Impuls zu Exodus 32,1–14 in der EMK Adliswil am 25.05.2025

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Liebe Gemeinde,
im heutigen Predigttext tut Mose Fürbitte für Israel. Das passt zum Sonntag ‚Rogate‘ = ‚Betet‘. Das Thema Gebet ist aber nur ein Aspekt des ‚schwierigen‘ Bibeltextes. Es ist die Geschichte vom goldenen Kalb. Sie ist zwar seit Sonntagschulzeiten bekannt. Und doch seltsam, fremd, vielleicht sogar bizarr. Wenn ich das ganze Kapitel 2.Mose 32 lese, geht mir allerlei durch den Kopf:
- Wie kamen die Israeliten nur auf die Idee, ein Gottesbild anzufertigen? Und weshalb musste es ein Kalb/Stier sein?
 - Die Geschichte wirkt zusammengeflickt. Beim Lesen fallen mir Brüche im Erzählfaden auf. Als hätten mehrere daran geschrieben bzw. herumkorrigiert.
 - Auffällig sind die unterschiedlichen Führungsstile von Mose und Aaron: Aaron agiert populistisch, gibt dem ‚Druck der Strasse‘ nach. Mose aber zieht die Linie hart durch.
 - Weiter stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit der Strafe: Die Leviten haben unter den Tänzern um das goldene Kalb ein Gemetzel angerichtet, natürlich ‚im Namen Gottes‘. – Musste das sein aus Gehorsam gegenüber Gott? Oder war es eine Anmassung, dies im Namen Gottes zu tun?
 - Bemerkenswert ist schliesslich, wie Mose sich bei Gott für Israel einsetzt und ihn von seinem Vernichtungsbeschluss abbringt.
 
Es steckt mehr im Text, als in einer Predigt Platz hat. Ich beschränke ich mich auf zwei Aspekte: Zunächst auf die Frage, was es mit dem goldenen Kalb auf sich hat. Was genau ist eigentlich das Problem? Dann auf das Gespräch von Mose mit Gott. Da stecken Impulse zum Thema Gebet/Fürbitte drin.
I. – Einsteigen will ich nun mit der langen Vorgeschichte! Immer schon hatte Israel seinen Gott zwiespältig erlebt. Sicher hilfreich: Jhwh hat Israel weitergeholfen. Er hat Türen zur Zukunft geöffnet. Das Volk fand bei ihm Trost, Geborgenheit, Rettung, Kraft. Aber nicht nur! Zugleich blieb Gott rätselhaft und dunkel. Er liess oft lange auf sich warten. Seit Generation schon waren die Israeliten z.B. Sklaven in Ägypten. — Israels Vertrauen in Gott war von Fragen und Zweifeln angefochten.
Aus der Sklaverei waren sie jetzt zwar befreit. Wunderbar hatte Gott sie am Schilfmeer gerettet. Aber seither? In der Wüste waren Essen und Trinken knapp. Die Wanderung war strapaziös. So ging es nicht lange, bis sich viele zurücksehnten nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Dann kamen Manna und Wachteln. Ausserdem Wasser aus einem Felsen. Es ging auf und ab: Am einen Tage waren sie voll Vertrauen zu Gott. Und am nächsten fragten sie: “Hat Jhwh uns vergessen?“
Schliesslich kam es zum Bund am Sinai. Gott garantierte Israel seinen Schutz und seine Treue. Das Volk versprach dafür, seine Gebote zu halten. Nur zu Jhwh wollte Israel halten und dabei, anders als die Völker ringsum, auf Bilder verzichten.
Danach stieg Mose auf den Berg und blieb vierzig Tage verschwunden. Womit nicht nur Mose, sondern auch Gott weit weg war für Israel. Dabei waren sie immer noch in der Wüste. – Kein Wunder, dass die Zweifel zurückkamen: Was ist mit Mose passiert? Wo ist Gott geblieben? Hat er uns verlassen? – Die Israeliten suchten nach einer Vergewisserung für ihren Glauben. Dabei fehlte Mose! – Dann ging es so weiter:
Das Volk Israel unten im Lager hatte lange auf die Rückkehr von Mose gewartet. Als er immer noch nicht kam, liefen alle Männer bei Aaron zusammen und forderten: »Mach uns einen Gott, der uns schützt und führt! Denn was aus diesem Mose geworden ist, der uns aus Ägypten hierher geführt hat — niemand weiss es.« Aaron sagte zu ihnen: »Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her!« Alle nahmen ihre goldenen Ohrringe ab und brachten sie zu Aaron. Er schmolz sie ein, goss das Gold in eine Form und machte daraus das Standbild eines Jungstiers. Da riefen alle: »Hier ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägypten hierher geführt hat!« Aaron errichtete vor dem goldenen Stierbild einen Altar und liess im Lager bekannt machen: »Morgen feiern wir ein Fest für den Herrn!« Früh am nächsten Morgen brachten die Leute Tiere, die als Brandopfer dargebracht oder für das Opfermahl geschlachtet wurden. Sie setzten sich zum Essen und Trinken nieder und danach begannen sie einen wilden Tanz. Exodus 32,1–6 (GNB)
II. — Seit der Sonntagsschule wissen wir: Das war falsch! Doch: Warum eigentlich? Es gibt zwei Möglichkeiten:
a) — Die geläufigere Sicht meint: Israel schuf sich mit dem goldenen Kalb einen neuen, einen anderen Gott. Damit hätte es das 1. Gebot gebrochen, das heisst: “Du sollst keine anderen Götter neben mir haben” (Ex 20,2f).
Sollte diese Einschätzung stimmen, wäre auch die Übertragung auf heute ziemlich klar: Wir erleben und erleiden oft, wie leicht sich allerlei Dinge, Themen und Ansichten ins Leben drängen. Und ja, das Leben zu dominieren beginnen. Das Goldene Kalb wird deshalb zum Symbol für alles, was im Leben zu viel Platz einnimmt. Sobald wir zulassen, dass etwas Gott in den Hintergrund drängt, beginnt der Tanz ums goldene Kalb. Vielleicht ist die Vergötterung gar nicht offensichtlich. Es kann kleiner und harmloser sein. Vielleicht werden Job oder Karriere zu wichtig. Ein Hobby könnte es sein. Oder das liebe Geld. Auch die Sehnsucht nach bestimmten Erfahrungen und Gefühlen, sogar im religiösen Bereich. Selbst von Menschen können wir uns so abhängig machen, dass sie für uns zum ‘goldenen Kalb’ werden. Auch Moden, Maximen und Trends unserer Zeit und Gesellschaft können dazu werden.
Wenn es in dieser Geschichte um das 1.Gebot geht, dann ist das goldene Kalb ein Mahnmal, das uns erinnert: Gott gehört der erste Platz im Leben.
b) – Allerdings: Ein goldenes Stierbild muss nicht zwingend für einen anderen Gott als Jhwh stehen. Während der Zeit der getrennten Reiche Israel und Juda stand in Dan und in Bet-El je ein goldenes Stierbild. Doch verehrt wurde dort nur Jhwh.
Fertigte Aaron ein Bild für den Gott Israels? Das wäre möglich. Immerhin rufen die Israeliten laut Ex 32,4 vor dem goldenen Kalb: “Hier ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägypten hierher geführt hat!” Dann läge ein Verstoss nicht gegen das 1., sondern gegen das 2.Gebot vor: “Du sollst dir kein Gottesbild anfertigen.” (aus Ex 20,4).
So weit, so klar. Aber ist das wirklich so schlimm? Wenn das goldene Kalb nur helfen soll, Gott in Erinnerung zu behalten, sollte es dann nicht besser erlaubt sein. Es könnte dann ja Jhwh‘s Gegenwart sichtbar machen und den Glauben stützen … Allerdings: Menschen haben oft Mühe, sauber zwischen Bildern und der dahinter liegenden Wirklichkeit zu unterscheiden. Früher oder später würde wohl jemand vor dem goldenen Kalb stehen und vergessen, dass es sich dabei nur um einen ‘Platzhalter’ für Gott handelt … Er würde das Bild anzubeten beginnen. Das ist z.B. bei der Heiligenverehrung die Schwierigkeit. Eigentlich geht es um Vorbilder, denen nachzueifern sich lohnt. Doch wie leicht verwechseln Menschen Heilige und Gott. Dann lenken Bilder von Gott ab. Deshalb waren sie schon zu atl Zeit verboten. – Wichtiger noch ist: Ein Bild macht Gott kleiner als er ist. Es grenzt ihn ein. Es macht Gott scheinbar greifbar, verfügbar. Das Verhältnis von Gott und Mensch dreht sich. Der Mensch tut, als wäre er Chef. Er bestimmt, wann und wie Gott im Gottesdienst (der Tanz um das goldene Kalb war ein Gottesdienst) zu erscheinen hat. Wobei es leicht wird, Gott Worte und Botschaften in den Mund zu legen, die bestimmten Menschen gelegen kommen.
Die Unsichtbarkeit und scheinbare Abwesenheit Gottes ist zwar schwer zu ertragen. Doch ein goldenes Kalb bietet keinen Ausweg. Der Glaube ist herausgefordert, ohne Bilder auszukommen. Das hat auch der auferstandene Christus unterstrichen, als er zum Jünger Thomas sagte: “Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.” (Jh 20,29). – Umgekehrt: Wer Bilder/Vorstellungen mit Gott selbst verwechselt, wird Gott los. Das ist die Konsequenz.
c) – Genau das zeigt die Geschichte vom goldenen Kalb. Die Beziehung (bzw. der Vertrag/Bund) zwischen Gott und Mensch wird gestört. Was dazu führt dazu, dass Gott aussteigen will: Er will die Israeliten vernichten und mit Mose noch einmal so anfangen, wie er es schon mit Abraham getan hat. Mit dem goldenen Kalb hat sich das Volk Gottes ins Abseits manövriert. Die Israeliten sind ‘draussen’, sind ‘ausgeschieden’. Damit sie überhaupt wieder ins Spiel kommen, braucht es einen Vermittler. In unserer Geschichte ist das Mose. Seit dem NT ist es für alle Zeiten Jesus Christus, der den Kontakt zu Gott vermittelt. Er holt uns zurück ins Spiel des Lebens. – Aber hören Sie, wie Mose sich bei Gott für Israel einsetzt. Ich lese weiter, 2.Mose 32,7–14:
Da sagte der Herr zu Mose: »Steig schnell hinunter! Dein Volk, das du aus Ägypten hierher geführt hast, läuft ins Verderben. Sie sind sehr schnell von dem Weg abgewichen, den ich ihnen mit meinen Geboten gewiesen habe: Ein gegossenes Kalb haben sie sich gemacht, sie haben es angebetet und ihm Opfer dargebracht und gerufen: Hier ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägypten hierher geführt hat!« Weiter sagte der Herr zu Mose: »Ich habe erkannt, dass dies ein widerspenstiges Volk ist. Deshalb will ich meinen Zorn über sie ausschütten und sie vernichten. Versuche nicht, mich davon abzubringen! Mit dir will ich neu beginnen und deine Nachkommen zu einem großen Volk machen.« Mose aber suchte den Herrn, seinen Gott, umzustimmen und sagte: »Ach Herr, warum willst du deinen Zorn über dein Volk ausschütten, das du eben erst mit starker Hand aus Ägypten herausgeführt hast? Du willst doch nicht, dass die Ägypter von dir sagen: Er hat sie nur herausgeführt, um sie dort am Berg zu töten und völlig vom Erdboden auszurotten! Lass ab von deinem Zorn, lass dir das Unheil Leid tun, das du über dein Volk bringen willst! Denk doch an Abraham, Isaak und Jakob, die dir treu gedient haben und denen du mit einem feierlichen Eid versprochen hast: Ich will eure Nachkommen so zahlreich machen wie die Sterne am Himmel; ich will ihnen das ganze Land, von dem ich zu euch gesprochen habe, für immer zum Besitz geben.« Da sah der Herr davon ab, seine Drohung wahr zu machen, und vernichtete sein Volk nicht. Exodus 32,7–14
III. – Nun geht es ums Gebet bzw. um Fürbitte. Ähnlich wie Abram vor dem Untergang Sodoms verhandelt Mose mit Gott. Nachdem Gott bereits beschlossen hatte: “Es geht nicht mit diesem Volk!” Im damaligen Denken ist das zusammen mit der daraus folgenden Vernichtung absolut folgerichtig (auch wenn es unserem Denken widerspricht): Israel hat den Bund/Vertrag gebrochen. Damit ist Gott nicht nur seine Verpflichtung los. Er muss den Vertragsbruch auch ahnden.
Dennoch wehrt sich Mose gegen Gottes Entschluss. Er kämpft mit allen Mitteln für Israel. Dabei ist er alles andere als kleinlaut. Abram tastete seinerzeit (vgl. Gen 18) vorsichtig, demütig und zurückhaltend ab, ob und wieviel ‘es leiden möge’. Mose aber argumentiert fordernd, um nicht zu sagen frech. In meinen Worten: “Überleg doch, was das für Deinen Ruf bedeuten würde”, sagt Mose zu Gott. “Du würdest dich in Ägypten lächerlich machen. Was sollen die von einem Gott halten, der sein Volk aus der Gefangenschaft befreit, nur um es anschliessend selbst zu vernichten. Wer wollte Dir noch vertrauen, wenn du die Versprechen an Israel, zurücknimmst?“
Mose nimmt Gott beim Wort. Er erinnert ihn an das, was er versprochen hat. Und mit diesen Argumenten im Hintergrund bittet er Gott. Bzw. genau genommen verlangt er: Gott solle auf seinen Vernichtungsbeschluss zurückkommen und mit Israel weiter machen. — Und tatsächlich: Gott lässt sich überzeugen.
Ich bin nicht Mose. Wir alle sind nicht Mose. Dennoch dürften wir vielleicht noch mutiger werden. D.h. nicht nur unsere Anliegen nennen, sondern auch dafür kämpfen. Sogar argumentieren und Gott sein Wort, seine Versprechen vorhalten, wenn wir um etwas bitten. Es ist erlaubt zu beten: “Du hast versprochen, also mach auch …!” Und wir können sicher sein, dass Gott uns zuhört.
Die Geschichte zeigt, dass Gottes Plan nicht für alle Zeiten unabänderlich feststeht. Dann hätte ja Beten, jedenfalls Fürbitte gar keinen Sinn. Hat es aber. Gott lässt mit sich reden. Er lässt sich überzeugen. Er lässt sich auf seinen Versprechen und Verheissungen behaften. Er lässt sich bitten, gnädig zu sein, noch gnädiger vielleicht, als er es eh schon vorhatte. Darum ist die Geschichte vom goldenen Kalb eine Mutmachgeschichte für alle BeterInnen.
Damit sind längst nicht alle Fragen beantwortet, welche die Geschichte vom goldenen Kalb auslöst. Manches bleibt mir fremd. Und in manchen Punkten – vor allem hinsichtlich ‚Mord und Totschlag’, d.h. die Strafe der Tänzer:innen – bin ich sehr dankbar, sagen zu können: Das gilt so nicht mehr. Das AT ist vom NT in Manchem revidiert worden. Das NT ist unser Massstab. Darum ist ein Vernichtungsbeschluss Gottes gar nicht mehr denkbar. Sondern es gilt das Gnadenangebot für alle.
Bei allen offenen Fragen nehme ich Wesentliches mit aus der Beschäftigung mit diesem Bibeltext: Eine Mahnung und eine Zusage:
Zusage, das Gebet betreffend: Mit Gott lässt sich reden. Habe keine Hemmungen, Deine Anliegen vor ihn zu bringen und mit Argumenten dafür zu kämpfen. Er hört Dir zu. Er lässt sich an seine Gnade erinnern. Dein Gebet macht einen Unterschied. Beten macht Sinn. Beten hat Kraft. Lass Dich überraschen, was gerade Dein Gebet verändern kann.
Mahnung: Gott ist unverfügbar. Er ist mehr, als du sehen, denken, verstehen kannst. Darum mach nicht Deine Vorstellungen von ihm zu Gott. Lass auch nichts anderes als Gott den ersten Platz in deinem Herzen und deinem Leben einnehmen. Vertraue allein ihm und verzichte auf Absicherungen und Ersatz-Götter. Gott ist mehr, ist anders, ist grösser. Auch wenn Du nichts von ihm spürst oder siehst, glaube es: “Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.” Amen
