Bibeltext: Markus 9,2–13
Am 01. Februar 2022 haben wir in ‘Zäme … mit dr Bible die Geschichte von der Verklärung Jesu zu verstehen versucht. Ich habe beim spannenden Gespräch nicht mitgeschrieben.
Aber in meinem Archiv habe ich eine Predigt gefunden, die ich im Sommer 2020 über diesen Bibeltext gehalten habe. Wer sich dafür interessiert, kann einfach auf ‘WEITERLESEN’ klicken .…
wir sind am Beginn der Ferienzeit. Vieles ist zwar anders als sonst. Was aber bleibt, das ist: Wir hoffen auf tolle Erfahrungen, Begegnungen, auf Gipfelerlebnisse: Zum Beispiel allein auf einem Berggipfel stehen und das Panorama geniessen … oder: den Meeresstrand bei Sonnenuntergang ganz für uns haben … oder: einem Adler zuschauen, der ganz nahe fliegend mit dem Wind spielt, ihn mit einem ganz normalen Objektiv seelen-ruhig und ausgiebig fotografieren können … solche Gipfelerlebnisse vergisst man nicht. Man kann von ihnen zehren, wenn der Alltag grau, düster, langweilig werden will.
An welche Gipfelerlebnisse erinnern Sie sich wohl? Was für Erinnerungen bringen Farbe und Kraft in ihren Alltag? – Mein heutiger Predigttext handelt von einem geistlichen Gipfelerlebnis. Ich lese Markus 9,2–13.
I. AUF DEM GIPFEL
Ganz Unterschiedliches kann einem zum Gipfelerlebnis werden, nicht nur Ferienerlebnisse, sondern z.B. auch – wie für Petrus, Jakobus und Johannes – eine geistliche Erfahrung: Ein Gespräch vielleicht, in dem plötzlich ein Knoten platzt und mir etwas ganz klar wird, was vorher wie ein wilder, wirrer Haufen wirkte. Oder ein Moment, in dem ich die Nähe Gottes überdeutlich wahrnehme. Oder die Erfahrung intensiver Ge-meinschaft im Gebet oder im Gottesdienst. Oder das Erleben, dass ein Bibeltext plötzlich direkt und haargenau in meine Situation hinein spricht. Jemand hört vielleicht Gott sogar reden …
Toll, wenn einem so ein geistliches Gipfelerlebnis geschenkt wird! Aber irgendwie auch schwierig, weil solche Erfahrungen anderen fast nicht angemessen zu vermitteln sind. Uns mag die Sprache, mögen die angemessenen Worte dafür fehlen. Wir realisieren, dass es für die einen dick aufgetragen und überspannt klingt, für andere aber ganz banal und enttäuschend wirkt, wenn wir unsere Begeisterung mit anderen zu teilen versuchen. Nur selten und sicher erst mit der Zeit findet jemand die richtige Mischung, um von seinem geistlichen Gipfelerlebnis so zu erzählen, dass es echt und überzeugend wirkt. Ich vermute, genau das sei der Grund, weshalb Jesus seine Jünger hier mahnt, vorerst nichts von diesem Gipfelerlebnis weiterzuerzählen: „Lasst das sich erst mal setzen. Wenn ich erst auferstanden bin, könnt ihr es ohnehin besser einordnen. Und bis dann findet ihr wohl auch zur angemessenen Sprache, um die Erfahrung hilfreich zu formulieren.“
Ja, es ist schwierig, von einer eigenen Gotteserfahrung zu erzählen. Etwa so, wie wenn man jemandem, der das Gefühl nicht kennt, beschreiben möchte wie es ist, verliebt zu sein. Und doch muss man es manchmal versuchen: Geistliche Gipfelerlebnisse können so intensiv sein, dass wir das Gefühl haben, davon erzählen zu müssen. Nicht um uns damit zu brüsten. Aber weil darin eine Botschaft steckt, die wir anderen nicht vorenthalten wollen. – So jedenfalls muss es mit dem Erlebnis gewesen sein, das Petrus, Johannes und Jakobus auf dem Berg der Verklärung machten. Sie merkten, dass diese Offenbarung nicht nur für sie gedacht war, sondern weitererzählt werden soll. Es steckt darin etwas, was für den Glauben überhaupt grundlegend ist. Deshalb haben sie nach Ostern davon erzählt. Und so kam die Geschichte ins Mk-Ev.
II. DREI HÜTTEN BZW. ZELTE
Die Pointe ihres Gipfelerlebnisses besteht in folgender Einsicht: Jesus lässt sich nicht nur mit den grössten jüdischen Gestalten vergleichen. Er übertrifft sie sogar. – Wie sonst niemand stehen Mose und Elia ja für ‚das Gesetz und die Propheten‘, also für die ganze Fülle des Alten Testa-ments. Dass sich Jesus auf dem Berg der Verklärung gerade mit diesen beiden Männern trifft, zeigt, in welcher ‚Liga‘ er spielt. Wenn er überhaupt mit jemandem verglichen werden kann, dann nur mit diesen beiden. Schliesslich und endlich müssen aber selbst Mose und Elia verblassen, wenn es darum geht, Jesu Bedeutung ganz zu erfassen.
Mose, Elia und Jesus stehen für drei unterschiedliche Frömmigkeitskonzepte, für drei Arten des Glaubens bzw. der Beziehung zu Gott.
- MOSE: Die ersten fünf Bücher der Bibel tragen seinen Namen. Sämtliche wesentlichen Gebote und Gesetze sind darin enthalten und werden auf ihn zurückgeführt. Mose hat seinem Volk das Gesetz Gottes gegeben. Das machte ihn im Glauben Israels zu einer absolut herausra-genden Figur. Für viele Juden zur Zeit Jesu war er so wichtig, dass sie überhaupt nur die fünf Bücher Mose — die so genannte ‚THORA‘ — als Heilige Schrift akzeptierten. — Mose steht also für das Wort und die Weisung Gottes. Er ist der Patron für alle Formen von Frömmigkeit, die in der Bibel nach dem Willen Gottes suchen und sich bemühen, seinen Weisungen und Geboten zu gehorchen.
- ELIA: Er ist für gläubige Juden der Prophet schlechthin. Er riskierte sein Leben, als er unter König Ahab das Volk Israel zur Umkehr rief. Angefeindet und verfolgt vom König und der götzendienerischen Königin Isebel führte er das Volk Gottes weg von den Götzen zurück zum einen Gott Israels. Elia war eine sehr beeindruckende, in seinem strengen Eifer aber auch unheimliche Figur. Er steht für radikalste Hingabe an Gott, für das Streben nach Reinheit, Heiligung und einem konsequenten Glauben. — Elia ist die Symbolfigur dafür, dass wir nicht nur Hörer, sondern Täter des Wortes sein sollen (vgl. Jak 1,17: „Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein!“). Selbst wenn das Opfer, Verzicht und Verfolgung bedeutet: In seinem Eifer für Gott liess sich Elia von nichts bremsen, ablenken oder unterbrechen.
- JESUS: Ihn kannten die Jünger besser als die anderen beiden. Schon so lange waren sie mit ihm unterwegs. Sie hatten erlebt, wie er Kranke heilte und Sündern die Vergebung Gottes zusprach. Wie er den Menschen Gott als unendlich liebenden Vater nahebrachte. Und wie er immer wieder in Konflikt geriet mit jenen, in deren Vorstellung Gott strenger sein müsste. — Jesu Botschaft war und ist: Gott ist die Liebe, so sehr, dass er die Nähe der Menschen sucht, gerade die Nähe von Armen, Kranken, Ver-achteten und Sündern. Dabei war Jesus nicht nur Verkündiger dieser nahe kommenden Liebe Gottes, er verkörperte sie geradezu. Er steht darum für das Konzept der Gnade bzw. der bedingungslosen Liebe Gottes. Jesus nachzufolgen heisst: Das eigene Leben nicht auf religiöse oder moralische Leistung, nicht auf Recht und Gesetz, nicht auf die eigene Hingabe, sondern allein auf die vergebende und uns neu auf- und ausrichtende Liebe und Gnade Gottes zu bauen.
Mose, Elia und Jesus stehen also für die drei Lebens- und Glaubenskonzepte: das Wort Gottes, die Hingabe und die Gnade. Wenn die drei auf dem Berg der Verklärung miteinander reden, zeigt das, dass sie irgendwie zusammengehören. Soviel begreift Petrus und denkt: „Hier bin ich richtig. Ich will mich ganz am Wort Gottes orientieren. Ich will mich ganz hingeben. Ich will mein Leben ganz auf Gottes Gnade bauen. Das sollen ab sofort die drei Säulen meines Glaubens sein!“
Man kann das gut verstehen. Auf den ersten Blick wirkt Petrus‘ Drei-Hütten- bzw. ‚Drei-Zelte-Glauben‘ überzeugend: Das Wort Gottes als The-orie, die Hingabe als Praxis, und – weil das ja nie ganz reicht und wir alle sowohl theoretisch als auch praktisch immer wieder an Grenzen stossen — für den Rest eben die Gnade. Wohl fast alles, was sich christlich nennt, basiert auf diesen drei Säulen. Höchstens die Grösse und Gewichtung dieser Säulen differiert. Aber es sind immer wieder diese drei. Und bestimmt kann man es sich darunter ganz gut einrichten mit seinem Glauben.
Doch nun passiert etwas ganz Überraschendes: Plötzlich verschwinden Mose und Elia vor den Augen der Jünger. Sie sehen nur noch Jesus. Und sie hören aus der Wolke, d.h. von Gott her, die Stimme, die sagt: „Dies ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören!” – Das ist nun eine Klarstellung, die zum Stein des Anstosses werden kann, die bis in unsere Zeit hinein skandalös wirkt. Denn sie bedeutet: Jesus, Mose und Elia lassen sich in vielerlei Hinsicht gut vereinbaren. Aber im Zweifelsfall müssen Mose und Elia verschwinden. Dann gilt es, sich nur an Jesus zu orientieren. Bei aller Wertschätzung hat zu gelten: Jesus ist mehr als Mose und auch mehr als die Propheten. Er ist der Sohn. Und Gnade ist nicht nur ein Konzept unter Anderen. Sozusagen der Lückenbüsser, wenn die beiden anderen nicht ausreichen. Gnade ist in den Augen Gottes vielmehr das einzige Konzept, ist die Richtschnur, an der sich die anderen messen lassen müssen. Das Wort Gottes hat seinen Platz. Die Hingabe hat ihren Platz. Aber die Gnade ist der Weg.
Unser Glaube steht demnach nicht auf ‚drei Säulen‘. Weder unsere Treue zum Wort noch unsere Hingabe taugen als Fundament unseres Glau-bens. Das kann nichts sein, was wir tun oder leisten. Sondern (wie bereits als Grusswort gehört) „darin besteht die Liebe: Nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden“ (1. Jh 4,10).
Mose und Elia waren grossartige Zeugen Gottes und geben in vielerlei Hinsicht wertvolle Vorbilder ab. Aber sie dürfen uns nicht dazu verleiten, auf etwas anderes zu vertrauen als auf die Gnade. Jedenfalls nicht, wenn es um unser Heil geht, darum, wie wir vor Gott stehen. Weder unsere Bibeltreue noch unsere Hingabe bringen uns mit Gott zusammen, sondern allein seine Liebe und Gnade. — MARTIN LUTHER soll einmal gesagt haben: „Manche Leute bieten die Schrift (→ Mose und Elia) gegen Christus auf. Dann müssen wir Christus gegen die Schrift aufbieten.” Denn Jesus ist mehr als Mose und Elia. Darum verschwinden die beiden in der Verklärungsgeschichte. Unsere Hoffnung sollen wir allein auf Jesus Christus setzen. – „Und als sie um sich blickten, sahen sie niemand mehr bei sich als Jesus allein.”
III. DER WEG BERGAB
Es muss eine unfassbare Erfahrung gewesen sein, dieses Gipfelerlebnis auf dem Berg der Verklärung. Ich verstehe sehr gut, dass Petrus für immer dort bleiben wollte: „Meister, hier ist für uns gut sein. Wir wollen drei Hütten bauen!“. So redet jemand, der das, was er erlebt, unbedingt festhalten möchte. Doch genau das geht nicht. Geistliche Gipfelerlebnisse sind wie Oasen auf dem Weg durch die Wüste: Herrliche Orte, um aufzutanken, sich zu stärken etc. Aber man kann nicht dort bleiben. Die Reise muss fortgesetzt werden. Das Leben geht weiter. Das bedeutet auch: Wenn man oben ist, muss und wird es früher oder später wieder bergab gehen. Es ist eine fromme Illusion, zu meinen, man käme darum herum.
Das Leben ist eine Wanderung bergauf und bergab. Die Geschichte von der Verklärung zeigt, dass wir auf Gipfelerlebnisse hoffen und darum bitten dürfen, dass Gott uns berührt und anspricht. Gute Tage sind auf dem Weg des Lebens und Glaubens wie ein Kapital, von dem unsere Seele zehren kann, wenn wir in Tiefen und Untiefen geraten. Darum: Freuen wir uns mit jedem, der von schönen, intensiven und aufregenden Erfahrungen mit Gott zu berichten weiss.
Nehmen wir aber auch zur Kenntnis: Jesus geht auf die Bitte des Petrus, Hütten zu bauen, um das Gipfelerlebnis festzuhalten, mit keinem Wort ein. Es geht eben nicht. Glück und Fülle lassen sich nicht festhalten. Lakonisch erzählt Markus weiter: „Als sie aber vom Berge hinabstiegen…“. So ist das Leben. Auf der anderen Seite des Gipfels geht es wieder hinunter. Eine gesunde und lebensnahe Spiritualität darf das nicht ausblenden.
So sehr es geistliche Gipfelerfahrungen gibt und wir sie feiern und geniessen sollen, so sehr wird uns eine gute Spiritualität auch auf die Erfahrung des Abstiegs vorbereiten und uns dafür stärken. So realistisch muss man sein. Zugleich darf sich der Glaube daran halten, dass Gott aus jeder Tiefe eine neue Höhe machen, ja dass er sogar den Tod zu neuem Leben verwandeln kann und will. Davon spricht z.B. Paulus, wenn er formuliert: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Röm 8,28). – In diesem Sinne wünsche ich Ihnen in der kommenden Zeit (ob Sie Ferien haben oder nicht) Gipfelerlebnisse, die Kraft, Hoffnung, Rückenwind geben für die Berg- und Talfahrt, die das Leben eben ist. Amen