Memento Mori

Psalm 90

Predigt am 24.11.2024 (Ewigkeitsson­ntag) in der EMK Adliswil
Nach ein­er Predigt von Pfrn. Bar­bara Pfister

Liebe Gemeinde,

der Ewigkeitsson­ntag kon­fron­tiert uns mit dem Tod und der eige­nen Sterblichkeit. Das mögen wir zwar nicht, aber es ist wichtig. In Psalm 90,12 bit­tet ein­er sog­ar: „Lehre uns bedenken, dass wir ster­ben müssen, auf dass wir klug wer­den!“ – Auch ausser­bib­lisch wurde der Gedanke an den Tod in der Antike emp­fohlen. So gab es im alten Rom fol­gen­den Brauch: Bei Tri­umphzü­gen von hohen Offizieren hat­te ein Sklave auf dem Tri­umph­wa­gen zu ste­hen. Seine einzige Auf­gabe bestand darin, dem Geehrten alle paar Minuten ins Ohr zu sagen: „Memen­to mori!“ Frei über­set­zt: „Denk daran, du bist sterblich!“ Vielle­icht etwas mak­aber, aber ein pro­bates Mit­tel um auch im Tri­umph am Boden zu bleiben.

Der Tod fordert uns her­aus. Er verän­dert das Leben grundle­gend. Der Part­ner, die Mut­ter, das Kind, der Brud­er oder die Fre­undin – sie fehlen uns schmerzhaft. Sie hin­ter­lassen ein spür- und sicht­bare Lücke. Der Schmerz begleit­et uns. Manch­mal still, manch­mal laut, heftig, bedrän­gend. — Der Tod fordert nicht nur her­aus. Er über­fordert uns. Das mag erk­lären, warum wir ihn heute gerne aus Gedanken und öffentlichem Leben ver­drän­gen: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Am Ewigkeitsson­ntag ist das anders. Mit Hil­fe von Psalm 90 lade ich Sie ein sowohl dem Tod ins Auge zu schauen als auch in Gottes Ewigkeit zu spähen. Bei­des soll unseren Blick für das Hier und Jet­zt schärfen .

I. Ein Blick zurück – Gott von Ewigkeit her 

Herr, ein Hort warst du uns von Gen­er­a­tion zu Gen­er­a­tion. Noch ehe Berge geboren wur­den und Erde und Erd­kreis in Wehen lagen, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. … In deinen Augen sind tausend Jahre wie der gestrige Tag, wenn er vorüber ist und wie eine Wache in der Nacht. (Psalm 90,1b;2;4)

Berge ste­hen für Beständigkeit und Unverän­der­lichkeit. Wie beständig muss erst sein, wer sie geschaf­fen hat! Die ganze Schöp­fung ist aus Gott geboren. Sie hat einen Anfang. Gott aber ist ohne Anfang und Ende, ewig. Deshalb wird der atl. Gottes­name auch gerne mit ‘der Ewige’ über­set­zt.
Unvergänglichkeit ist schw­er fass­bar für Geschöpfe, die Raum und Zeit unter­wor­fen sind. Wir kön­nen ‘Ewigkeit’ kaum denken. Sich­er ist ‘ewig’ nicht ‘zeit­los’. Klei­der oder Möbel mögen zeit­los sein. Aber nicht ewig. Und wenn wir ‘ewig’ auf den Bus warten, hat das mit Ewigkeit auch nichts zu tun. Ewigkeit ist nicht die unendliche Ver­längerung unser­er Zeit. Son­dern Ewigkeit ste­ht für das Leben in Fülle. Wobei Fülle nicht quan­ti­ta­tiv, son­dern qual­i­ta­tiv zu ver­ste­hen ist.
Gott selb­st ist das Leben. Er gibt seinen Geschöpfen Leben. Und fern von Gott gibt es kein Leben. Darum lädt der Psalm­beter ein, bei Gott zu sein. Wer Lebens­fülle, Leben­squal­ität sucht, find­et das in Gottes Nähe: «Sucht mich, so werdet ihr leben!» heisst es in Amos 5,4. Es geht darum, das Zuhause in Gott zu find­en. So erhal­ten wir Anteil an seinem ewigen Leben. So find­en Men­schen ihre ursprüngliche Bes­tim­mung. Was dabei geschieht, bringt die Taufe zum Aus­druck: «Wenn jemand in Chris­tus ist, gehört er schon zur neuen Schöp­fung.» (2.Kor 5,17).
Die Zürcher Bibel beschreibt das Zuhause in Gott als Hort. Es ist also ein Schutz- und Zuflucht­sort. Da sind Gebor­gen­heit und Zuwen­dung zu find­en. Da bin ich, bist du erwartet, willkom­men, gese­hen, geliebt! Genau so hat das Volk Israel seinen Gott erlebt, von Gen­er­a­tion zu Gen­er­a­tion. Wie weit men­schliche Erin­nerung auch zurück­re­icht. Nie gab es eine Zeit, in der Gott nicht Hort und Zuflucht­sort für die Men­schen gewe­sen wäre.
Von diesem Blick in die Ferne auf Gottes Ewigkeit her, nimmt der Psalm­beter dann aber unter die Lupe, wie er die Wirk­lichkeit erlebt:

II. Die men­schliche Vergänglichkeit unter der Lupe

[Gott,] Du lässt die Men­schen zum Staub zurück­kehren… Sie sind wie Gras, das verge­ht. Am Mor­gen blüht es, doch am Abend welkt es und ver­dor­rt. All unsere Tage gehen dahin unter deinem Zorn, unsere Jahre been­den wir wie einen Seufz­er. Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hochkommt, achtzig Jahre und was an ihnen war, ist Müh­sal und Trug. Denn schnell ist es vorüber, im Flug sind wir dahin. (Psalm 90, 3a; 5b; 6; 9+10)

Zwis­chen Geburt und Tod ereignet sich, was wir Leben nen­nen. Unser Zeit­be­griff ori­en­tiert sich an den 82–86 Jahren, die ein Men­schen­leben in der CH durch­schnit­tlich dauert. Jun­gen Leuten mag das lange vorkom­men. Je älter wir wer­den, desto mehr empfind­en wir aber wie der Psalm­beter: Nur allzu schnell ist es vor­bei. Die Jahre verge­hen wie im Flug.
Nichts ist so sich­er wie der Tod. Wir sind nicht ewig, son­dern endlich. Die Zeit ist wie ein Förder­band. Darauf sind wir angeschnallt und fahren alle mit der­sel­ben Geschwindigkeit. Wir kön­nen die Zeit wed­er stop­pen noch über­sprin­gen. Nicht ver­langsam oder beschle­u­ni­gen. Nicht auslei­hen oder spe­ich­ern. Wir haben unseren Platz auf dem Fliess­band erhal­ten. Und wir wer­den ihn wieder ver­lassen. Nie­mand weiss wann. — Der Psalm braucht Bilder aus der Natur: Gras, das am Mor­gen noch auf­blühte, welkt am Abend schon dahin. Bäume wer­fen im Herb­st ihre Blät­ter ab. Auch dies zeigt: das Leben ist kurz: Wie der Binde­strich zwis­chen Geburts- und Todestag auf der Tode­sanzeige. Wie ein Hauch in der kalten Herb­stluft schnell verge­ht. Der Predi­ger Salo­mo empfind­et: «Es ist alles nichtig und ein Haschen nach Wind. Es gibt keinen Gewinn» (vgl. Koh 2,11). – Die Vergänglichkeit unter die Lupe zu nehmen, lässt zunächst Ohn­macht und Erschöp­fung empfind­en. Machen solche Gedanken über­haupt Sinn? Machen Sie uns nicht nur pas­siv, verzweifelt oder gar depres­siv?
Mit­ten in Psalm 90 gibt es eine Scharnier­stelle, welche die Tür aus der Verzwei­flung öffnet. Der Psalmist set­zt uns gewis­ser­massen eine Brille auf. So kön­nen wir mit kor­rigiert­er und geschärfter Sicht vom Ende her auf unser Leben blicken.

III. Mit geschärftem Blick vom Ende her leben

Unsere Tage zu zählen, lehre uns [Gott], damit wir ein weis­es Herz gewin­nen. (Psalm 90,12)

Die vorgeschla­gene Sichtko­r­rek­tur sieht so aus: Den Tod nicht ver­drän­gen, son­dern ins Leben ein­beziehen und darüber nach­denken. Den Tod aber auch nicht in den Griff bekom­men wollen, son­dern sich Gott anver­trauen im Leben wie im Ster­ben.
Der ewige Gott, der selb­st das Leben ist, weiss am besten wie unser Leben gelin­gen kann. Mit der Bitte ‘Lehre uns, Gott’ geben wir zu, dass uns Tod, Ster­ben über­fordern. Und wir drück­en tiefes Ver­trauen aus in Gott, der ewig und unsterblich ist. Ver­trauen, wie es das bei Abschieden beliebte Lied aus­drückt. „So nimm denn meine Hände und führe mich, bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich kann allein nicht gehen, nicht einen Schritt, wo du wirst gehen und ste­hen, da nimm mich mit.“
Begreifen, worauf es ankommt. Tun, was zählt und bleibt. Darum geht es doch im Leben. Die verbleibende Leben­szeit weise und opti­mal nutzen. Das ist Weisheit (bzw. ‘Klugheit’, wie Luther über­set­zt). Jeden Tag, der uns zum Leben bleibt, als wertvoll und kost­bar begreifen. Von der Endlichkeit her denken, d.h. wichtige Dinge nicht auf­schieben. Über­legen: Was will ich bewirken im Leben? Was will ich fördern? Was soll von mir in Erin­nerung bleiben?
Wenn wir unsere Sicht auf die Wirk­lichkeit von Gott kor­rigieren lassen, ler­nen wir: Wesentlich­es von Unwesentlichem zu unter­schei­den. Auf das zu set­zen was Ewigkeitswert hat.
Meine Bew­er­tun­gen ändern sich so: Aus Gottes Sicht ist Vieles, was ich als „ver­schwen­dete“ Zeit abw­erte, wertvoll und gut  — eben ‘ver­wen­dete’ Zeit: Zeit­en der Trauer; innehal­ten und nichts leis­ten; block­iert sein; für jeman­den da sein; schweigen, loslassen und vergeben; sog­ar mit Gott hadern und rin­gen; auch schlaflose Nächte … Mit Gottes Hil­fe ver­wen­det, im Ver­trauen auf ihn gelebt, gewin­nen ger­ade solche Zeit­en Ewigkeitswert.

IV. Ein Blick voraus – Gott bis in alle Ewigkeit

Was hat Ewigkeitswert? – Diese Frage führt zurück zum Anfang des Psalms, zum ewigen Gott.

Herr, ein Hort warst du uns von Gen­er­a­tion zu Gen­er­a­tion. …  du bist Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. (Psalm 90,1b)

Hoff­nung bricht sich Bahn, wenn wir den Blick weg von unser­er Begren­ztheit wen­den, hin zu Gottes Möglichkeit­en. Weg von unser­er Vergänglichkeit hin zum Leben, das in Gott zu Hause ist. Aus dieser Hoff­nung und dem fes­ten Glauben, dass Gott durch uns Beständi­ges bewirkt, lässt den Psalm in eine Bitte an den Ewigen münden:

[Gott], gib dem Werk unser­er Hände Bestand, ja, gib dem Werk unser­er Hände Bestand. (Psalm 90,17)

Wenn wir bei Gott zu Hause sind, dann wirkt sein Leben in unser­er Begren­ztheit. Dann ist nicht ein­mal nor­male, müh­selige, alltägliche Arbeit sinn­los oder verge­blich. Son­dern das vergängliche Werk unser­er Hände, ins­beson­dere Liebe und Gerechtigkeit und Dienst am Näch­sten, gewin­nt Ewigkeitswert. Diese Hoff­nung geht weit über die Psalmen hin­aus und weist nach vorne: Ins Neue Tes­ta­ment zu Jesus Chris­tus. weist. In ihm wurde der ewige Gott sterblich­er Men­sch. Er starb. Doch dann drehte Gott die Machtver­hält­nisse. Er ent­machtete den Tod. In der alten Zeit der vergänglichen Schöp­fung bricht die neue, ewige Welt an. Ostern ist die Geschichte des Sieges über den Tod. Es ist eben nicht nur der Tod, der auf uns wartet. Son­dern Jesus Chris­tus erwartet uns, wenn der Tod nach uns greift. Und er bleibt bei uns, durch den Tod hin­durch. Paulus schreibt es so: «Geschwis­ter, ihr braucht nicht trau­rig zu sein wie die Men­schen, die keine Hoff­nung haben. Wir glauben doch, dass Jesus gestor­ben und aufer­standen ist. Eben­so gewiss wird Gott auch die Ver­stor­be­nen durch Jesus und mit ihm zusam­men zum ewigen Leben führen.» (1.Thess 4,13f)

«Wer an Jesus Chris­tus glaubt, hat das ewige Leben» (vgl. Jh 3,36). In ihm haben sterbliche Men­schen schon jet­zt Anteil am göt­tlichen Leben. Und doch ist das erst ein Vorgeschmack der Vol­len­dung, die uns erwartet. Noch erken­nen wir nur Bruch­stücke (vgl. 1.Kor 13,12). Bib­lis­che Ver­heis­sun­gen brin­gen sie uns wie ein Feld­stech­er immer­hin etwas näher. In der Jh-Offb wird uns die Ewigkeit so beschrieben: «Gott, wird ´immer [und ewig]‘ bei ihnen sein. Er wird alle ihre Trä­nen abwis­chen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es wer­den keine Angstschreie mehr zu hören sein. … Ich, [der Ewige], bin Anfang und Ziel. Allen Dursti­gen werde ich Wass­er aus der Quelle des Lebens schenken.» (Offb 21,4+6; ZB und Hfa). Amen

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