Auf den Punkt gebracht

Markus 8,27–33

Predigt am 03.11.2024 in der EMK Adliswil und in der Regen­bo­genkirche

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Liebe Gemeinde,

wer war bzw. ist Jesus eigentlich? An dieser Frage schei­den sich die Geis­ter bis heute. Dabei hat die Antwort darauf entschei­dende Bedeutung.

Mk hat die Antwort genau in der Mitte seines Evan­geli­ums platziert. Er unter­stre­icht so die Bedeu­tung der Aus­sage: Er erzählt vom Beken­nt­nis des Petrus. Daran schliessen sich eine erste Lei­den­sankündi­gung und ein Stre­it zwis­chen Jesus und Petrus an.
Der Abschnitt bringt auf den Punkt, worum es Mk geht: Das ist 1. die Überzeu­gung: Ja, Jesus ist Gottes Sohn. Ja, er ist der erwartete Mes­sias. Es ist 2. die Präzisierung: Nein, er ist das nicht so, wie alle erwartet haben, son­dern ganz anders. Nicht Macht, son­dern Lei­den über­windet, was sich gegen Gott richtet. Und es ist 3. die War­nung: Wer sich nicht auf diese ganz andere Art des Mes­sias ein­lässt, wird zu seinem Geg­n­er. Er/sie riskiert, ‚Satan‘ beze­ich­net und in die Schranken gewiesen zu wer­den, von Jesus selb­st. — Ich lese Markus 8,27–33 in der Über­tra­gung der Basis Bibel:

I. „Für Wen hal­ten mich die Leute?“

Eine selt­same Frage: „Für wen hal­ten mich die Leute?“ - Ist wirk­lich so wichtig, wie die Leute Jesus find­en? Wäre nicht wesentlich­er, ob die Men­schen die Botschaft von Gottes Liebe erfasst haben? Oder: Wie viele Jesus nach­fol­gen? Oder: Welche Nöte sein Wirken zu lin­dern, wie viele Kranke er zu heilen ver­mochte?
Doch gefragt sind an dieser Stelle nicht die Auswirkun­gen von Jesu Tun. Jesus will wis­sen, für wen er gehal­ten wird. Aus dama­liger Sicht ist das entschei­dend, weil man die Tat­en und Worte Jesu nicht von sein­er Per­son lösen kann. Die entschei­dende Pointe gin­ge dabei ver­loren. Ihre Bedeu­tung erhal­ten Jesu Worte und Tat­en dadurch, dass in ihnen Gottes Sohn wirkt. Für einen Geheil­ten z.B. hat­te seine Gene­sung natür­lich unüber­schätzbare Bedeu­tung. Für uns heute wäre das weniger wichtig, wenn Jesus nur ein Men­sch, wenn auch ein beson­ders begabter gewe­sen wäre. Dann wäre er schon längst ver­gan­gene Geschichte. Dass Jesus übers Wass­er gegan­gen ist, dass er einen Sturme gestillt, Men­schen mit Brot ver­sorgt und viele geheilt hat ….das wären nur nette Geschicht­en aus längst ver­gan­gener Zeit, wenn er nicht aufer­standen wäre und heute noch lebte und wirk­te.
Es gab näm­lich schon unzäh­lige beg­nadete Predi­ger und charis­ma­tis­che Wun­dertäter. Aber sie hat­ten kaum Bedeu­tung über ihre Zeit hin­aus. Darum wis­sen wir nur noch wenig von ihnen. So wäre es auch mit Jesus, wenn er nur Men­sch gewe­sen wäre. Seine Bedeu­tung bis (und für) heute bekommt Jesus Leben erst dadurch, dass er eben nicht nur ein Men­sch war. So wer­den die ‚Wun­der‘ von damals zu ‚Zeichen‘ für heute. Deshalb ist es nicht nur men­schliche Weisheit, son­dern Gottes Wort selb­st, das uns in der Predigt Jesu erre­icht. – Und darum ist Jesu Frage so wichtig: „Für wen hal­ten mich die Leute?“
Die Bilanz ist zunächst alles andere als ermuti­gend: „Manche hal­ten dich für Johannes den Täufer, andere für Eli­ja und wieder andere für einen der Propheten.“ – Und heute kön­nte es so klin­gen: Jesus war ein ‚gross­er Lehrer‘, oder ein ‚Philosoph‘, ein ‚moralis­ches Vor­bild‘, ein sozialer Rev­o­lu­tionär‘, ein ‚Reli­gion­ss­tifter‘ oder Ähn­lich­es. – Das­selbe wie damals: Jesus wird in eine von vie­len Schubladen ein­sortiert, die alle eine gemein­same Über­schrift haben, näm­lich: ‚Alles schon mal da gewe­sen!‘.
So lässt sich Jesu Wesen aber nicht erfassen. Er passt in keine Schublade, ist einzi­gar­tig, mit nie­man­dem son­st zu ver­gle­ichen. Er ist — um Mk Lieblings­be­griff zu ver­wen­den — der ‚Sohn Gottes‘. Er ist men­schlich­er als jed­er Men­sch und zugle­ich viel mehr als ein Men­sch.
Jesus trieb die Frage um, was noch alles nötig war brauchte, damit die Leute das begrif­f­en. Er hat­te doch ein wahres Feuer­w­erk von Worten, Zeichen und Wun­dern gezün­det … und doch hat­te die Men­schen so wenig ver­standen. Tief ent­täuscht muss Jesus das auf dem Höhep­unkt sein­er Wirk­samkeit zur Ken­nt­nis nehmen. Diese Ent­täuschung lässt als Zweites fra­gen, ob wenig­stens bei seinen Jün­gerIn­nen etwas hän­gen geblieben sei: „Und für wen hal­tet ihr mich?“

II. „Du bist der Christus!“

Petrus‘ Antwort heisst: „Du bist der Chris­tus!“ – Schon zu Beginn seines Evan­geli­ums hat­te Mk als These for­muliert: Jesus ist der ‚Chris­tus‘ und der ‚Sohn Gottes‘. Genau dies bestätigt nun Petrus mit seinem Beken­nt­nis.
Nun ist ‚Chris­tus‘ aber nicht Jesu Nach­name, son­dern ein Titel. Es ist die griechis­che Über­set­zung des hebräis­chen ‚Mes­sias‘ und bedeutet so viel bedeutet wie ‚der Gesalbte (Gottes)‘. Daran kristallisieren sich alle jüdis­chen Hoff­nun­gen zur Zeit Jesu: Den Mes­sias wird Gott seinem Volk zur Ret­tung schick­en. Der Chris­tus wird Israel von Unter­drück­ung befreien. Diesen ‚Gesalbten Gottes‘ stellte man sich ein­er­seits als neuen König David (→ in der Erin­nerung des Volkes der beste König, den Israel je hat­te) vor. Ander­er­seits  erwartete man, dass er sich durch Wun­der ausweisen würde. U.a. die Heilung von Aussätzi­gen oder von Blind­ge­bore­nen waren in der Hoff­nung Israels dem Gesalbten vor­be­hal­ten. Da Jesus mehrere solch­er Wun­der voll­bracht hat­te, drängte er sich als Kan­di­dat für den Mes­sias-Titel ger­adezu auf.
Und eben: Der Mes­sias sollte sein Volk von Unter­drück­ung befreien und ein Reich des Friedens und der Frei­heit aufricht­en. Natür­lich wür­den die Feinde das Feld nicht frei­willig räu­men, son­dern erst blutig bekämpft und besiegt wer­den müssen. Aber Gott würde auf wun­der­hafte Weise ein­schre­it­en, um dem von dem Mes­sias ange­führten Volk zu einem tri­umphalen Sieg zu ver­helfen.
Diese Erwartung richtete sich zur Zeit Jesu poli­tisch und konkret gegen die römis­chen Besatzer. Die regierten näm­lich so hart, dass es immer wieder zu Auf­stän­den kam. Kurz vor Jesu Auftreten hat­ten etliche selb­st ernan­nte Mes­si­asse gegen die Römer gekämpft. Gottes wun­der­bares Ein­greifen blieb aber aus und sie wur­den alle hin­gerichtet. – Den Auf­s­tand von ‚Judas, dem Galiläer‘ muss Jesus als Kind sog­ar haut­nah miter­lebt haben. Er liess sich als Mes­sias aus­rufen und zettelte einen Auf­s­tand an. Die Römer reagierten bru­tal hart und schlu­gen die Revolte blutig nieder. Das ‚Brodeln‘ unter dem Volk kon­nten sie damit freilich nicht stop­pen. Im Gegen­teil.
‚Du bist der Chris­tus!‘ In diesem Satz steckt also poli­tis­ch­er Sprengstoff. Aus­gerech­net in Cäsarea Philip­pi sagt das Petrus. In ein­er Gar­nison­sstadt und Hochburg der Römer. Deshalb gebi­etet Jesus seinen Jüngern, das (noch) nicht weit­erzu­ver­bre­it­en. Der Slo­gan war gefährlich und hätte eine heftige Reak­tion der Römer provozieren kön­nen. Die Zeit war noch nicht da, dass sich Jesus öffentlich als Messias/Christus zu erken­nen gab. Ausser­dem: Jesus ver­stand sich als Mes­sias: Er lehnte aber viele Vorstel­lun­gen, die sich im Volk mit dem Titel ver­ban­den, ab. Die Jünger mussten erst noch ver­ste­hen ler­nen, wie Jesus selb­st die Auf­gabe des Mes­sias sah. Darum fol­gt direkt auf Petrus‘ Beken­nt­nis die erste soge­nan­nte Leidensankündigung.

Jesus erk­lärt damit: „Ja, ich bin der Mes­sias. Aber ger­ade als Chris­tus werde ich lei­den und ster­ben.” Das bedeutet ins­ge­samt ein gross­es ‚Ja, aber‘ zu den Mes­si­aser­wartun­gen sein­er Zeit:

  • Ja, ich bin der mes­sian­is­che König. Aber ich komme in der Gestalt des lei­den­den Knecht­es. Der erwartete Löwe von Juda ist seinem Wesen nach ein Lamm.
  • Ja, ich werde den Sieg davon­tra­gen und: Ja, dieser Sieg wird blutig sein. Aber fliessen wird mein Blut, nicht das der anderen, der Feinde.
  • Ja, ich werde ein Reich des Friedens aufricht­en. Aber mein Reich ist nicht von dieser Welt: Man wird es auf kein­er Land­karte find­en. Es ist zwar mächtiger als alle Reiche dieser Welt zusam­men, aber seine Macht zeigt sich nicht in Gewalt und Herrschaft, son­dern in Liebe und Demut.

Für die Jünger war das alles ein riesiger Schock. Sie merk­ten wohl gar nicht, dass Jesus auch die Aufer­ste­hung ankündigt. Es ist zu viel  und zu anders. Ihre Hoff­nung auf die Ret­tung Israels stürzte in sich zusam­men. — Kein Wun­der also, dass Petrus heftig dage­gen hält.  Er will es Jesus ein für alle Mal ausre­den. Nein! Es kann nicht und es darf nicht sein. Übri­gens nicht nur aus the­ol­o­gis­chen, son­dern auch aus per­sön­lichen Grün­den: Petrus will Jesus doch nicht so verlieren.

III. „Geh weg von mir, Satan!”

Doch jet­zt ist er auf dem Holzweg. Wörtlich hält Mk fest: „Aber Jesus drehte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus streng zurecht: »Geh weg von mir, Satan! Dir geht es nicht um das, was Gott will, son­dern um das, was Men­schen wollen.«“ Aus den Worten spricht höch­ste Erre­gung. Jesu Ner­ven sind zum Zer­reis­sen anges­pan­nt. Es wirkt, als hätte Petrus mit seinem Ein­wand eine offene Wunde in Jesus berührt. Vielle­icht hat­te Jesus ja in durchwacht­en Nächt­en schon Ähn­lich­es gewälzt: „Nur das nicht! Schliesslich bin ich der Sohn Gottes. Müsste für mich nicht mehr noch als für jeden anderen gel­ten, was Gott Psalm 91,11f ver­sprochen hat: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Hän­den tra­gen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoss­est?” — Dieses Psalm-Zitat spielt in Jesu Ver­suchungs­geschichte eine entschei­dende Rolle. Der Satan ver­sucht ihn dort so zu ver­leit­en, von der Zinne des Tem­pels zu sprin­gen. – Das kön­nte erk­lären, dass Jesus in dem Moment in Petrus‘ Worten tat­säch­lich die Stimme des Ver­such­ers wahrn­immt. Dann würde auch nachvol­lziehbar­er, dass er Petrus direkt anspricht, ja anschre­it: „Geh weg von mir, Satan!“
Was Mk hier mit dem Petrus­beken­nt­nis und dem Geschehen darum herum auf den Punkt bringt, ist: Es gibt keine Mes­sian­ität am Lei­den und Ster­ben vor­bei. Wer es sich anders erträumt, denkt nicht göt­tlich, son­dern men­schlich. Es gibt keine Aufer­ste­hung ohne Kreuz. Der erwartete Auf­stieg des Chris­tus erfol­gt auf dem Umweg über einen unfass­baren Abstieg. Dreimal, so berichtet Mk, kündigt Jesus den Jüngern sein bevorste­hen­des Lei­den an. Und doch traf es sie wie ein Ham­mer­schlag, als Jesus dann tat­säch­lich am Kreuz hing und starb. Drei Tage später kon­nten sie die Aufer­ste­hung auch nicht fassen. Sie glaubten an Jesus — und glaubten ihm doch nicht. Sie glaubten, dass er der Mes­sias sei und hat­ten doch einen lan­gen Weg zu gehen, bis sie bis in die Tiefe erfassten, was das heisst.
Damit standen und ste­hen sie nicht alleine. Sie hat­ten zwar das Richtige erkan­nt — dass er der Mes­sias war -, aber sie stell­ten sich das Falsche darunter vor. Erst direkt vor seinem Tod, als ihm der Prozess gemacht wurde, bekan­nte sich Jesus öffentlich als Mes­sias. Und stellte klar, dass der Mes­si­asti­tel und sein Tod unau­flös­lich zusam­menge­hören. Erst durch das Kreuz wurde Jesus zum Chris­tus.
Das sind Basics, grundle­gend­stes Wis­sen über Jesus Chris­tus. Es sollte eigentlich für alle Chris­ten selb­stver­ständlich sein. Doch das ist es nicht! Wie leicht und schnell suchen Chris­ten auch heute — wie Petrus damals n bester Absicht und doch total daneben – Wege und Mit­tel der Macht.  Wie gerne würde wir das Reich Gottes mit allen Mit­teln voran­brin­gen, ‚durch­drück­en‘. Wie sehr sträuben wir uns, in der Nach­folge Jesu den Weg der Demut, des Erlei­dens und Aushal­tens zu gehen. Was Markus in der Mitte seines Evan­geli­ums erzählt, ist auch eine War­nung: „Passt auf, dass Ihr Euch nicht unge­wollt Jesus in den Weg stellt. Er ist der Chris­tus. Ja. Unbe­d­ingt. Aber er ist es anders, als wir uns vorstellen und uns erträu­men.“ – Mit dieser War­nung verbindet sich freilich die Ein­ladung: „Lasst Euch ganz auf seinen Weg ein!“ Amen

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