Predigt zu Markus 6,34–44 in der EMK Adliswil am 26.01.2025

Liebe Gemeinde,
von der Tagung ‚Bunt glauben‘ am vorletzten Sa habe ich zwei Sätze mitgenommen. Zunächst: Die Gnade hat das letzte Wort. — Egal wo, egal wie. Die Gnade hat das letzte Wort! Das charakterisiert unseren Glauben. Auch viele andere Ideologien, Philosophien und Religionen kennen Gnade. Aber sie geben der Gnade nicht das letzte Wort. Christ:innen schon: Die Gnade hat das letzte Wort!
Das begründet den zweiten Satz, den ich seit vorletztem Samstag mit mir trage: Wir glauben hoffnungsvoll. Dieser Satz stammt aus einer Arbeit des Bildungszentrums Bienenberg. Sie formulierte in 13 Thesen, wie (wohlgemerkt: Wie, nicht was) Christ:innen heute glauben können. Diese Thesen gruppieren sich in vier Themenbereiche, nämlich: 1. Wir glauben Jesus; 2. Wir glauben gemeinschaftlich; 3. Wir glauben engagiert; und eben – das hat es mir besonders angetan- 4. Wir glauben hoffnungsvoll!
Hoffnung gehört nach Paulus neben Glaube und Liebe zu den grossen, bleibenden drei (vgl. 1. Kor 13,13). Spätestens seit der Auferstehung Christi gehört Hoffnung zum Kern unseres Glaubens. Glaube an Christus ist hoffnungsvoll, macht Hoffnung, steckt andere mit Hoffnung ein. Dabei ist zu unterstreichen: Wir reden hier nicht nur von der Hoffnung auf die Vollendung irgendwann am Ende. Das Bildungszentrum Bienenberg ist renommiert für seine Friedenstheologie, Konfliktforschung und Versöhnungsarbeit. Darum versteht es die Hoffnung diesseitig: Gott will das Beste für die Welt und seine Menschen. Er will diese Welt in einen friedlicheren Ort transformieren. Dafür engagiert er sich … und wir hoffentlich auch.
Wir glauben hoffnungsvoll. Stimmt das auch für uns? Lassen wir uns von der Hoffnung auf Gottes Eingreifen zum Guten leiten? Oder lassen wir uns eher von der allgemein verbreiteten Weltuntergangsstimmung, von Verlustängsten etc. anstecken? Unsere Hoffnung für die Welt oder auch nur für die Gemeinde/Kirche wird wohl oft verschüttet unter Zweifeln, Müdigkeit, Anstrengungen, Enttäuschungen ….
Das ist nachvollziehbar: Die Zukunft von Gemeinde/Kirche gibt zu Sorge Anlass. Jedenfalls in unserer Weltgegend. In fast allen Kirchen und Gemeinden. Der seit Corona verstärkte Abwärtstrend konnte noch nicht wieder gebremst werden. Vieles, was wir früher locker hinkriegten, schaffen wir heute nicht mehr. Wir sind müde. Enttäuscht von vielen erfolglosen Versuchen. Desillusioniert von Programmen und Projekten, die vielleicht gute Erfahrungen gebracht haben. Die Trendwende oder den viel beschworenen Turnaround vermochten sie aber nicht zu bewirken. Es gelingt uns kaum, neue Menschen zu überzeugen. Wir fühlen uns unter Druck, dass wir die Welt retten – oder wenigstens: verändern – sollten. Aber es gelingt so wenig!
Reicht, was wir haben und tun? Reicht unser Glaube? Reicht unser Engagement? Sind genug Gaben da? Finanzen? Knowhow? Kraft? Leidenschaft? …
Wenn wir so fragen, schmilzt die Hoffnung. Dann sehen wir unsere Grenzen und Defizite. Sie werden übergross und überfordern uns. Das Empfinden drückt: Es ist zu wenig. Wir schaffen es nicht. – Und von da ist es dann nicht mehr weit zu Schuldgefühlen, Schuldzuweisungen, Blockaden, Konflikten ….
Wir glauben hoffnungsvoll? Woher denn? Wie denn? Was brauchen wir dazu? — Wir müssten darauf vertrauen können, dass wir genug haben. Dass wir aus dem Vollen schöpfen können! Uns darauf verlassen, dass uns die Kraft zuwächst für das, was wir in Gottes Namen tun. Sehen können, was Gott schon lange sieht … und mutig aufbrechen. Dann würde die Angst um unsere Zukunft schmelzen. Wir könnten etwas riskieren. Darauf vertrauen, dass Christus mit uns ist und uns Rückenwind gibt. Dass er gelingen lässt, was wir tun und glauben und Frucht daraus wachsen lässt.
Es gibt eine Geschichte im Neuen Testament, die genau dazu Mut machen will:
Als Jesus ausstieg, sah er die große Volksmenge. Da bekam er Mitleid mit den Menschen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Darum lehrte er sie lange. So vergingen viele Stunden. Da kamen seine Jünger zu ihm und sagten: »Es ist eine einsame Gegend hier, und es ist schon sehr spät. Schick doch die Leute weg. Dann können sie in die umliegenden Höfe und Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen.« Aber Jesus antwortete: »Gebt doch ihr ihnen etwas zu essen.« Da sagten sie zu ihm: »Sollen wir etwa losgehen und für 200 Silberstücke Brot kaufen und es ihnen zu essen geben?« Jesus fragte sie: »Wie viele Brote habt ihr dabei? Geht und seht nach.« Als sie es herausgefunden hatten, sagten sie: »Fünf, und zwei Fische.« Dann ordnete Jesus an: »Alle sollen sich in Gruppen zum Essen im grünen Gras niederlassen.« So setzten sich die Leute in Gruppen zu hundert oder zu fünfzig. Dann nahm Jesus die fünf Brote und die zwei Fische. Er blickte zum Himmel auf und dankte Gott. Dann brach er die Brote in Stücke und gab sie seinen Jüngern, die sie verteilen sollten. Auch die zwei Fische ließ er an alle austeilen. Die Leute aßen, und alle wurden satt. Danach sammelten sie die Reste von Brot und Fisch, die sie übrig gelassen hatten – zwölf Körbe voll. Es waren 5000 Männer, die von den Broten gegessen hatten. (Markus 6,34–44; BasisBibel)
Schwer vorstellbar: Fünf Brote und zwei Fische sollen gereicht haben, um so viele Menschen satt zu machen. Die Zahl 5’000 bezieht sich ja nur auf die Männer. Frauen und Kinder eingerechnet müssten es weit über 10’000 Leute gewesen sein. Kann doch nicht sein!? – Viele versuchten deshalb, die Geschichte erklärbarer, fassbarer zu machen. Man versuchte die Zahl herunterzuhandeln. Oder man nahm an, dass viele Leute sehr wohl Proviant bei sich gehabt hätten. Jesus habe es geschafft, sie zum Teilen mit den anderen zu bewegen. Ein Ausleger spekulierte, dass Jesus vor einer Höhle gestanden habe, in der die Jünger im Stile eines Schnellimbisses massenhaft Esswaren produzierten.
Solche Erklärungsversuche werden der biblischen Geschichte nicht gerecht. Es geht nicht, den langen Überlieferungsprozess rückwärts aufzurollen bis man genau weiss, was sich ereignete. Und vor allem wie. Es geht schon deshalb nicht, weil biblische Texte nicht wie Journalisten berichten, sondern verkündigen. Sie wollen zum Vertrauen auf Gott motivieren. Sie laden ein, sich auf diesen Jesus, von dem sie erzählen, zu verlassen. Die Speisung der 5000 z.B. zielt nicht auf die Aussage: “Wow, so viele Leute konnte Jesus sättigen!” Sondern sie lädt ein, ja fordert heraus: “Entdecke, was möglich wird, wenn Du Gott zur Verfügung stellst, was Du hast!”
Alle vier Evangelien erzählen die Geschichte. Sie erklären das Wunder nicht. Deutlich wird aber, dass es in vier Schritten zustande kommt:
- Problem/Bedürfnis wahrnehmen: Die Jünger nehmen wahr, dass Menschen ein Bedürfnis haben, ja Mangel leiden: Sie haben Hunger. Dagegen muss man etwas unternehmen.
- Eigenes Potenzial einbringen: Jesus fordert die Jünger auf, sie sollten den Menschen selbst zu essen geben. So kommen fünf Brote und zwei Fische zum Vorschein. Das ist zwar auf den ersten Blick nur ein Tropfen auf einen heissen Stein. Und doch ist es ein Anfang. Es ist wichtig, das eigene Potenzial zur Verfügung zu stellen, es in eine Problemlösung zu investieren.
- Das Vorhandene vertrauensvoll Gott zur Verfügung stellen: Jesus nimmt nun das kleine vorhandene Potenzial, die fünf Brote und zwei Fische, und dankt Gott dafür. Er stellt es ihm zur Verfügung.
- Staunen, was Gott daraus macht: Was daraus wird, sprengt alle Vorstellungen. Fünf Brote und zwei Fische sind für Gott genug, um eine grosse Menschenmenge mehr als satt zu machen. Die Botschaft lautet also: Was immer du Gott zur Verfügung stellst, er multipliziert es und versorgt Viele damit
Das klingt schon fast nach einem ‘Rezept’. ‘Funktioniert’ das? – Nun ja. Wer daraus eine Methode macht, um Gott Wunder abzutrotzen, wird wohl enttäuscht werden. Doch wer immer mit vielleicht nur ganz wenig Ressourcen anfängt, kann staunen lernen. Wer, was er/sie hat – und sei es noch so wenig -, Gott zur Verfügung stellt, kann Erstaunliches bewirken und erleben. Viel mehr jedenfalls als andere, die zwar die Grösse von Problemen wahrnehmen und beklagen, im Bewusstsein der eigenen Grenzen aber beim Jammern stehen bleiben und gar nicht erst einen Versuch wagen.
Was heisst das konkret? Eine deutsche Bibellesehilfe aus dem Jahr der grossen Flüchtlingskrise (→ Angela Merkel: ‘Wir schaffen das!’) macht folgende Verknüpfung: “Angesichts der Flüchtlinge sagen wir: ‘Es sind zu viele! Wir können uns doch nicht um alle kümmern!’ Angesichts der Menschen, die kamen, um Jesus zu hören und von ihm geheilt zu werden, baten die Jünger: ‘Schick sie woanders hin! Wir haben nicht genug zu essen für alle!’ Wer wollte kein Verständnis haben für ihre Lage? Es wäre eine vernünftige Lösung des Problems gewesen, wenn sich die Menge auf die umliegenden Dörfer verteilt hätte. Die Jünger sahen ganz realistisch, dass es einfach nicht reichte, was sie zu bieten hatten: Fünf Brote und zwei Fische. Vielleicht hatten sie auch Angst, selber zu kurz zu kommen? Jesus fragte die Jünger nicht nach ihren Gründen. Er sagt zu ihnen: ‘Gebt ihr ihnen zu essen.’ – Er sagt es auch zu uns: ’Gebt den Hungernden zu essen und nehmt die Flüchtlinge auf. Gebt, was ihr geben könnt, damit Menschen menschenwürdig leben können und nicht aus ihrer Heimat fliehen müssen.’ – Fünf Brote und zwei Fische. Die Jünger gaben Jesus das in die Hand, was sie hatten. Viel war es nicht. Aber Jesus nahm das Wenige und sprach darüber seinen Segen. Und dann war dieses gesegnete Brot, dieser gesegnete Fisch genug. Genug für alle. Angesichts der Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen, sollen wir nicht nach Gründen suchen, um die Menschen abweisen und fortschicken zu können. Auch wir können das Wenige, was wir zu geben haben, in Jesu Hände legen. Es kann es verwandeln in etwas Grösseres ….” (Karen Hinrichs in: Mit der Bibel durch das Jahr, ökumenische Bibelauslegungen 2017, erschienen im Kreuz Verlag und im Katholischen Bibelwerk, zum 08.02.2017).
Ob Flüchtlingskrise. Ob Hunger. Ob Gemeindebau. Ob Seelsorge. Ob persönliche Konflikte. – Es geht um das Vertrauen, dass genug da ist, um anzufangen. Dank Gott. Es hat genug. – Lassen wir uns nicht schon von Vornherein ausbremsen, weil wir auf unsere Grenzen und mögliche Komplikationen schauen. Wir brauchen kein fertiges Konzept. Nur ein brennendes, von Gottes Liebe gefülltes Herz. Nur die Wahrnehmung, wo etwas bzw. wo wir gebraucht werden. Und das Vertrauen, dass wir ja fünf Brote und zwei Fische haben. Damit kann man fröhlich anfangen.
Leicht gesagt! Aber stimmt es auch? Hält es der Wirklichkeit stand? Oder ist es bloss ein weiterer Beweis dafür, wie leicht man auf der Kanzel die Bodenhaftung verliert? — Mir ist bewusst, dass ich zuallererst selbst angesprochen bin. Als Angsthase und Problemvermeidungstaktiker, der ich nun einmal bin. Die Haltung, zu der Jesus einlädt, liegt mir keineswegs nahe. Ich weiss, dass mein/unser Glaube (noch?) klein ist. Ich hoffe aber, dass er wachsen könnte. Und ich wünsche mir, mich mehr auf Christus verlassen zu können. Dazu will uns die Speisung der 5000 inspirieren. Wer mag denn ausschliessen, ob wir nicht vielleicht sogar Wunder erleben könnten?
A propos Wunder: Die beiden deutschen Pfarrer und Theologen Klaus Douglass und Fabian Vogt schreiben (in ihrem Buch ‘Expedition zum Anfang’), die Speisung der 5000 veranschauliche das Wunder der Gemeinde. Es besteht darin: Christen nehmen um sich herum (körperlich, seelisch oder geistlich) hungrige Menschen wahr. Sie lassen sich von dieser Not betreffen und sichten die Ressourcen, mit denen sie helfen könnten. Diese stellen sie vertrauensvoll Gott zur Verfügung und lassen sich von ihm beauftragen: “Gebt ihr ihnen zu essen!” Und dann fangen sie an zu verteilen und staunen, wie viele Menschen trotz äusserst begrenzter Ressourcen satt werden.
Wir nehmen heute wenig Wunder wahr. Schon gar nicht so überwältigende wie die Speisung der 5000. Hat das vielleicht damit zu tun, dass wir uns zu sehr von der Begrenztheit unserer Ressourcen einschüchtern lassen? Auf der Suche nach Fischen und Broten nehmen wir wahr: Mitgliederzahlen und Finanzen sind rückläufig. Viele sind müde geworden. Wir werden älter. Uns gehen die Ideen aus … Solche Entwicklungen beklagen wir und das kann schon blockieren.
Jesus macht es anders. Er sieht zwar, dass nur zwei Fische und fünf Brote da sind. Aber beim Gebet schaut er nicht darauf. Sondern er hebt die Augen auf und nimmt die Weite des Horizonts wahr. Jesus konzentriert sich also nicht auf die Begrenztheit der Ressourcen. Er nimmt dafür die grossen Möglichkeiten Gottes in den Blick. Daraus wächst sein Vertrauen und der Mut, mit Verteilen anzufangen. — Ob wir als Gemeinden und Kirchen lernen könnten, weg von unseren Ressourcen hin auf die Möglichkeiten Gottes zu schauen? Ob wir dann mehr davon erleben würden, was für ein Wunder die Gemeinde bzw. Kirche eigentlich ist?
Wir glauben hoffnungsvoll. Es ist genug da, um mit Gottes Hilfe etwas zu bewegen. Werfen wir unsere fünf Brote und zwei Fische doch in die Waagschale! Amen
Bin gerade im Schwarzwald im Urlaub. Danke für deine tolle Predigt, Daniel!! Diese Stelle von der Speisung der“5000“ ist mein Lieblingstext geworden. Seit 10 Jahren darf ich dieses Wunder immer lesen aus der Liturgie von der ökumenischen Brot-und Weinfeier. Ich habe es so verinnerlicht und könnte es auswendig erzählen. Ja Gottes Mäglichkeiten sind so gross und meine Ressourcen so klein. Mein Sohn musste in eine Suchtklinik. Noch am Tag des Eintritts sagte er, nein ich gehe nicht! Nach 2 Tagen wollte er nach Hause. Jetzt ist er bereits eine Woche dort. Jetzt sagt er nsch drei Wochen bin ich zuhause, keinen Tag länger!!! Der körperliche Entzug dauert 3 Wochen, die psychische Entwöhnung nochmals 4 Wochen. Menschlich gesehen muss ich sagen, das schafft er nicht, solange weg. Aber Gott hat uns so wunderbar geholfen, ein Wunder wirklich, dass er noch dort ist. Ich
möchte immer mehr hoffnungsvoll glauben, wer macht mit???????
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