wieder neu ent­deck­en: Gott ist da. Gott geht mit. An sein­er Seite geht es weit­er.
So stellt sich jeden Tag, bei jedem Schritt neu die Frage: Wohin schickt mich Gott? Was will er mir zeigen? Wie seg­net er mich? Wie kann ich anderen zum Segen wer­den? Wer so glaubt, bleibt neugierig und ges­pan­nt auf noch mehr. Sein/ihr Glaube lebt.

Abra­ham hätte sagen kön­nen: «Ich lasse es. Ich bleibe, wo ich bin. Ich habe einen ruhi­gen Lebens­abend ver­di­ent. Auf­brechen ist zu unsich­er…. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.» Aber so wäre die Geschichte schnell vor­bei gewe­sen. Bzw. sie hätte gar nicht ange­fan­gen. Doch Abra­ham war neugierig und wagte den Auf­bruch ins Unbekan­nte. So wurde er zum Segen für viele.
A pro­pos Neugi­er: Es wird viel von KI (→ kün­stliche Intel­li­genz) gere­det. Es wer­den Risiken und Gefahren beschworen. Wie früher bei der Eisen­bahn, bei der Elek­triz­ität … Ich war und bin neugierig – bei aller gebote­nen Vor­sicht – was KI bringt. Und so habe ich bei der Vor­bere­itung dieser Predigt KI genutzt … und prof­i­tiert. Die Predigt ist den­noch von mir! Aber es sind Gedanken drin, auf die ich alleine im Moment nicht gekom­men wäre.
Wir sind immer wieder gerufen, aufzubrechen und Neues zu ent­deck­en. Vielle­icht geht es nicht gle­ich in ein anderes Land. Aber doch in neue Sit­u­a­tio­nen, auf unbekan­nte Lebenswege. Dann kann uns die Erin­nerung an Abra­ham Mut geben: Gott geht mit. Mit ihm geht es ins ver­heis­sene Land. Daran kön­nen wir uns fes­thal­ten (→ Ver­trauen). Ich wün­sche uns, dass wir eine gute Por­tion heiliger Neugi­er behal­ten … oder neu find­en. Denn Gott ruft uns nicht ins Chaos, son­dern in seine Zukun­ft. Da gibt es viel Neues, unvorstell­bar Gross­es und Gutes. Es lohnt sich, aufzubrechen. Darum: «Geh in das Land, das ich dir zeigen werde! … Ich will dich seg­nen und deinen Namen gross machen, sodass du ein Segen sein wirst.» Amen

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