Predigt am 03.11.2024 in der EMK Adliswil und in der Regenbogenkirche
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Liebe Gemeinde,
wer war bzw. ist Jesus eigentlich? An dieser Frage scheiden sich die Geister bis heute. Dabei hat die Antwort darauf entscheidende Bedeutung.
Mk hat die Antwort genau in der Mitte seines Evangeliums platziert. Er unterstreicht so die Bedeutung der Aussage: Er erzählt vom Bekenntnis des Petrus. Daran schliessen sich eine erste Leidensankündigung und ein Streit zwischen Jesus und Petrus an.
Der Abschnitt bringt auf den Punkt, worum es Mk geht: Das ist 1. die Überzeugung: Ja, Jesus ist Gottes Sohn. Ja, er ist der erwartete Messias. Es ist 2. die Präzisierung: Nein, er ist das nicht so, wie alle erwartet haben, sondern ganz anders. Nicht Macht, sondern Leiden überwindet, was sich gegen Gott richtet. Und es ist 3. die Warnung: Wer sich nicht auf diese ganz andere Art des Messias einlässt, wird zu seinem Gegner. Er/sie riskiert, ‚Satan‘ bezeichnet und in die Schranken gewiesen zu werden, von Jesus selbst. — Ich lese Markus 8,27–33 in der Übertragung der Basis Bibel:
I. „Für Wen halten mich die Leute?“
Eine seltsame Frage: „Für wen halten mich die Leute?“ - Ist wirklich so wichtig, wie die Leute Jesus finden? Wäre nicht wesentlicher, ob die Menschen die Botschaft von Gottes Liebe erfasst haben? Oder: Wie viele Jesus nachfolgen? Oder: Welche Nöte sein Wirken zu lindern, wie viele Kranke er zu heilen vermochte?
Doch gefragt sind an dieser Stelle nicht die Auswirkungen von Jesu Tun. Jesus will wissen, für wen er gehalten wird. Aus damaliger Sicht ist das entscheidend, weil man die Taten und Worte Jesu nicht von seiner Person lösen kann. Die entscheidende Pointe ginge dabei verloren. Ihre Bedeutung erhalten Jesu Worte und Taten dadurch, dass in ihnen Gottes Sohn wirkt. Für einen Geheilten z.B. hatte seine Genesung natürlich unüberschätzbare Bedeutung. Für uns heute wäre das weniger wichtig, wenn Jesus nur ein Mensch, wenn auch ein besonders begabter gewesen wäre. Dann wäre er schon längst vergangene Geschichte. Dass Jesus übers Wasser gegangen ist, dass er einen Sturme gestillt, Menschen mit Brot versorgt und viele geheilt hat ….das wären nur nette Geschichten aus längst vergangener Zeit, wenn er nicht auferstanden wäre und heute noch lebte und wirkte.
Es gab nämlich schon unzählige begnadete Prediger und charismatische Wundertäter. Aber sie hatten kaum Bedeutung über ihre Zeit hinaus. Darum wissen wir nur noch wenig von ihnen. So wäre es auch mit Jesus, wenn er nur Mensch gewesen wäre. Seine Bedeutung bis (und für) heute bekommt Jesus Leben erst dadurch, dass er eben nicht nur ein Mensch war. So werden die ‚Wunder‘ von damals zu ‚Zeichen‘ für heute. Deshalb ist es nicht nur menschliche Weisheit, sondern Gottes Wort selbst, das uns in der Predigt Jesu erreicht. – Und darum ist Jesu Frage so wichtig: „Für wen halten mich die Leute?“
Die Bilanz ist zunächst alles andere als ermutigend: „Manche halten dich für Johannes den Täufer, andere für Elija und wieder andere für einen der Propheten.“ – Und heute könnte es so klingen: Jesus war ein ‚grosser Lehrer‘, oder ein ‚Philosoph‘, ein ‚moralisches Vorbild‘, ein sozialer Revolutionär‘, ein ‚Religionsstifter‘ oder Ähnliches. – Dasselbe wie damals: Jesus wird in eine von vielen Schubladen einsortiert, die alle eine gemeinsame Überschrift haben, nämlich: ‚Alles schon mal da gewesen!‘.
So lässt sich Jesu Wesen aber nicht erfassen. Er passt in keine Schublade, ist einzigartig, mit niemandem sonst zu vergleichen. Er ist — um Mk Lieblingsbegriff zu verwenden — der ‚Sohn Gottes‘. Er ist menschlicher als jeder Mensch und zugleich viel mehr als ein Mensch.
Jesus trieb die Frage um, was noch alles nötig war brauchte, damit die Leute das begriffen. Er hatte doch ein wahres Feuerwerk von Worten, Zeichen und Wundern gezündet … und doch hatte die Menschen so wenig verstanden. Tief enttäuscht muss Jesus das auf dem Höhepunkt seiner Wirksamkeit zur Kenntnis nehmen. Diese Enttäuschung lässt als Zweites fragen, ob wenigstens bei seinen JüngerInnen etwas hängen geblieben sei: „Und für wen haltet ihr mich?“
II. „Du bist der Christus!“
Petrus‘ Antwort heisst: „Du bist der Christus!“ – Schon zu Beginn seines Evangeliums hatte Mk als These formuliert: Jesus ist der ‚Christus‘ und der ‚Sohn Gottes‘. Genau dies bestätigt nun Petrus mit seinem Bekenntnis.
Nun ist ‚Christus‘ aber nicht Jesu Nachname, sondern ein Titel. Es ist die griechische Übersetzung des hebräischen ‚Messias‘ und bedeutet so viel bedeutet wie ‚der Gesalbte (Gottes)‘. Daran kristallisieren sich alle jüdischen Hoffnungen zur Zeit Jesu: Den Messias wird Gott seinem Volk zur Rettung schicken. Der Christus wird Israel von Unterdrückung befreien. Diesen ‚Gesalbten Gottes‘ stellte man sich einerseits als neuen König David (→ in der Erinnerung des Volkes der beste König, den Israel je hatte) vor. Andererseits erwartete man, dass er sich durch Wunder ausweisen würde. U.a. die Heilung von Aussätzigen oder von Blindgeborenen waren in der Hoffnung Israels dem Gesalbten vorbehalten. Da Jesus mehrere solcher Wunder vollbracht hatte, drängte er sich als Kandidat für den Messias-Titel geradezu auf.
Und eben: Der Messias sollte sein Volk von Unterdrückung befreien und ein Reich des Friedens und der Freiheit aufrichten. Natürlich würden die Feinde das Feld nicht freiwillig räumen, sondern erst blutig bekämpft und besiegt werden müssen. Aber Gott würde auf wunderhafte Weise einschreiten, um dem von dem Messias angeführten Volk zu einem triumphalen Sieg zu verhelfen.
Diese Erwartung richtete sich zur Zeit Jesu politisch und konkret gegen die römischen Besatzer. Die regierten nämlich so hart, dass es immer wieder zu Aufständen kam. Kurz vor Jesu Auftreten hatten etliche selbst ernannte Messiasse gegen die Römer gekämpft. Gottes wunderbares Eingreifen blieb aber aus und sie wurden alle hingerichtet. – Den Aufstand von ‚Judas, dem Galiläer‘ muss Jesus als Kind sogar hautnah miterlebt haben. Er liess sich als Messias ausrufen und zettelte einen Aufstand an. Die Römer reagierten brutal hart und schlugen die Revolte blutig nieder. Das ‚Brodeln‘ unter dem Volk konnten sie damit freilich nicht stoppen. Im Gegenteil.
‚Du bist der Christus!‘ In diesem Satz steckt also politischer Sprengstoff. Ausgerechnet in Cäsarea Philippi sagt das Petrus. In einer Garnisonsstadt und Hochburg der Römer. Deshalb gebietet Jesus seinen Jüngern, das (noch) nicht weiterzuverbreiten. Der Slogan war gefährlich und hätte eine heftige Reaktion der Römer provozieren können. Die Zeit war noch nicht da, dass sich Jesus öffentlich als Messias/Christus zu erkennen gab. Ausserdem: Jesus verstand sich als Messias: Er lehnte aber viele Vorstellungen, die sich im Volk mit dem Titel verbanden, ab. Die Jünger mussten erst noch verstehen lernen, wie Jesus selbst die Aufgabe des Messias sah. Darum folgt direkt auf Petrus‘ Bekenntnis die erste sogenannte Leidensankündigung.
Jesus erklärt damit: „Ja, ich bin der Messias. Aber gerade als Christus werde ich leiden und sterben.” Das bedeutet insgesamt ein grosses ‚Ja, aber‘ zu den Messiaserwartungen seiner Zeit:
- Ja, ich bin der messianische König. Aber ich komme in der Gestalt des leidenden Knechtes. Der erwartete Löwe von Juda ist seinem Wesen nach ein Lamm.
- Ja, ich werde den Sieg davontragen und: Ja, dieser Sieg wird blutig sein. Aber fliessen wird mein Blut, nicht das der anderen, der Feinde.
- Ja, ich werde ein Reich des Friedens aufrichten. Aber mein Reich ist nicht von dieser Welt: Man wird es auf keiner Landkarte finden. Es ist zwar mächtiger als alle Reiche dieser Welt zusammen, aber seine Macht zeigt sich nicht in Gewalt und Herrschaft, sondern in Liebe und Demut.
Für die Jünger war das alles ein riesiger Schock. Sie merkten wohl gar nicht, dass Jesus auch die Auferstehung ankündigt. Es ist zu viel und zu anders. Ihre Hoffnung auf die Rettung Israels stürzte in sich zusammen. — Kein Wunder also, dass Petrus heftig dagegen hält. Er will es Jesus ein für alle Mal ausreden. Nein! Es kann nicht und es darf nicht sein. Übrigens nicht nur aus theologischen, sondern auch aus persönlichen Gründen: Petrus will Jesus doch nicht so verlieren.
III. „Geh weg von mir, Satan!”
Doch jetzt ist er auf dem Holzweg. Wörtlich hält Mk fest: „Aber Jesus drehte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus streng zurecht: »Geh weg von mir, Satan! Dir geht es nicht um das, was Gott will, sondern um das, was Menschen wollen.«“ Aus den Worten spricht höchste Erregung. Jesu Nerven sind zum Zerreissen angespannt. Es wirkt, als hätte Petrus mit seinem Einwand eine offene Wunde in Jesus berührt. Vielleicht hatte Jesus ja in durchwachten Nächten schon Ähnliches gewälzt: „Nur das nicht! Schliesslich bin ich der Sohn Gottes. Müsste für mich nicht mehr noch als für jeden anderen gelten, was Gott Psalm 91,11f versprochen hat: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stossest?” — Dieses Psalm-Zitat spielt in Jesu Versuchungsgeschichte eine entscheidende Rolle. Der Satan versucht ihn dort so zu verleiten, von der Zinne des Tempels zu springen. – Das könnte erklären, dass Jesus in dem Moment in Petrus‘ Worten tatsächlich die Stimme des Versuchers wahrnimmt. Dann würde auch nachvollziehbarer, dass er Petrus direkt anspricht, ja anschreit: „Geh weg von mir, Satan!“
Was Mk hier mit dem Petrusbekenntnis und dem Geschehen darum herum auf den Punkt bringt, ist: Es gibt keine Messianität am Leiden und Sterben vorbei. Wer es sich anders erträumt, denkt nicht göttlich, sondern menschlich. Es gibt keine Auferstehung ohne Kreuz. Der erwartete Aufstieg des Christus erfolgt auf dem Umweg über einen unfassbaren Abstieg. Dreimal, so berichtet Mk, kündigt Jesus den Jüngern sein bevorstehendes Leiden an. Und doch traf es sie wie ein Hammerschlag, als Jesus dann tatsächlich am Kreuz hing und starb. Drei Tage später konnten sie die Auferstehung auch nicht fassen. Sie glaubten an Jesus — und glaubten ihm doch nicht. Sie glaubten, dass er der Messias sei und hatten doch einen langen Weg zu gehen, bis sie bis in die Tiefe erfassten, was das heisst.
Damit standen und stehen sie nicht alleine. Sie hatten zwar das Richtige erkannt — dass er der Messias war -, aber sie stellten sich das Falsche darunter vor. Erst direkt vor seinem Tod, als ihm der Prozess gemacht wurde, bekannte sich Jesus öffentlich als Messias. Und stellte klar, dass der Messiastitel und sein Tod unauflöslich zusammengehören. Erst durch das Kreuz wurde Jesus zum Christus.
Das sind Basics, grundlegendstes Wissen über Jesus Christus. Es sollte eigentlich für alle Christen selbstverständlich sein. Doch das ist es nicht! Wie leicht und schnell suchen Christen auch heute — wie Petrus damals n bester Absicht und doch total daneben – Wege und Mittel der Macht. Wie gerne würde wir das Reich Gottes mit allen Mitteln voranbringen, ‚durchdrücken‘. Wie sehr sträuben wir uns, in der Nachfolge Jesu den Weg der Demut, des Erleidens und Aushaltens zu gehen. Was Markus in der Mitte seines Evangeliums erzählt, ist auch eine Warnung: „Passt auf, dass Ihr Euch nicht ungewollt Jesus in den Weg stellt. Er ist der Christus. Ja. Unbedingt. Aber er ist es anders, als wir uns vorstellen und uns erträumen.“ – Mit dieser Warnung verbindet sich freilich die Einladung: „Lasst Euch ganz auf seinen Weg ein!“ Amen